Wohnstraße in Berlin: Auch hier ist noch Platz für mehr Bäume. (Bild: Joe Mabel/​Wikimedia Commons)

Vor Kurzem berichtete die Süddeutsche Zeitung über einen Verkehrsversuch in München. In der 300 Meter langen Kolumbusstraße werden dabei 41 Parkplätze einige Monate lang für Rollrasen, Hochbeete und Bänke geopfert.

So sehen es zumindest Alteingesessene, die sich an der neuen Nutzung stören: Kindergeschrei und Latte-Macchiato-Mütter und -Väter statt des gewohnten Anblicks von hübsch anzusehenden parkenden Autos. Aber die sind immerhin still.

"Jeder sieht das Gleiche, wenn er aus dem Fenster schaut, aber irgendwie auch nicht. Irgendwie sieht jeder auch das, was er sehen will", schreibt das Blatt am Ende des Beitrags wenig optimistisch. Dabei haben die Wissenschaftler:innen der TU München und die Stadt wirklich mit sehr viel Aufwand alles aktuell Denkbare unternommen, um das Vorhaben zu erklären, um dafür zu werben und um die Anwohner:innen zu beteiligen.

Das klappt aber nicht bei allen. Diese Erfahrung machen viele ähnliche Projekte. Auch im Projekt Graefekiez in Berlin-Kreuzberg wundern sich die Wissenschaftler:innen, die Beteiligungsakteure und der Bezirk, dass es immer Menschen gibt, die absolut nicht wollen, dass Parkplätze verschwinden, wo doch statt Autos schönes, gut gemeintes, ökologisch wertvolles und nachbarschaftliches Gemüse die Straße verschönert.

Aber vielleicht geht es dabei gar nicht um die Autos? Haben wir es eher mit einem sozialen Thema zu tun?

Vielleicht wollen die Menschen, die dagegen sind, auch nicht unbedingt Autos vor der Tür stehen haben. Vielleicht wollen sie aber die Menschen, die sich nun auf den früheren Parkplätzen vergnügen, einfach nicht gewähren lassen, weil sie Lebensweisen repräsentieren, die einfach nicht die ihrigen sind.

Die gut situierten Familien, die das gute Leben zelebrieren, demonstrieren Umgangsformen, die nicht die eigenen sind, von denen man sich nicht angezogen fühlt, die eher abschreckend wirken. Um was es da in der Sache geht, ist fast schon zweitrangig.

Eine Frage des kulturellen Kapitals

Man ist einfach dagegen, weil man nicht Teil dieser schönen neuen Welt ist. Es scheint gar nicht um den Kulturkampf für oder gegen Autos zu gehen.

Denn wenn man keinen Zugang zu diesen aktiven Menschen findet, ist man eben dagegen, weil man sich einfach nicht zugehörig fühlt: gegen den Umbau der Straße, gegen die Leute und ihre Kinder, gegen Gemüsebeete und Parklets auf der Straße, gegen den damit verbundenen Lärm. Es ist die Absage an das Zeigen der Zugehörigkeit – durch das Wahrnehmen von Nicht-Zugehörigkeit.

Die Verkehrswende erscheint dann als eine Art Elitenprojekt von wenigen, die offenkundig glauben zu wissen, wo es langgeht. Denn so treten sie auf.

Anke Borcherding

ist wissen­schaft­liche Mit­arbeiterin am Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB). Die studierte Politik­wissen­schaft­lerin beschäftigt sich theoretisch und vor allem praktisch mit Mobilitäts­projekten.

Um sich einer Erklärung anzunähern, hilft möglicherweise der französische Soziologe Pierre Bourdieu. Er analysiert ein Denk- und Handlungsschema aus dem sozialen Umfeld und der sozialen Struktur einer Person heraus.

Bourdieus Theorie mit ihren Kernkategorien des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals bietet die Möglichkeit, empirisch gewonnene Erkenntnisse (hier: Konflikt um Parkplätze) besser einzusortieren, die sonst nur schwer verständlich sind.

