VW
Muss der VW-Chef gehen, weil er konsequent auf E-Autos setzte? (Foto: Simon Steinberger/​Pixabay)

Herbert Diess hört zum 1. September überraschend als VW-Konzernchef auf. Er kam 2015 zu Volkswagen und wurde 2018 Konzernchef. Wie sieht seine Bilanz aus? Und was bedeutet der Wechsel für die Verkehrswende?

Diess war der erste Chef bei VW, der den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor unterstützt und auf Elektrifizierung gesetzt hat. Konsequenter und früher als andere deutsche Automanager trat er für eine batterieelektrische Wende ein. Er hielt auch wenig von Hybrid-Förderung und E-Fuels.

Gleichwohl setzte er wie seine Vorgänger ganz auf "Das Auto" – so ein gängiger Werbeslogan von VW. Die vielbeschworene Transformation vom Autohersteller zum Mobilitätsanbieter war auch nicht wirklich seine Sache. Eine damit verbundene Digitalisierung und den Aufbau von Dienstleistungs-Know-how hat er stiefmütterlich behandelt.

Mit dem ID 3, dem neu konzipierten vollelektrischen "Golf für das Elektrozeitalter", wollte Diess die Wende bei VW einläuten. Die Fahrzeuge der ID-Serie enttäuschten jedoch. Aus technischer Sicht ähneln sie umgebauten Verbrennern. Die chinesischen Kunden finden die IDs insbesondere wegen der Softwareausstattung altbacken. Auch bidirektionales Laden, eine Voraussetzung, um als Stromspeicher eine Rolle in der Energiewende zu spielen, sucht man vergeblich.

Selbst auf dem heimischen Markt blieben die ID-Fahrzeuge ein Nischenprodukt. Im Juni belegten die Fahrzeuge der ID-Serie die Plätze 15 und 17 in der Zulassungsstatistik. Der VW-Konzern produziert trotz aller ostentativen E-Mobilitätseuphorie weiterhin überwiegend Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor, nur jedes zwanzigste Fahrzeug war 2021 vollelektrisch. Klimapolitisch alles andere als ein Durchbruch.

Die Frage ist nun, warum Diess jetzt gehen muss. Das hat mehrere Gründe.

Probleme mit dem VW-Betriebssystem

Neben den Batterien wird in Zukunft ein Löwenanteil der Wertschöpfung bei der Software liegen – bei Tesla sind digitale Services heute schon für ein Drittel des Gewinns verantwortlich. Hier müssen die traditionellen Autohersteller viel aufholen. Entweder entwickeln sie eigene Software-Stacks oder sie müssen notgedrungen Google oder Apple ins Fahrzeug lassen.

Diess setzte auf eine Eigenentwicklung, die markenübergreifend zum Einsatz kommen sollte, um Skaleneffekte auszunutzen – eine durchaus einleuchtende Strategie. Die von ihm ins Leben gerufene Software-Abteilung Cariad sollte ein konzernübergreifendes Betriebssystem ("VW OS") liefern. Hier stieß Diess jedoch auf erheblichen Widerstand, nicht zuletzt bei einigen Markenvorständen.

Die Entwicklung hakte immer wieder, es kam wie bei der Auslieferung des ID 3 zu Verzögerungen. Laut Tagesspiegel-Einschätzung hat sich VW verzettelt: "Denn bislang entwickelt Cariad parallel zwei Systeme (E1.2 und E2.0), was mehr Personal und höhere Kosten erfordert."

Konflikte mit dem Betriebsrat und dem Veto-Spieler Niedersachsen

Dem Betriebsrat in Wolfsburg und der mächtigen Industriegewerkschaft Metall war Diess schon früh ein Dorn im Auge. Der IG Metall geht das alles zu schnell mit der Transformation. Diess' Kumpanei mit Elon Musk, "diverse Entgleisungen" wie sein Faible für 250-Euro-Steaks in New York, fehlender Stallgeruch, mangelnde Tuchfühlung mit der Belegschaft und diverse Macho-Auftritte wurden ihm vorgeworfen.

Dass Diess immer wieder betonte, Tesla mache vieles richtig und sei die Konkurrenz, die es zu schlagen gelte, kommt bei der organisierten Arbeit in Deutschland einem Tabubruch gleich. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf: dass ein US-amerikanisches Start-up den deutschen Ingenieuren erklärt, wie man Autos baut.

Vor allem die Elektrostrategie des VW-Chefs ging der IG Metall zu weit. Diess habe eine "überhastete Wende zu Elektroautos" erzwingen wollen, so der Tenor. Mit dieser Kritik standen die Gewerkschafter nicht allein.

Auch das Land Niedersachsen als Gesellschafter mit einem gesetzlich garantierten Quasi-Vetorecht betrachtete Diess mit Argwohn. Obwohl gerade neue Arbeitsplätze in der Batterieproduktion in Salzgitter entstanden sind, wurde ihm vorgehalten, dass der Strukturwandel des wichtigsten Unternehmens des Landes zu viel Beschäftigung gefährde und zu viel Unruhe in den Standort Südostniedersachsen bringe.

Einbruch des Absatzes – vor allem in China

Entscheidend für Volkswagen ist das China-Geschäft. 2021 hat VW 3,3 Millionen Fahrzeuge in China verkauft, ein Rückgang um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch wenn der Marktanteil auf elf Prozent gesunken ist, ist VW aber immer noch das erfolgreichste ausländische Unternehmen in China.

