Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: Sebastian Knoth)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.

Klimareporter°: Herr Knie, seit Anfang der Woche stehen die Kanzlerkandidat:innen fest. Die Grünen wollen Annalena Baerbock ins Rennen schicken, die CDU Armin Laschet. Schon seit Längerem hat sich die SPD auf Olaf Scholz festgelegt. Wem trauen Sie zu, die seit Jahrzehnten vernachlässigte Verkehrswende voranzubringen?

Andreas Knie: Armin Laschet und Olaf Scholz sind Kandidaten des Kompromisses, des Taktierens, des Durchmogelns. Vor allen Dingen was den Schutz des privaten Automobils angeht. Die Verkehrswende braucht aber eine Politik der klaren Kante. Die dem Auto eingeräumten Privilegien müssen fallen, eine steuerliche Bevorzugung des Autos darf es nicht mehr geben.

Annalena Baerbock deutet hier an, Klartext sprechen zu wollen. Den Grünen würde man jedenfalls einen Politikansatz abnehmen, der hier Tabula rasa macht und dem Auto die rechtlichen und finanziellen Privilegien wieder entzieht.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den "Nationalen Radverkehrsplan" beschlossen. Sogar der Fahrradclub ADFC bezeichnet den Plan als kleine Revolution. Zu Recht?

Der neue Radverkehrsplan ist ein laues Lüftchen und setzt die Tradition seiner Vorgänger fort: Viel ankündigen, aber wenig machen. Für die nächsten drei Jahre soll eine Milliarde Euro für den Ausbau der Rad-Infrastruktur verfügbar sein. Klingt viel, ist aber wenig. Die drei Kilometer der Autobahn A 100 in Berlin kosten jetzt schon genauso viel!

Der Bund möchte Fahrradschnellstraßen bauen und die Planung beschleunigen. Schön. Viel besser wäre es, wenn jede Bundesstraße konsequent einen sicheren Fahrradweg hätte und wenn Straßen, die das noch nicht haben, für den Verkehr geschlossen würden.

Und: Die letzte Woche endlich erreichte Einigung zur Reform der Straßenverkehrsordnung sichert immer noch die Vorfahrt des Autos rechtlich ab. Fahrradpolitik bleibt in Deutschland weiterhin Pritzelkram: kleinteilig, langwierig und ohne Anspruch auf Durchbruch. Was den ADFC daran begeistert, ist mir völlig schleierhaft.

Wer sein Auto gegen ein E-Bike umtauscht, soll nach dem Willen der französischen Nationalversammlung mit 2.500 Euro belohnt werden. Brauchen wir solche Prämien für die Verkehrswende?

Welches Verkehrsmittel am Ende des Tages genutzt wird, hängt auch von den Kosten der Nutzung ab. Und hier verfolgt Deutschland seit Jahrzehnten eine einseitige Förderung des Automobils. Das kostet im Jahr rund 110 Milliarden Euro. An Steuereinnahmen kommen aber nur 65 Milliarden zur Gegenfinanzierung herein.

Um auch andere Verkehrsmittel attraktiv zu machen, müssen also auch finanzpolitisch neue Wege gegangen werden. Die Stilllegung von Fahrzeugen könnte belohnt und natürlich auch der Erwerb eines pedalelektrischen Fahrrades bezuschusst werden.

Entscheidend ist aber: Das Anrechnen der Autokosten auf die Steuerlast muss komplett für alle gewerblichen und privaten Halter fallen!

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Wieder mal eine unschöne und wieder mal in Berlin. Das Land hatte den Rückkauf des Stromnetzes von Vattenfall mit großem Brimborium eingeleitet und angekündigt, bei der geplanten Rekommunalisierung auch die Bürgergesellschaft angemessen zu beteiligen. Das wäre im Sinne einer konsequenten Energie- und Verkehrswende ein notwendiger Schritt, um dabei nicht wieder in die alten Trutzburgstrukturen der West-Berliner Eigenbetriebe zurückzufallen.

Am Dienstag wird der Senat den Rückkauf offiziell beschließen, dummerweise hat man dabei die angekündigte Zusammenarbeit mit der genossenschaftlichen Bürger-Energie völlig vergessen. Es gab noch nicht einmal Gespräche. Zur Erinnerung: Berlin wird von einem rot-rot-grünen Senat regiert.

Fragen: Sandra Kirchner

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