Andreas Knie (Bild: WZB)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, in den nächsten Tagen werden die Parteien ihre Programme zur Bundestagswahl im Februar verabschieden. Der Verkehr gehört zu den besonders umstrittenen Themen. Was machen die bisher bekannt gewordenen Entwürfe der Wahlprogramme für einen Eindruck auf Sie?

Andreas Knie: Die Verkehrspolitik ist der Lackmustest für die Ernsthaftigkeit einer Regierung beim Umbau zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft. Und hier tut sich bei allen Parteien leider wenig.

AfD, BSW, FDP, CDU und CSU möchten Deutschland am liebsten wieder so haben wie in der Nachkriegszeit: Es braucht jede Menge Straßen und Autos mit Verbrennungsmotoren. Man muss den ganzen Murks mit den E‑Fahrzeugen wieder abschaffen und auch die Verkehrsberuhigung zugunsten von noch mehr Flächen für Autos zurückfahren. Die Programme könnten eine Kopie der Inhalte aus den 1960er Jahren sein.

Die SPD ist sich noch nicht einig, ob sie das nicht auch will, und den Grünen fällt jetzt erst auf, dass sie Verkehrspolitik schon gar nicht mehr im Angebot hatten. Über Nacht wurde schnell noch etwas aus älteren Papieren kopiert, aber nur mit bekannten Allgemeinplätzen versehen. Immer wieder im Programm: Stärkung des ÖPNV. Jetzt soll auch auf dem Land der Bus mindestens jede Stunde kommen, auch am Wochenende. Programmatisch gibt es nix Neues.

Es ist zum Heulen. Die Verkehrspolitik der Parteien ist so wie der Fußball in Deutschland. Leider nur noch zweite Wahl.

Vor dem Jahreswechsel erschien die x-te Studie zum Tempolimit, diesmal vom Umweltbundesamt. Danach würde Tempo 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen sogar fast zwölf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Zudem würde die Zahl verletzter und getöteter Menschen im Straßenverkehr drastisch sinken. Das ist seit Jahrzehnten bekannt und dennoch gibt es bis heute kein generelles Tempolimit. Sollte man sich neue Studien dazu nicht endlich sparen?

Da sich die Gesellschaft ändert, ist es immer wichtig, aktuelle Daten zu sammeln und auszuwerten. Aber in der Tat bestätigt sich auch in diesem Fall alles, was bereits bekannt war: Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen verbessert den Verkehrsfluss und erhöht die Leistungsfähigkeit der Straßen, ohne dass ausgebaut werden muss. Die Unfallzahlen sinken und es kann sofort und aus dem Stand jede Menge CO2 eingespart werden.

Bleibt die Frage zu klären, warum wir das nicht tun. Es gibt immer noch eine Mehrheitsmeinung im Deutschen Bundestag, dass Deutschland bei der Motorisierung zurückliegt und wir gegenüber den Nachbarländern aufholen müssten.

Vielleicht ist es aber auch immer noch das Erbe der Nazis, denn die ersten fertiggestellten Autobahnkilometer in Deutschland ab 1934 waren selbstverständlich frei von jedweder Geschwindigkeitsbeschränkung. Die kam erst später, als Rohstoffe für das Kriegstreiben eingespart werden mussten.

Die Deutsche Bahn hat es geschafft, innerhalb von fünf Monaten die wichtige Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim zu sanieren. Bis 2030 sollen 40 weitere wichtige Korridore generalsaniert werden. Mancher Bahnmanager sieht schon einen "Wendepunkt" bei der Bahn erreicht. Sehen Sie den auch?

Die Sanierung der Riedbahn war für den Verkehrsminister und die Bahn nur als Symbolpolitik gedacht. Die Strecke ist kurz, es gibt parallel laufende Ausweichrouten und man hat den Ersatzverkehr praktisch mit Geld zugeschüttet.

Und selbst das Ergebnis ist nicht gelungen. Die Strecke macht immer noch Probleme und die Kosten sind völlig aus dem Ruder gelaufen.

Vor allen Dingen aber wird das völlig falsche Signal gesendet: Am besten, wir machen den ganzen Fernverkehr mal für fünf Jahre dicht, dann haben wir Zeit und Ruhe, alles wieder in Ordnung zu bringen.

Die Menschen, die über die Sanierung bei der Bahn entscheiden, die die Pläne und die Umsetzung dazu machen, diese Menschen fahren alle Auto. Der hochgelobte und als Meilenstein verkaufte Sanierungsplan ist nichts anderes als das Bekenntnis der Bahn zur Straße: Die Schiene ist nicht so wichtig, die kann man mal zusperren, denn wir haben ja alle Autos.

Keinem Autobahnplaner käme es jemals in den Sinn, beispielsweise die A2 oder die A5 oder andere wichtige Strecken einfach für ein halbes Jahr oder – wie bald am Beispiel Hamburg–Berlin zu erleiden ist – für ein Dreivierteljahr zu sperren!

Das gefeierte Sanierungskonzept der Bahn ist einfach nur der helle Wahnsinn.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Zum Ende des Jahres hat die Bundesregierung noch eine Strategie zum autonomen Fahren als Teil eines vernetzten, öffentlichen Verkehrs verabschiedet. Wer das liest, glaubt, dass morgen Robo-Taxis herumfahren und gemeinsam mit dem ÖPNV das neue Rückgrat des öffentlichen Verkehrs bilden.

Zum Glück hat wohl niemand reingeschaut. Das Ziel ist wunderbar, aber die Regierung hat wieder einmal vergessen zu erwähnen, wie das alles passieren soll. Im Erfinder- und Pionierland Deutschland tut sich nämlich gar nichts in der Richtung.

Nach über drei Jahren Forschungsarbeit mit mehr als 180 Millionen Euro öffentlichem und noch mehr privatem Geld haben wir hierzulande keine funktionierende Software, kein passendes Auto und auch keinen Betrieb, der solche vernetzten Formen in einem Regelbetrieb sichtbar und nutzbar zeigt.

Die Autohersteller haben die Idee des autonomen Autos immer noch nicht verstanden und kleben am Lenkrad, und die öffentlichen Verkehrsunternehmen schlagen sich noch mit Papierfahrscheinen und Ticketautomaten mit Bargeldzahlung herum.

Es ist also viel Raum für neue Akteure.

Fragen: Jörg Staude