Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Bild: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU kam vor einem halben Jahr mit einem betont autofreundlichen Wahlkampf ins Amt. Wie sehr hat sich die Verkehrspolitik der Hauptstadt seitdem verändert? Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Andreas Knie: Man kann noch nichts erkennen. Aber dass Städte heute vor großen Problemen stehen und ihre Infrastruktur neu ausrichten müssen, um eine lebendige, nachhaltige und soziale Stadt zu werden, ist auch der CDU nicht entgangen.

Ein Verkehrsmittel, das in Berlin nur an 20 Prozent der Wege beteiligt ist und weniger als 40 Prozent der Verkehrsleistungen erbringt, dafür aber fast 80 Prozent der Fläche braucht und rund 95 Prozent seiner Zeit steht und, wenn es dann fährt, mit nur einer Person besetzt ist – ein solches Verkehrsmittel wird die Berliner CDU auch nicht verteidigen. Ganz bestimmt nicht.

Die Internationale Energieagentur prognostiziert in ihrem aktuellen "World Energy Outlook" ein starkes Anwachsen der Elektromobilität. Im Jahr 2030 sollen zehnmal so viel E‑Autos weltweit auf den Straßen unterwegs sein wie heute. Ist die IEA da nicht allzu optimistisch?

In der Tat ist die IEA zu optimistisch. Mit Ausnahme Chinas sind alle anderen traditionellen Autogesellschaften noch sehr zögerlich unterwegs.

An der Spitze der Bremsenden steht Deutschland. Die Autoindustrie wartet lieber auf die E-Fuels. Da braucht man nix zu ändern, kann weiter zu große, zu schwere, zu durstige und zu teure Autos bauen. Jedes neue batterieelektrische Auto stört da nur.

Das von der IEA prognostiziert Ziel wird also unter den heute geltenden Bedingungen nicht zu schaffen sein.

Der Bund unterstützt ein Projekt für autonom fahrende Shuttle-Busse in Hamburg mit 26 Millionen Euro. Verkehrsminister Wissing überreichte in dieser Woche den Förderbescheid und lobte das autonome Fahren als einen "Schlüssel, um die Straßen in Großstädten zu entlasten und gleichzeitig Mobilität bis vor die Haustür zu sichern". Hat er recht damit?

Da hat der Verkehrsminister tatsächlich recht. Auch in einer modernen Großstadt wird der Verkehr immer nur in einzelnen Relationen gebündelt und durch Großgefäße wie Busse und Bahnen betrieben werden können. Die letzte Meile bleibt immer das strategische Problem im öffentlichen Verkehr.

Autonom fahrende Shuttles bilden daher zusammen mit den Bahnen eine sogenannte Hub-and-Spoke-Struktur, die eine moderne Form eines Punkt-zu-Punkt-Verkehrs darstellt. Hamburg macht sich hier mit einem weiten und mutigen Schritt in Richtung Zukunft auf.

Autonomes Fahren ist aber nur möglich, wenn die Fahrzeuge mit Kameras und Sensoren ausgestattet sind, die permanent die Umgebung überwachen, um darauf selbstständig reagieren zu können. Wer im öffentlichen Raum unterwegs ist, muss dann damit rechnen, ständig von Kameras erfasst zu werden. Wie lässt sich dieses Datenschutzproblem lösen?

Da ist sie wieder, die typisch deutsche Angst: Datenschutz. Da gibt es eine Chance, eine neue Technik im öffentlichen Raum einzuführen, die endlich den männlichen Wahn beim Autofahren ausbremsen und für Sicherheit auch im Verkehr sorgen könnte – und wir haben schon wieder Bedenken.

Datenschutz ist in den letzten Jahren zu einem Synonym für hemmungslose Ichbezogenheit geworden. Im vermeintlichen Interesse des Allgemeinwohls ziehen hier die Ego-Shooter knallhart ihre Interessen durch.

Was soll denn bei diesem Datenschutz geschützt werden, was ist denn das zu schützenden Gut? Die kleine, saturierte Welt der Gutbetuchten. Die 350.000 Schwerverletzten jedes Jahr, deren Zahl mithilfe von autonomen Fahrfunktionen deutlich gesenkt werden könnte, diese Menschen haben vermutlich eine andere Sicht der Dinge.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Bleiben wir beim autonomen Fahren: Es war überraschend, dass San Francisco dem US-Unternehmen Cruise die Fahrerlaubnis gleich für alle Robo-Taxis in der Stadt entzogen hat.

Allerdings war der unmittelbare Grund nicht ein Unfall, sondern die mangelhafte Kooperation des Unternehmens, alle Unterlagen zu einem Unfall von Anfang Oktober bereitzustellen. Die Havarien der Robo-Taxis in diesem Sommer werden von der US-Verkehrssicherheitsbehörde erst noch untersucht und gelten als wertvolle Daten bei der weiteren Optimierung der Systeme.

In Deutschland werden wir so etwas nicht erleben, weil bei uns die Lösung erst dann zugelassen wird, wenn sie perfekt vom Himmel gefallen ist.

Fragen: Verena Kern

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