Die für den Bundestag kandidierenden Parteien präsentieren in ihren Wahlprogrammen – anders als noch zur Wahl 2021 – Klimawandel und Klimapolitik kaum als zentrale Anliegen.

Im knapp 80 Seiten umfassenden Wahlprogramm der in allen Umfragen führenden Oppositionspartei findet "Klimawandel" zweimal Erwähnung, "Klimapolitik" einmal. Hier und da wird auf Klimaanpassung als "Grundvoraussetzung" und "Querschnittsaufgabe" verwiesen. Klimaschutz will man "ganzheitlich denken" und "vor Ort machen" – wenig bis nichts davon wird konkret. Aussagen zur Klimafinanzierung: Fehlanzeige.

 

Die Rechtspopulisten setzen Klimawandel und Klimapolitik konsequent in Anführungszeichen und wollen die längst und vielfach widerlegte Mär aufrechterhalten, wonach die menschlichen Ursachen der globalen Aufheizung "wissenschaftlich ungeklärt" und "politisch konstruiert" seien.

Bei den Parteien des sogenannten links-grünen Spektrums sieht das erwartbar anders aus. Hier schwingt speziell bei SPD und Grünen freilich immer die Frage mit: Warum hat man von den klimapolitischen Vorhaben in den letzten drei Regierungsjahren nicht schon mehr gesehen?

Die Linke macht ambitionierte Vorschläge, bleibt aber, abgesehen von der allgemeinen Ansage, "Reiche" stärker zur Kasse bitten zu wollen, vage hinsichtlich Umsetzung und Finanzierung.

Auffällig ist auch, dass sich die Parteien im Zusammenhang mit Flutereignissen durch die Bank für mehr Katastrophen- und Bevölkerungsschutz aussprechen, den ursächlichen Zusammenhang mit dem Klimawandel aber allenfalls andeuten.

Nicht nur moralisch fragwürdig, auch strategisch kurzsichtig

Das alles verheißt nichts Gutes – weder für Deutschlands eigene Klimaschutzanstrengungen noch für seine zukünftige Rolle in der globalen Klimapolitik. Die Klimapolitik und damit einhergehende internationale Verpflichtungen der Bundesrepublik als nachrangig zu behandeln, wäre aber ein schwerwiegender Fehler für jede neue Regierung. Dies gilt ungeachtet aller parteipolitischen und ideologischen Divergenzen in egal welcher neuen Koalitionsregierung.

Ohnehin dürften die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen von innenpolitischen Themen und Verteilungskämpfen um den knappen Bundeshaushalt dominiert werden. Ein Ignorieren nationaler und speziell internationaler Klimaschutzverpflichtungen käme allerdings einer Nabelschau gleich, mit der sich Deutschland selbst ins Abseits schösse.

Bild: IDOS

Steffen Bauer

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Develop­ment and Sustain­ability (IDOS). Er ist Mitglied des Wissen­schaft­lichen Steuerungs­komitees des Earth System Governance Project und des Forschungs­rats der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).

Ein ausschließlicher Fokus auf nationale Belange wie Energiesicherheit oder den Erhalt von Industriearbeitsplätzen würde dabei die Perspektiven und Potenziale in den Wind schlagen, die Deutschlands – und Europas – Partner weltweit einbringen können. Für sie hat Klimafinanzierung nichts mit Wohltätigkeit zu tun und sie sehen darin einen Maßstab für die Glaubwürdigkeit Deutschlands und der EU als verlässliche internationale Partner sowie gemeinsame wirtschaftliche Chancen.

Ein allein nach innen gerichteter Ansatz, der globale Klimakooperation als entbehrliche Übung in internationaler Solidarität abtut, ist deshalb nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch strategisch kurzsichtig. Er würde nicht nur die Grundlage der multilateralen Zusammenarbeit erschüttern und die Ziele des Pariser Klimaabkommens untergraben, sondern auch sehenden Auges riskieren, Deutschlands bisherige internationale Partner und Verbündete in die Arme der geopolitischen Konkurrenz zu treiben.

