Bushaltestelle an der Landstraße nach Bad Oldesloe, ein Auto fährt vorbei.
Auf dem Land hilft ein günstiges Ticket wenig, wenn kein Bus mehr fährt und die Bahnlinie schon lange stillgelegt ist. (Bild: Thierry Jové/​Pixabay)

Seit Dienstag können Berlinerinnen und Berliner das 29‑Euro-Ticket erwerben. Einen Monat lang können sie künftig für diesen Preis Bus, Tram sowie S‑, U‑ und Regionalbahn innerhalb der Berliner Stadtgrenzen nutzen. Das Ticket gibt es nur online und im Abo für ein Jahr.

Den klammen Berliner Landeshaushalt soll das Ticket dieses Jahr 150 Millionen Euro kosten, 2025 dann die doppelte Summe.

In der Bevölkerung kommt das verbilligte Nahverkehrsangebot gut an, ergab eine Umfrage des ARD-Senders RBB. 60 Prozent der Befragten halten die Einführung des Tickets für richtig, 33 Prozent für falsch. Unter den 16- bis 34-Jährigen stimmen sogar 71 Prozent der Einführung des 29-Euro-Tickets zu.

Weniger begeistert sind Verkehrsexperten. Die Berliner Insellösung außerhalb des 49-Euro-Deutschlandtickets werde vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) abgelehnt, erklärt Alexander Kaas Elias, Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodalität bei dem ökologisch orientierten Verband. Da sei das Hamburger Modell besser, bei dem Kinder, Jugendliche, Studierende, Azubis sowie Menschen mit wenig Einkommen ein Deutschlandticket stark vergünstigt erhielten, sagt Kaas Elias.

Der VCD plädiert dafür, innerhalb des Deutschlandtickets einen Jugend-, Azubi- und Sozialtarif für maximal 29 Euro einzuführen. "Darüber hinaus sollen Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr kostenlos nutzen dürfen", fordert Kaas Elias namens des VCD.

Kosten der Autogesellschaft trägt zur Hälfte die Allgemeinheit

Am 1. Mai wurde das Deutschlandticket ein Jahr alt. Aus dem Anlass stellte ein Verbändebündnis aus VCD, Klima-Allianz Deutschland und Arbeiterwohlfahrt jetzt eine Untersuchung zur Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs vor.

Die vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) erstellte Studie zeigt erneut, dass der motorisierte Individualverkehr – also das Auto vor allem – die Gesellschaft teuer zu stehen kommt. Laut der Studie summieren sich dessen Kosten insbesondere durch Autounfälle, Abgase und Lärm sowie durch Natur- und Klimaschäden auf jährlich rund 104 Milliarden Euro.

Dem stehen, wird weiter vorgerechnet, lediglich Einnahmen von 46 Milliarden Euro aus CO2-Bepreisung, Energie- und Kfz-Steuer sowie Kfz-Versicherung gegenüber. Mehr als die Hälfte der Kosten werde "nicht angelastet", sondern von der Allgemeinheit getragen, kritisieren die Autoren.

Sorgen bereitet den Verbänden besonders, dass ärmere Haushalte und ungeschützte Gruppen wie Kinder einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Kosten zu tragen haben. Um die Kosten zu verringern und deren ungleiche Verteilung zu ändern, fordert das Bündnis vor allem den massiven Ausbau des ÖPNV sowie auch die Elektrifizierung des Verkehrs. Die Kosten dafür veranschlagt die Studie auf 5,4 bis 8,4 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Bundesregierung müsse ihre Versprechen einhalten, die Fahrgastzahlen im ÖPNV zu verdoppeln und das 49-Euro-Ticket langfristig zu sichern, wird weiter gefordert. Ziel müsse die zur Einhaltung der Klimaziele erforderliche Verkehrsverlagerung vom Auto auf Bus und Bahn sein.

Deutschlandticket bringt dem ÖPNV kaum neue Kunden

Zu einem Weg-vom-Auto-Trend trägt das 49-Euro-Ticket allerdings wenig bei. Wie die Analyse der Nutzungsprofile zeige, profitierten von dem Ticket vor allem die bisherigen Kunden des öffentlichen Verkehrs, erläutert Andreas Knie, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin.

Rund ein Viertel der bisherigen Nutzer fahre sogar deutlich mehr Bus und Bahn als zuvor, so Knie. "Der Preis begeistert, weil sich gerade in Ballungsräumen die Abo-Kosten im Schnitt fast halbierten und das Verkehrsangebot zugleich deutlich ausgeweitet wurde."

