Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.
Klimareporter°: Herr Knie, die Berichterstatterin des EU-Parlaments Miriam Dalli will mit ehrgeizigen CO2-Grenzwerten den Verkehr zum Klimaschutz verdonnern. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Andreas Knie: Die Idee ist und bleibt gut. Aber die EU – das Parlament wie auch die Kommission – hat sich leider als Papiertiger erwiesen. Es gibt tatsächlich weder eine Quote für Elektrofahrzeuge noch realistische Pläne für eine drastische Senkung der CO2-Grenzwerte. Gegen Deutschland, gegen die Bundesregierung, gegen die deutschen Autobauer macht auch in Brüssel keiner Politik.
Deutschland hat in der Vergangenheit alles blockiert, was dem Verkauf von Diesel- und Ottomotoren schaden könnte. Man darf schon froh sein, dass die Kommission – endlich – nach mehr als fünf Jahren Anlauf den Mut dazu gefunden hat, Deutschland auf die Einhaltung der schon viele Jahre geltenden Grenzwerte für Luftschadstoffe vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.
In Ihrem neuen Buch "Taumelnde Giganten" mit Weert Canzler werfen Sie der Autoindustrie vor, den klimafreundlichen Wandel nicht mal zu wollen. Ist das zurzeit für die Konzerne, sofern sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern, wirtschaftlich einfach das Cleverste? Oder ist das wegen der globalen Trends schon mittelfristig zum Scheitern verurteilt?
Die Autoindustrie handelt fahrlässig, ihr Denken ist allein auf die Sicherung der kurzfristigen Profitziele gerichtet. Das ist in einer marktkapitalistischen Demokratie nicht verwunderlich. Wenn sich dazu aber noch Lug und Trug gesellt, ist das unverantwortlich.
Wer Fahrzeugmodelle zur Typenzulassung anmeldet und dabei immer noch unzulässige Abschaltvorrichtungen einbaut, hat insgesamt das Recht auf Zulassung verwirkt. Man sollte darüber nachdenken, dass solche Hersteller dann überhaupt keine neuen Fahrzeuge mehr verkaufen dürfen. Es ist nicht mehr daran zu glauben, dass die neuen Modelle tatsächlich weniger Schadstoffe ausstoßen als die alten.
Aber die Bundesregierung hält still, von Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen hört man wenig. Es scheint an der Zeit zu sein, nochmals über das Instrument des Verbraucherboykotts nachzudenken. Warum sollte man nach den neuesten Nachrichten aus den Häusern Daimler und Audi überhaupt noch deutsche Autos kaufen?
Langsam beginnt die Saison des Sommer-Urlaubs. Vor allem durch die vielen Flüge ist das ein klimaschädliches Unterfangen – gleichzeitig bildet das Reisen, ist in vielen Ländern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und verbindet Menschen über Kontinente hinweg. Was wünschen Sie sich als Verkehrssoziologe für die Tourismus-Branche?
Hier stecken wir in einem Dilemma. Reisen bildet und trägt zur Völkerverständigung bei – wer oft und viel fremde Kulturen besucht, ist nachweislich aufgeschlossener und toleranter. Doch der Preis dieser immer größer werdenden, weltumspannenden Karawanen ist sehr hoch.
Die Menschen allein auf den Nah-Raum zu verpflichten, wird genauso wenig helfen wie durch Kompensation das schlechte Gewissen zu beruhigen. Effizientere Technik – beispielsweise Flugzeuge, die weder Lärm noch Schadstoffe ausstoßen – wäre eine Lösung. Aber es wird nie ganz ohne Folgen für die Umwelt gehen.
Vielleicht könnte man tatsächlich die Zahl der touristischen Fernreisekilometer pro Kopf deckeln und zertifizieren und daraus einen Handel machen. Wer viel reisen will, muss sich entsprechende Zertifikate von denen holen, die weniger unterwegs sind.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Mal wieder die Sozialdemokraten. Obwohl der Berliner Senat bereits ein neues Mobilitätsgesetz auf den parlamentarischen Weg gebracht wurde, entdeckt die SPD plötzlich ihre Liebe für die Autofahrer. Dabei sollte man wissen, dass das Auto wie kein anderes Verkehrsmittel privilegiert wird und die Stadt dominiert und dass es erstmals im neuen Berliner Gesetz zumindest rhetorisch eine Gleichbehandlung mit anderen Verkehrsmitteln geben sollte.
Aber die Sozialdemokraten haben eine große Liebe für Untergehendes, keine Spur mehr von Moderne. Sie sind die eigentlichen Bewahrer der Adenauer-Zeit. Sie hängen am Ideal des alten Wirtschaftswunders, an der Atomkraft, an der Braun- und Steinkohle und eben am privaten Auto, und das möglichst massenhaft und billig. Die SPD möchte Politik für Menschen machen, die es gar nicht mehr gibt.
Fragen: Susanne Schwarz