Deutschland und die EU sind daher gut beraten, an ihren Verpflichtungen zur internationalen Klimafinanzierung festzuhalten. Dafür ausreichende Mittel bereitzustellen, ist nicht nur moralische Pflicht, sondern eine Investition in Deutschlands Wohlstand und Sicherheit. Sollte Deutschland es versäumen, ausländischen Partnern Mittel für nachhaltige Transformation und Klimaresilienz zuzusichern, so riskiert es auf den Märkten ins Abseits zu geraten, die das globale Wachstum in den kommenden Jahrzehnten absehbar vorantreiben.

Klimafinanzierung gestaltet die Märkte der Zukunft mit

Gerade in Schwellenländern sind erneuerbare Energien, grüne Infrastrukturen und neue Technologien auf dem Vormarsch. Diese Märkte bestimmen die Zukunft von Handel, Investitionen und Innovation. Länder, die sich jetzt in internationaler Klimafinanzierung und entsprechenden Kooperationspartnerschaften engagieren, können diese Märkte mitgestalten und von deren Wachstum profitieren.

Viele Partnerländer sehen den ökologischen Wandel selbst wiederum als Chance für Innovation, Wachstum und nachhaltige Entwicklung ihrer Volkswirtschaften und als Mittel zur Stärkung ihrer Resilienz gegenüber geopolitischen Turbulenzen und sich verschärfenden Klimafolgen. Deutschland muss endlich anerkennen, dass die Klimafinanzierung schon jetzt geopolitische Trends bestimmt.

Bild: IDOS

Clara Brandi

ist Abteilungs­leiterin am IDOS und Professorin für Inter­nationale Wirtschaft und Entwicklungs­ökonomie an der Universität Bonn. Sie forscht zu Welt­wirtschaft und Nach­haltigkeit und berät Ministerien, die EU-Kommission und inter­nationale Organisationen.

Initiativen wie Chinas "Neue Seidenstraße" und der Global Gateway der EU setzen auf die Finanzierung nachhaltiger Infrastrukturen und Energiesysteme weltweit. Dabei geht es nicht um Wohltätigkeit, sondern um konkurrierende strategische Bemühungen um geopolitischen Einfluss und den Zugang zu künftigen Märkten, zu kritischen Ressourcen und den damit verbundenen Lieferketten.

Würde Deutschland sein aktuelles Engagement zurückfahren, hätte es weniger Mitsprache in der EU und würde Gefahr laufen, im globalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Letztlich würden damit auch ureigene nationale Interessen aufs Spiel gesetzt.

Das Aufgeben internationaler Klimaverpflichtungen würde zudem die Risiken erhöhen, die aus klimabedingten Katastrophen einschließlich Verlusten und Schäden erwachsen. Das wiederum würde Instabilität und Krisen auf der ganzen Welt Vorschub leisten. Das verletzte nicht nur ethische Normen, sondern Deutschland und Europa hätten unweigerlich mit den Folgen zu kämpfen: unsichere Lieferketten, steigende Kosten für Unternehmen und krisenbedingte Interventionen.

Hinzu kommt die wachsende Zahl von Menschen, die aufgrund eskalierender Konflikte, wirtschaftlicher Not und zunehmend unbewohnbarer Umweltbedingungen ihre Heimat verlassen müssen. All dies würde nur den Kräften in die Hände spielen, für die Disruption und Chaos zu einem zynischen Geschäftsmodell geworden sind. Es würde die Aussichten auf nachhaltigen Wohlstand und Frieden in Deutschland und Europa einschränken und somit Deutschlands nationalen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen.

 

Stattdessen sollte die künftige Bundesregierung die Debatte über die deutsche Klimapolitik mit einem Neustart wiederbeleben, ja sogar mit einem neuen Framing. Sie sollte die internationale Klimafinanzierung als strategisches Instrument begreifen und nutzen, um eine internationale Führungsrolle zu übernehmen und damit die wirtschaftliche und geopolitische Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern.

Nach der Bundestagswahl steht Deutschland vor der Wahl, sich entweder seiner globalen Verantwortung zu entziehen oder sich den Herausforderungen zu stellen, die mit einer Führungsrolle in der globalen Klimapolitik verbunden sind – zu seinem eigenen und zum größeren Wohl einer gerechteren und stabileren Welt.

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