Reisende warten im Bonner Hauptbahnhof auf einen Zug nach Köln.
Die Zahl der Bahnfahrenden soll eigentlich bis 2030 verdoppelt werden. (Bild: Dimitrios Symeonidis/​Shutterstock)

Umso bedauerlicher findet es der Forscher, dass bisher praktisch keine Neukunden gewonnen werden konnten. Einen Grund sieht er darin, dass der Preis von 49 Euro noch zu hoch sei für Leute, die die Wahl zwischen Auto und öffentlichem Verkehr haben.

Anderen Angaben zufolge sind nur acht Prozent der Deutschlandticket-Nutzer vorher nicht regelmäßig mit Bus oder Bahn unterwegs gewesen. Kurz gesagt: Das Deutschlandticket allein lässt bisher zu wenig Autos stehen.

Das 49-Euro-Ticket sei nur ein Teil der Lösung, räumt auch Jonas Becker ein. Er ist Mobilitätsreferent der Klima-Allianz Deutschland, eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses. Mit dem Ticket ist aus seiner Sicht der ÖPNV jedoch klar günstiger geworden als das Auto.

Was den Leuten fehle, seien die Bus- und Schienenverbindungen, die über Jahrzehnte weggespart wurden, erläutert Becker. Das zu korrigieren, brauche Zeit, Investitionen und langfristige Zusicherungen von Bund und Ländern.

Becker: "Insbesondere Kommunen brauchen enorme Unterstützung, um das Angebot halten und ausbauen zu können in den Dörfern und Kleinstädten, damit überhaupt ein Bus fährt in einer guten Taktung."

Investitionen in die "letzte Meile"

Um gerade das sogenannte Problem der letzten Meile – etwa von der Bahn-Haltestelle zur Wohnung – in den Griff zu bekommen, hält VCD-Experte Kaas Elias eine sichere Radinfrastruktur und sichere Unterbringungsmöglichkeiten für Fahrräder und E‑Scooter an den Bahnhöfen für nötig.

"Auch das Zufußgehen muss erleichtert werden, etwa mit barrierefreien Fußwegen zur Haltestelle und zum Bahnhof, damit alle, ob gut zu Fuß, mit Rollstuhl, Rollator, schwerem Gepäck oder Kinderwagen, gut ankommen", fordert der VCD-Experte weiter. Für längere Distanzen böten sich On-demand-Systeme wie Rufbusse an. Diese würden dort, wo sie eingeführt wurden, auch gut angenommen, sagt Kaas Elias.

Der VCD spricht sich in diesem Zusammenhang für eine Mobilitätsgarantie aus. Dazu zählt der Verband einen öffentlichen Verkehr, der verfügbar, zugänglich und bezahlbar ist, und gute Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr.

 

Würden dank der Milliarden-Investitionen in einigen Jahren zehn Prozent des Autoverkehrs auf den öffentlichen Verkehr verlagert, könnten jährlich 5,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, umreißt die Studie den klimapolitischen Nutzen.

Das entspricht in etwa der CO2-Minderung, die ein praktisch kostenfrei einführbares Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen bringen würde. Um den Überemissionen im Verkehr wirklich beizukommen, müssen offenbar andere Wege gegangen werden, wie der Umstieg auf E‑Antriebe und die Aufhebung steuerlicher Privilegien des Autos.

VCD-Experte Kaas Elias hält das 49-Euro-Ticket dennoch für eine Erfolgsidee und weist darauf hin, dass im Laufe des letzten Jahres 20 Millionen Menschen das Ticket abonniert haben, aktuell seien es 11,2 Millionen.

Das Ticket habe zu einer stärkeren Nutzung des öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs geführt, betont er. "Auch lassen Abonnent:innen des Tickets öfter das Auto stehen", ist sich Kaas Elias sicher. Das zeige: Das Potenzial für das Deutschlandticket sei hoch, sofern der Preis stabil bleibe.

Ergänzung am 6. Mai: In einer ersten Fassung hatten wir den VCD mit der Aussage zitiert, in Hamburg würden Menschen mit wenig Einkommen ein Deutschlandticket kostenlos erhalten. Der VCD hat sich nun korrigiert: Schülerinnen und Schüler zahlen für das Ticket 19 Euro, Azubis 29 Euro, mit Sozialrabatt kostet es 19 Euro.

Redaktioneller Hinweis: Mobilitätsforscher Andreas Knie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.