Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. (Foto: HMWEVL)

Herr Al-Wazir, Ihre schwarz-grüne Koalition hat beim Start ambitionierte Energiewende-Pläne vorgelegt, um den Nachzügler Hessen nach vorne zu bringen. Das Ziel, bis Ende 2018 rund 25 Prozent des Stroms erneuerbar zu gewinnen, werden Sie jedoch verfehlen. Ziemlich peinlich für einen Grünen-Minister, oder?

Tarek Al-Wazir: Warten wir doch einfach mal ab, wo wir am Ende landen. Das Ziel ist sportlich, aber erreichbar. Wir sind bei 12,5 Prozent gestartet, Ende 2016 hatten wir über 17 Prozent. Die prozentuale Steigerung war zuletzt höher als im Bund.

Und 2017 dürfte einen weiteren Sprung nach vorne gebracht haben, die Hessen-Auswertung liegt noch nicht vor. Deshalb bin ich guter Dinge, dass wir bis Ende 2018 zumindest sehr nahe an unser Ziel herankommen werden. Wenn man sieht, wo wir herkommen, ist das eine Riesenleistung.

Bei der Windkraft hat Hessen sich deutlich nach vorne geschoben, Sie liegen vor dem bisherigen Süd-Champion Rheinland-Pfalz ...

... und sogar vor dem Küstenland Mecklenburg-Vorpommern!

Bei den jüngsten Windkraft-Ausschreibungen gab es jedoch nur wenige Zuschläge in Süddeutschland, auch Hessen leidet darunter. Wie wollen Sie gegensteuern?

Es droht nach der Umstellung auf die Ausschreibungen in der Tat ein Fadenriss. Im vorigen Jahr wurden bundesweit nur rund fünf Prozent der Zuschläge für Anlagen südlich der Main-Linie erteilt.

An einer solchen Schieflage kann niemand ein Interesse haben. Denn bei einer weiteren übermäßigen Konzentration der Windkraft im Norden müssten die Strom-Übertragungsnetze im Zweifel noch viel stärker ausgebaut werden als jetzt geplant, um Strommangel im Süden zu verhindern. Das wäre für die Akzeptanz der Energiewende nicht gut und es würde auch unnötig hohe Kosten verursachen.

Was muss also geschehen?

Wir brauchen eine Regionalisierung der Ausschreibungen, denn Windkraftstandorte in Hessen oder Baden-Württemberg können mit Küstenstandorten nicht konkurrieren. Also müssen wir durch Kontingente für einzelne Regionen sicherstellen, dass der Ausbau auch im Süden nicht abreißt, da muss der Bund tätig werden.

Zudem ärgert es mich wahnsinnig, dass die Privilegien für Bürgerenergiegenossenschaften in den ersten Ausschreibungsrunden von zweifelhaften Bietern so gnadenlos ausgenutzt wurden. Im Ergebnis kann das nämlich heißen, dass etliche Projekte, die einen Zuschlag erhalten haben, gar nicht gebaut werden. Das muss in Zukunft verhindert werden. Und da ist die Bundesregierung ja auch tätig geworden.

Die neue schwarz-rote Bundesregierung will in den nächsten zwei Jahren Sonderausschreibungen für Solar- und Windprojekte durchführen. Reicht das?

Das ist ein richtiger Schritt. Aber es kommt sehr darauf an, wie der Bund die Ausschreibungen gestaltet. Wenn regionalisiert wird, kann uns das helfen, nicht in das Loch zu fallen, das sich derzeit vor uns auftut. Und: Das hohe Ausschreibungsniveau muss auch danach beibehalten werden.

Wie sieht es bei den anderen erneuerbaren Energien in Hessen aus?

Bei Biogas – wie in anderen Bundesländern auch – sehr schlecht. Es gibt, seitdem der Bund hier auf die Bremse gegangen ist, praktisch keinen Zubau mehr.

Bei der Photovoltaik geht es zum Glück wieder aufwärts, besonders bei den Privathaushalten. Wir führen das auch auf unser Internet-Solarkataster zurück. Wir haben dort jedes einzelne Dach in Hessen digitalisiert. Jeder kann also mit wenigen Mausklicks herausfinden, wie viel Strom er auf seinem Dach mit einer Photovoltaik-Anlage ernten kann, was es kostet und was es ihm bringt.