Porträtaufnahme von Timo Daum.
Foto: Fabian Grimm

Timo Daum

ist Physiker, Hochschul­lehrer und Sach­buch­autor. Sein Buch "Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie" erhielt 2018 den Preis "Das politische Buch" der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daum ist Gast der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität am Wissenschafts­zentrum Berlin (WZB). Sein Beitrag erscheint ebenfalls im WZB-Blog der Forschungsgruppe.

Bei batterieelektrischen Fahrzeugen sieht es für VW in China allerdings schlecht aus. Ganze 70.625 ID-Fahrzeuge konnte das Unternehmen vergangenes Jahr im weltgrößten Markt für Elektroautos an den Mann oder an die Frau bringen, das entspricht einem Marktanteil von 2,4 Prozent.

Das wurde vor allem dem Konzernchef angelastet – auch wenn der Einbruch des China-Geschäfts weniger an unglücklicher Strategie, verfehlter Modellpolitik oder mangelnder China-Kenntnis von Herbert Diess liegt. Das Umfeld ist gerade bei der E-Mobilität insgesamt schwierig.

Die chinesische Führung strebt einen Marktanteil von 80 Prozent für einheimische Hersteller an. Die batterieelektrische Zukunft in China machen Tesla und einheimische Autobauer unter sich aus, deutsche Hersteller haben insgesamt derzeit nur einen Marktanteil von vier Prozent.

Die Reaktionäre haben sich durchgesetzt

Entscheidend für Diess' Rausschmiss ist, dass seine Strategie, auf den batterieelektrischen Massenmarkt zu setzen, weder von der IG Metall und den Betriebsräten noch vom Land Niedersachsen geteilt wird. Ihren Bedenken haben letztlich auch die Eigentümerfamilien Piëch und Porsche nachgegeben. Sie setzen auf Oliver Blume, der von Porsche kommt und neben dem Elektroantrieb zugleich auf E-Fuels und Verbrennungsmotoren setzt.

Blume kann zudem mit den Richtigen kumpeln: Auf einer Porsche-Betriebsversammlung brüstete er sich jüngst damit, er habe "sehr großen Anteil" daran gehabt, dass die weitere Nutzung von synthetisch hergestellten E-Fuels für Verbrenner in den Koalitionsvertrag eingeflossen sei. "Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten", prahlte er – was der FDP-Chef freilich bestreitet.

Neben den persönlichen Anti- und Sympathien ist ein anderes Motiv hinter diesem Personalwechsel besorgniserregend. Die IG Metall in Wolfsburg und anderswo sehnt sich offenbar nach alten Zeiten zurück.

Die waren zwar mit dem Dieselbetrug, einem der größten Umwelt- und Wirtschaftskriminalfälle der Nachkriegszeit, verbunden. Aber da liefen eben massenweise übermotorisierte SUVs vom Band und wurden in die ganze Welt hinausexportiert. Gute alte Zeiten am Konzernsitz.

Die ersten ID-Elektroautos wurden hingegen in Zwickau in Sachsen gebaut, in Wolfsburg wollte man zunächst gar nichts mit der ganzen Sache zu tun haben.

Die Eigentümer scheinen auf eine Strategie zu setzen, die auch Daimler verfolgt: Abschied vom Volumen, mehr Marge in der Nische. Neuerdings heißt auch bei VW die Parole "Marge und Qualität". Der Börsengang von Porsche deutet in diese Richtung. Es ist ein Zeichen der Auflösung des Konzerns, profitable Nischenmarken wie Porsche werden vom Massengeschäft herausgelöst.

Währenddessen vertritt der Ministerpräsident von Niedersachsen, der im Aufsichtsrat von VW sitzt und den 20-Prozent-Anteil seines Bundeslandes an VW repräsentiert, die vermeintlichen Interessen der Region. Heutige Arbeitsplätze um jeden Preis – und sei es um den Preis der Zukunftsfähigkeit.

Es geht abwärts mit der deutschen Autoindustrie

Aus Sicht der Verkehrswende, die eine schnelle Elektrifizierung und kleine, vielseitig verwendbare E-Autos durchaus benötigt, ist Diess' Abschied eine schlechte Nachricht. Bei VW haben sich die Kräfte durchgesetzt, die die altbewährte Fossilstrategie weitertreiben wollen. Sie hoffen und erwarten, dass "die Politik es schon richten wird". Sie setzen darauf, dass es noch eine Weile so weitergeht – und danach die Sintflut.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Die Krise der deutschen Automobilindustrie verschärft sich, wenn deren ernsthaftester Modernisierer gehen muss. Denn die deutsche Autoindustrie droht abgehängt zu werden.

Ausdruck dessen ist auch die gerade begonnene Batterieproduktion in Salzgitter, die mangels eigenen Know-hows bei VW in Kooperation mit einem chinesischen Unternehmen aufgebaut wird. Selbst der Betriebsleiter kommt vom chinesischen Partner. Bis vor Kurzem war das mit umgekehrten Vorzeichen das chinesische Modell. Jetzt muss VW ein chinesisches Unternehmen auf den Heimatmarkt lassen, um überhaupt noch mitzukommen.

Die fast tröstliche Nachricht aus Verkehrswendeperpektive: 2021 stellte VW 8,3 Millionen Autos her, so wenig wie zuletzt 2010 und ein Rückgang um satte 25 Prozent gegenüber dem Jahr 2018, als mit elf Millionen die historische Spitze erreicht wurde.

Ein Trend, den auch der Neue an der Spitze von VW mit seinen markigen Sprüchen wohl nicht aufhalten kann.

Mit Dank an Weert Canzler für Hinweise und Ergänzungen.

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