Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist nach dem Ampel-Crash aus der FDP ausgetreten. Eine andere Verkehrspolitik hat er deswegen aber ich nicht verkündet.

Man darf annehmen, er gibt weiter Vollgas beim Fernstraßenbau. Geht es nach Wissing, könnte hierzulande sogar erstmals eine "amerikanische" Autobahn entstehen, eine auf zehn Spuren verbreiterte A5 bei Frankfurt am Main.

 

Doch ausgerechnet die reiche Schweiz hat jetzt demonstriert, dass ein Umdenken in der auf Wachstum ausgerichteten Verkehrspolitik möglich ist. In einer Volksabstimmung votierte eine, wenn auch knappe Mehrheit dafür, von der Regierung geplante Fernstraßen-Projekte ad acta zu legen. Ein Einschnitt.

Deutschland verfügt über eines der dichtesten Fernstraßen-Netze Europas, mit über 50.000 Kilometern Strecke. Trotzdem will der Bund 6.000 Kilometer neu bauen und 4.000 Kilometer mit zusätzlichen Fahrspuren erweitern, während gleichzeitig Geld für die Erneuerung der auf Verschleiß gefahrenen vorhandenen Verkehrswege und den Ausbau der Bahn fehlt.

Umweltverbände kritisieren diese Strategie seit Langem. Und inzwischen zeigen Umfragen, dass auch die Mehrheit aller Bürgerinnen und Bürger skeptisch ist.

Fünf große Autobahnprojekte gestoppt

Hauptgrund dafür: Die vorhandenen Straßen, Schienenwege und Brücken verfallen immer stärker. Die Infrastruktur wird seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren, weil es an Investitionen in die Instandhaltung mangelt, und trotzdem wird Geld in den weiteren Ausbau gesteckt, der das Problem weiter verschärft. Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden war hier ein Fanal.

Hinzu dürfte eins kommen: Immer mehr Menschen begreifen, dass mehr Asphalt nun wirklich nicht hilft, die Klimaziele im Verkehr einzuhalten. 

In der Schweiz wollen viele lieber einen besseren ÖPNV als mehr Autobahnen. (Bild: Whgler/​Wikimedia Commons)

Das Schweizer Stimmvolk trat hier nun auf die Bremse. Sechs große Ausbauprojekte, umgerechnet 5,3 Milliarden Euro schwer, werden nicht mehr realisiert, fünf in der Deutschschweiz, eins im französischsprachigen Teil des Landes.

Die Ausbaugegner, die das Referendum angestrengt hatten, argumentierten vor allem damit, dass die zusätzlichen Autobahnspuren und -tunnel noch mehr Autoverkehr, mehr Zersiedelung, mehr Lärm und höhere CO2-Emissionen erzeugen würden. Zudem forderten sie, das Straßenbaugeld umzuverteilen und in eine nachhaltigere Verkehrspolitik zu stecken, zum Beispiel in den öffentlichen Nahverkehr.

Die Abstimmung habe "die Verkehrswende in der Schweiz" eingeläutet, sagte die Vorsitzende der Schweizer Grünen, Lisa Mazzone. Die Bevölkerung habe der rückwärtsgewandten Verkehrspolitik der Regierung eine Absage erteilt.

Die Bürger steuern um, während die Politik noch dem alten Wachstumscredo anhängt. Es scheint vermessen, eine solche Kurskorrektur auch in Deutschland zu erhoffen, wo die "Verkehrswende" bei den meisten zur Wahl stehenden Parteien mit angezogener Handbremse daherkommt.

 

Dabei kann niemand so recht erklären, wieso zum Beispiel die vom Wissing-Ministerium jüngst prognostizierte Zunahme des Lkw-Verkehrs um ein sattes Drittel bis 2040 unseren Wohlstand wirklich vermehren soll.

Vielmehr wäre es der Job von Politik und Wirtschaft, einen solchen Kilometer-GAU durch intelligente Lösungen zu verhindern. Beim Personenverkehr, wo viele Pendlerfahrten wegen Homeoffice wegfallen, hat die Trendwende schon begonnen.

Wer schon einmal in der Schweiz Zug gefahren ist, weiß: Das Land ist in diesem Verkehrsbereich ein Vorbild für Deutschland. Pünktliche Züge, gute Anschlüsse, dichtes Netz. Dasselbe sollte nun auch für die Straßenbau-Planung gelten.

Joachim Wille ist Co-Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter°.