Politisch angeblich Nebensächliches wie Familie, Frauen und Jugend bezeichnete ein früherer sozialdemokratischer Kanzler gern als "Gedöns". Den Status hat nun auch das Klima erreicht. Das zeigt die Absage des noch regierenden SPD-Kanzlers Olaf Scholz für den heute beginnenden Weltklimagipfel in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.
Scholz' Absage wird nicht besser dadurch, dass sich aus verschiedenen Gründen auch die Staatschefs von Indien, China, Brasilien und den USA in Baku nicht sehen lassen werden. Deutschland war immer stolz darauf, die globale Klimapolitik voranzutreiben, wenn andere ausfielen oder zögerten. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei.
Klimapolitik wird in Deutschland auch nicht mehr so direkt beim Namen genannt. Gern hängt man ihr eine Art Tarnmantel um und ändert das sogenannte Framing, die Erzählung also, warum die Leute ein bestimmtes politisches Vorhaben gut finden sollen. Über erschreckende Dinge wie einen schnellen Fossil-Ausstieg, weniger Autos oder die Halbierung der Tierhaltung zu reden, soll tunlichst vermieden werden.
Eine sehr beliebte Erzählung ist, Klimaschutz habe den Zweck, den Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten.
"Ohne Wettbewerbsfähigkeit wird es keine Transformation geben. Ohne Transformation werden wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf Dauer nicht erhalten können", dichtete jüngst die PR-Abteilung von Wirtschaftsminister Robert Habeck, als der Grüne am selben Tag zuerst Klimaschutzverträge an die Industrie übergab und anschließend sowohl beim Klimakongress der deutschen Industrie als auch beim Klimatag der zivilgesellschaftlichen Klima-Allianz auftrat.
Das Framing lautet Wettbewerb, CO2-Märkte oder Klimaklub
So ein Stichwort wie Wettbewerb zieht weitere Tarnworte nach sich: CO2-Märkte, grüne Leitmärkte oder den beliebten und sogar von Kanzler Scholz selbst ins Leben gerufenen Klimaklub.
Der hat unter dem Vorsitz von Chile und Deutschland inzwischen gut 40 Mitglieder. Was machen die da? Es gehe um gemeinsame grüne Standards, war zu hören. Sorgt so ein Klub aber auch dafür, das absolut wichtigste Klimaproblem zu lösen und die globalen CO2-Emissionen real zu senken? Man weiß es nicht.
Die meisten Leitmärkte sind weiter fossil, schaut man auf die Förderpläne der Gas- und Ölkonzerne. Nicht einmal der globale Kohleausstieg befindet sich in Reichweite und wird beim Gipfel in Baku auch nicht beschlossen werden. Die Kipppunkte des Klimasystems kommen näher.
Aber selbst das Kipp-Bild lässt sich positiv framen, wie Außenministerin Annalena Baerbock letzte Woche im Bundestag vorführte. Der wirtschaftliche Erfolg des Klimaschutzes sorge für einen "positiven Kipp-Punkt", sagte die grüne Ministerin.
Wie das? Die erneuerbaren Energien, erläuterte Baerbock, hätten inzwischen einen Stand erreicht, bei dem keine verantwortungsvolle Volkswirtschaft – auch nicht die der USA – es sich leisten könne, alles wieder zurückzudrehen.
Das Klima kippt vielleicht, aber die Energiewende wahrscheinlich nicht mehr. Das klingt doch sehr beruhigend.
Entwicklungsgelder im Dienst von "Made in Germany"
Heute genügt es auch nicht mehr, zu sagen: Deutschland reicht Gelder aus, um globale Krisen zu bekämpfen, weil es als Industrieland eben diese maßgeblich mitverursacht hat und immer noch verursacht. Das überzeugt die Leute nicht.
Also analysierte die Uni Göttingen jüngst in einer Studie für die öffentliche Förderbank KfW, wie die Zahlungen der Entwicklungszusammenarbeit mit den deutschen Warenexporten in die jeweiligen Empfängerländer zusammenhängen. Und siehe da: Es gibt einen "positiven Nebeneffekt", wie es in der Studie heißt.
Nach den ermittelten Zahlen erhöhte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Schnitt der Jahre 2013 bis 2023 die Warenexporte deutscher Unternehmen pro Jahr um fast acht Milliarden Euro – oder anders gerechnet: Jeder Entwicklungseuro lässt die Exporte made in Germany um 36 Cent steigen.
"Investitionen in nachhaltige Infrastruktur und Klimaschutz verbessern die Marktchancen deutscher Unternehmen in den Partnerländern", erklärte denn auch Christiane Laibach vom Vorstand der KfW Bankengruppe zu der Studie.
Die Göttinger Studie entdeckte übrigens noch einen weiteren, eher immateriellen Effekt: In den Partnerländern werde "Made in Germany" bekannter und wecke "positive Assoziationen". Wo Deutschland also in Klimaschutz investiert, denken die Leute besser von uns. Das ist doch was.
Alle Ressorts sollen Klimaschutz-Macher werden
Da nähert sich Klimaschutz schon der Geopolitik an. Ist China nicht gerade dabei, sich etwa in Afrika oder Ozeanien dank immenser Infrastruktur-Investitionen neue Freunde zu verschaffen?
Dass Deutschland da mit Klimapolitik gegenhalten kann, ist für Annalena Baerbock fraglos klar. Um für Klimaschutz zu werben, sollten nicht länger Eisbären plakatiert werden, sondern saubere Kraftwerke, erklärte sie kürzlich bei einem Briefing im Vorfeld des Weltklimagipfels.
Die Klimakrise müsse quer durch alle Ressorts gedacht werden, betonte die Außenministerin weiter.
Das Auswärtige Amt mache deswegen eine "Klimaaußenpolitik", das Wirtschaftsministerium eine "Klimaindustriepolitik", das Umweltministerium eine Klimapolitik mit Blick auf Biodiversität und Wasserschutz, das Landwirtschaftsministerium eine für Ernährungssicherheit – und im Verteidigungsministerium werde "Klimaschutzpolitik aufgrund von Sicherheitspolitik" gemacht, scrollte sich Baerbock durch die Ressorts.
Das Klimathema gibt inzwischen offenbar die perfekte Tarnung ab für alle möglichen Interessen hier und dort und überall. Gegen so ein Framing lässt sich schwer etwas vorbringen – wer will schon gegen Klimaschutz sein?
Von Zeit zu Zeit aber fällt die Tarnkappe, zum Beispiel wenn Olaf Scholz seine Teilnahme am Weltklimagipfel absagt. Weltweite Hitzerekorde? Sintflutartige Überschwemmungen? Oder die nunmehr nachgewiesene Überschreitung des 1,5-Grad-Limits? Das reicht dem Kanzler nicht. Im Fall des Falles ist Klimaschutz doch nur Gedöns.