Andreas Knie (Bild: WZB)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, nach vier Wochen Verhandlungen stellten SPD und Union am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag vor. Haben Sie darin eine Blaupause für die Verkehrswende gefunden?

Andreas Knie: Wenn man den Koalitionsvertrag mit einem Bekenntnis zum Auto in der Öffentlichkeit präsentiert, dann weiß man, dass diese neue Koalition eine von gestern ist. Noch vor dem Start läuft praktisch schon der Abspann.

Von einer Verkehrswende ist in dem Papier nichts zu finden. Bahn und öffentlicher Verkehr werden mit kleinen Häppchen abgespeist, die von den Branchenvertretern brav verspeist werden – denn man möchte ja auskömmlich in der Nische bleiben.

Eine Reorganisation der Deutschen Bahn AG soll nicht stattfinden. Die Koalitionäre sind sich nicht einig: Lieber die ganze Struktur auseinanderreißen oder doch irgendwie zusammenhalten? Gebraucht wird aber eine Vollintegration aller Betriebsteile zu einer Bahn.

Im Kern steht im Koalitionsvertrag: So wie es jetzt geht, geht es nicht, aber wir wissen auch nicht, wie es geht.

Das wunderbare Deutschlandticket soll erhalten bleiben, obwohl es viel zu teuer ist und leider kaum Autofahrende zum Umstieg animiert. Warum auch? Die Steuergeschenke für die gut verdienenden Autofahrer bleiben ja nicht nur alle erhalten, sie werden auch noch aufgestockt.

Die Pendlerpauschale steigt sogar noch und die Dieselsubventionierung wird wieder auf das alte Level angehoben. Und von einem generellen Tempolimit auf Autobahnen findet sich im Text auch keine Spur.

Ach so: Die Menschen sollen bitte wieder mehr fliegen. Das war ja schon peinlich – was sollen denn Europa und die Welt denken, wenn in Deutschland so wenige Flugzeuge landen und starten? Also wieder runter mit der Luftverkehrssteuer.

Die Koalition will am Bundesverkehrswegeplan festhalten. Mehrere Studien hatten gezeigt, dass darin aufgeführte Fernstraßen-Neubauprojekte unwirtschaftlich sind und auf veralteten Annahmen beruhen. Muss man sich in den kommenden vier Jahren auf teure und klimaschädliche neue Autobahnstrecken einstellen?

Geld soll es für die Infrastruktur durchaus geben, irgendwie jedenfalls. Genaue Zahlen legt man nicht vor und wie man das Ganze zwischen Straße und Schiene priorisieren möchte, darüber schweigt der Vertrag ebenfalls. Selbst die Art und Weise des Geldtransfers bleibt offen.

Es fehlt ein Bekenntnis zu einem Infrastrukturfonds, der es endlich einmal erlauben würde, die Modernisierung nicht nach aktueller Kassenlage im Haushalt zu betreiben, sondern langfristig.

Dass die bestehende Infrastruktur aber weder aus den öffentlichen Kassen noch aus Nutzerentgelten zu finanzieren ist, sondern privates Geld dazukommen muss, das wird zwar erwähnt, bleibt aber wie so vieles als interessanter Gedankengang im Text einfach mal so stehen.

Dabei hätte man hier neue Pflöcke einschlagen können. Die zwei größten Studien über das Verhalten der Menschen im Verkehr – "Mobilität in Deutschland" und "Mobilität in Städten" – haben kürzlich ihre neuen Ergebnisse vorgestellt, und die sind eindeutig: Der Autoverkehr nimmt tendenziell immer weiter ab und hat seit 2016 mehr als zehn Prozent Marktanteile verloren.

Und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Der demografische Wandel und die Digitalisierung werden auch weiterhin das Verhalten der Menschen im Verkehr prägen. Hieraus könnte man eine intelligente, nämlich bedarfsorientierte Infrastrukturpolitik ableiten.

Und da ist die Richtung eigentlich klar: allmählicher Rückbau des Autobahnnetzes und eine Modernisierung der Schiene. Eine schrumpfende Gesellschaft braucht keinen weiteren Ausbau der Verkehrsträger, sondern mehr Nützlichkeit.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das Überraschende an diesem Koalitionsvertrag ist: Es fehlt die zentrale Idee.

Wie die Grünen-Kovorsitzende Franziska Brantner es so treffend formuliert hat: Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh. Wo sind die Leitbilder, die Visionen, die Ziele? Weder lässt sich ein durchgängiges konservatives Weltbild erkennen noch ist die Idee einer solidarischen Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit nachweisbar.

Stattdessen arbeitet man sich fast schon panisch an den Grünen ab und entsolidarisiert nebenbei die Gesellschaft: die Reichen werden noch reicher und die Armen immer ärmer. Der Mindestlohn ist da nur ein Alibi. Immer neue Steuergeschenke und Steuersenkungen für die Menschen, die bereits viel haben, während das Bürgergeld praktisch abgeschafft und die Landesgrenzen am besten ganz dichtgemacht werden sollen.

 

Es fehlt jedes Maß an professioneller Weltsicht. Deutschland ist Teil einer globalisierten Weltwirtschaft und profitiert wie kaum eine andere Nation davon. Es gibt zu einer offenen, vielfältigen und gerechten Gesellschaft gar keine Alternative. Auch zu einem grünen Transformationsplan – grün meint hier keine Parteienfärbung – mit dem erklärten Ziel, die verbindlichen Klimaziele zu erreichen, kann es keinen Gegenentwurf geben – es sei denn, man liebt es, in der Hölle zu landen.

Stattdessen bestimmt die nackte Angst vor der AfD den gesamten Text. Aber Unehrlichkeit, Klientelpolitik, Unentschiedenheit und Mutlosigkeit werden schnell erkannt und Menschen merken das sofort. Mutiges Unterfangen und klarer Kurs wird dagegen belohnt. Sicherlich nicht von allen, aber von sehr vielen.

Doch welches Land glauben die Union und die SPD zu regieren? Das Deutschland aus dem Jahre 1959?

Fragen: David Zauner