Vereinfacht gesagt: Ich denke und handle so, wie es mir meine soziale Lage gebietet. Oder wie Bourdieu es ausdrückt: Je nachdem, über welche Form von Kapital ich verfüge, so bin ich – oder eben nicht, wenn ich über dieses Kapital nicht verfüge.

"Kulturelles Kapital" ist bei Bourdieu die im Rahmen der Sozialisation angenommene, in den Körper eingeschliffene "Kultiviertheit": Bildung, Umgangsformen, Sprechweise, Körperhaltung, Esskultur. Aus diesem speist sich der gesellschaftliche Status einer Person.

Für die Person auf dem Balkon, der die Inszenierung unten auf der Straße nicht gefällt, könnte man Bourdieu folgend annehmen, dass sie nicht über das erforderliche kulturelle Kapital verfügt, um Zugang zu der Gruppe zu finden, die über dieses in den Körper eingeschliffene Kapital verfügt und dies ausstrahlt und sich wiederum damit gegen die Person auf dem Balkon abgrenzt.

Da passt etwas in beide Richtungen nicht zusammen. Aber es gibt Spielräume, die genutzt werden können.

Bäume können Konsens stiften

Einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, könnte eine Aufgabe der Wissenschaft in solchen Projekten sein: das Bewusstsein für die beschriebene Differenz zu schaffen und daraus Konsequenzen abzuleiten.

Ganz offenkundig braucht auch die Verkehrswende die kulturelle Vielfalt. Es gilt somit ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsames Narrativ zu finden, das über das Thema Autos und Parkplätze und deren Trägerkulturen hinausreicht und für alle sozialen Milieus und für alle kulturellen Vermögen ausreichend Anknüpfungspunkte bietet.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Die bisherige Form der Umwandlung von Parkplätzen in nachhaltige Flächen ist enorm aufwändig und braucht eine große Menge kulturelles Kapital. Die Beispiele in Berlin, Hamburg, München und anderswo zeigen das.

Die Beteiligungsverfahren sind entgegen ihrer Zielstellung nicht integrierend. Sich dort einzubringen, erfordert sehr viel bürgerschaftliches Engagement und, um mit Bourdieu zu sprechen, sehr viel kulturelles Kapital, das nicht überall verfügbar ist.

Ein gemeinsames Ziel entsteht jedenfalls so nicht, und das völlig unabhängig von den Inhalten. Es geht auch gar nicht um die Frage, ob die Gentrifizierung die Folge oder gar die Ursache der Verkehrswende ist.

In jedem Fall muss nach 20 Jahren Verkehrswendedebatte konstatiert werden, dass die partizipativen Beteiligungsverfahren offenkundig genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie beabsichtigen. Es sind in aller Regel Projekte von engagierten Bürger:innen, die aber in ihrem Gutmenschentum mehr Menschen abschrecken als motivieren.

Parklets, gigantische Lastenfahrradabstellanlagen oder Hochbeete bringen die Verkehrswende nicht weiter, weil diese Mittel der Transformation nur für wenige funktionieren und viele ausschließen, die hier einfach nicht mitkommen, auch wenn sie die grundsätzlichen Ziele teilen.

Es braucht daher Maßnahmen, die ohne Weiteres und von allen akzeptiert werden und die ohne komplizierte Verfahren von der Verwaltung im Sinne der Sache umgesetzt werden können – und zwar: Bäume!

Die Kommunen und Stadtbezirke werden dazu angehalten, so viele Bäume in der Stadt zu pflanzen, wie es nur geht. Bäume helfen gegen den Klimawandel, schaffen eine gute Atmosphäre und sind das zentrale Symbol für eine resiliente Infrastruktur.

Vor allen Dingen wachsen sie von ganz alleine. Einmal gepflanzt, benötigen sie nur Hege und Pflege – wie sie jede Verwaltung organisieren kann, und zwar ohne partizipative Beteiligungsverfahren.

Natürlich geht immer noch mehr. Aber alle, die daran arbeiten, Parkplätze zu reduzieren, sollten sich daran erinnern, dass der öffentliche Raum für alle da ist und dass die Transformation in Form und Inhalt nur dann gelingt, wenn sich auch alle darauf einlassen können.

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