Viele Bürger, die sich nach dem Schnitt bei den Einspeisetarifen ab 2012 von der Idee verabschiedet hatten, Solarstromproduzenten zu werden, merken nun, dass man die Investition wegen der günstigen Anlagenpreise häufig ziemlich schnell wieder drin hat.

Wie sind die Chancen, dem Solarausbau durch Mieterstrom-Modelle neuen Schub zu geben?

Gut. Hier war Hessen ja Vorreiter. Wir hatten bereits ein Mieterstrom-Konzept entwickelt, bevor das Bundesgesetz dazu 2017 beschlossen wurde. Jetzt kommt es darauf an, die Wohnungsbau-Gesellschaften und andere Mietshaus-Eigentümer davon zu überzeugen, dass Photovoltaik anders als noch vor zehn Jahren keine teure Technologie mehr ist – und dass es sich wirklich lohnt, selbst Strom für die Mieter zu erzeugen.

Kann der grüne Mieterstrom denn helfen, soziale Schieflagen bei der Energiewende zu mildern?

Durchaus. Nicht nur Eigenheimbesitzer, sondern auch Mieter müssen von der Kostensenkung bei den Öko-Energien profitieren. Das ist längst überfällig.

Kommen wir zum Netzausbau. Das Transitland Hessen hat sich gegen die Nord-Süd-Trasse auf eigenem Gebiet gewehrt und liegt deswegen mit Thüringen im Streit. Warum?

Wir wehren uns nicht generell gegen den Netzausbau. Ganz im Gegenteil. Von den vier hessischen Projekten des Energieleitungsausbau-Gesetzes von 2009 sind drei bereits fertig, und das vierte ist planfestgestellt. Wären alle anderen Bundesländer so weit, würden wir beim Ausbau der überregionalen Stromnetze weit weniger hinterherhinken.

Der Konflikt mit Thüringen entzündet sich an der Trassenführung für Suedlink – die große Nord-Süd-Trasse. Ich sage: Für das geplante Erdkabel muss die geologisch günstigste Variante gewählt werden, und die führt nun einmal nicht durch die hessischen Mittelgebirge, sondern über flacheres Gebiet in Thüringen.

Am Ende müssen fachliche Gründe den Ausschlag geben und nicht die Frage, wer am lautesten schreit. Ich persönlich habe auch schon vor der Entscheidung für die Erdverkabelung keinen Zweifel daran gelassen, dass Suedlink notwendig ist, auch wenn es dann Hessen getroffen hätte.

Die Digitalisierung gilt als Chance für die Energiewende, sie erlaubt zum Beispiel, den Elektrizitätsverbrauch besser an das fluktuierende Ökostrom-Angebot anzupassen. Andererseits ist sie auch selbst ein Energiefresser. Davon ist gerade auch der Internet-Knotenpunkt Frankfurt am Main betroffen. Was tun?

Das ist ein vordringliches Arbeitsgebiet. Wir entwickeln Effizienzkonzepte gegen den rasant steigenden Stromverbrauch, den die Digitalisierung mit sich bringt. Wie dramatisch er ist, zeigt sich in der Tat in Frankfurt. Hier haben im Jahr 2016 die Rechenzentren den Flughafen als größten Energieverbraucher abgelöst, und es ist die einzige Stadt, in der der Stromverbrauch im Sommer höher ist als im Winter.

Wir haben es mit unserer "Innovationsallianz Rechenzentren" immerhin erreicht, dass der Stromverbrauch deutlich langsamer steigt als bisher. Denn eines ist doch klar: Wir brauchen die Digitalisierung, weil ohne sie die Energiewende nicht funktioniert. Wenn man von 500 Kraftwerken auf ein System mit zwei Millionen Einspeisern und fluktuierendem Stromangebot geht, kann man das nicht mehr von Hand auf einer Leitwarte steuern.

Redaktioneller Hinweis: Das Interview wurde zuerst auf dem von der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) betreuten Portal "Föderal Erneuerbar" veröffentlicht.

Dieser Beitrag wurde nicht von der Redaktion erstellt. Er ist in Kooperation mit der Agentur für Erneuerbare Energien in einer Reihe mit 16 Länder-Interviews zur Energiewende in der Rubrik Advertorials erschienen.

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