Spätmittelalterlicher Rechentisch im Straßburger Frauenhausmuseum.
Ein Rechentisch liefert sehr brauchbare Resultate, wenn er von rechtschaffenen Kaufleuten bedient wird. (Foto: Brunswyk/​Wikimedia Commons)

Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit den Betreibern von Braunkohleanlagen einen "öffentlich-rechtlichen Vertrag" zu schließen, der "eine Entschädigung für die endgültigen Stilllegungen von Braunkohleanlagen" vor dem Jahr 2030 von 2,6 Milliarden Euro für Braunkohleanlagen im Rheinland und von 1,75 Milliarden Euro für die in der Lausitz regelt.

Das findet sich im Paragrafen 42 des Kohleausstiegsgesetzes. Diese Entschädigungen sind nicht nur generell, sondern auch konkret fragwürdig, befand kürzlich der Spiegel. Das Nachrichtenmagazin wertete entsprechende Dokumente aus, die die Zweifel daran bestärkten, dass der Lausitzer Braunkohlebetreiber Leag "durch das Kohleausstiegsgesetz wesentlich schneller Schluss mit der Stromproduktion machen muss als ohnehin vorgesehen".

Inzwischen, heißt es beim Spiegel weiter, wolle die Regierung von externen Gutachtern klären lassen, ob die Entschädigungen an die Leag gerechtfertigt seien. Das habe ein Vertreter des Bundesumweltministeriums den Mitgliedern des Umweltausschusses im Bundestag zugesichert.

Bei der Nachricht wundert man sich ein bisschen, dass das Umweltministerium, das gesetzgeberisch beim Kohleausstieg nicht viel zu sagen hat, so eine Zusage geben kann. Inzwischen betonte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber Klimareporter°, die Zusage im Umweltausschuss sei "namens der Bundesregierung" erfolgt.

Das zuständige Wirtschaftsministerium bestätigte gegenüber Klimareporter°, dass es – nein, nicht externe Gutachter zur Leag geschickt, sondern das Unternehmen um eine "Stellungnahme" gebeten hat. Hier erwarte man noch Informationen und werde diese prüfen, teilte das Ministerium weiter mit. Gleichlautend äußerte sich zu dem Punkt auch das Umweltministerium.

Formel ohne Werte

Das Haus Altmaier wies weiter darauf hin, dass die Leag selbst die Berichte über angeblich ungerechtfertigte Entschädigungszahlungen zurückweist. In der entsprechenden Mitteilung der Leag heißt es, man müsse wegen der durch das Ausstiegsgesetz "verkürzten Kraftwerkslaufzeiten" die Kohleförderung gegenüber dem Revierkonzept 2017 um "zusätzlich etwa 340 Millionen Tonnen reduzieren". Bis zum Sommer dieses Jahres wolle die Leag nun ein "überarbeitetes Revierkonzept mit einer angepassten Tagebauplanung vorlegen".

Dass das Wirtschaftsministerium das Energieunternehmen um eine Stellungnahme zu den Entschädigungen gebeten hat, bestätigt die Leag gegenüber Klimareporter° nicht. Zu den jetzigen "Anpassungen" des Revierkonzepts werde man sich äußern, wenn das Konzept überarbeitet sei, erklärt ein Leag-Sprecher. "Das wird voraussichtlich im Sommer dieses Jahres sein", verweist er auf den bekannten Zeitplan.

Wenn die Leag aber erst jetzt auf Grundlage des Ausstiegsgesetzes das Revierkonzept überarbeitet – das bisher geltende datiert ja aus 2017 –, stellt sich jedoch die Frage: Auf welcher Grundlage wurden dann die 1,75 Milliarden Euro ausgehandelt, die im Gesetz stehen?

Im Gesetzentwurf wird zwar eine Formel zur Berechnung der Entschädigungen genannt – mit derselben Formel werden übrigens auch die Entschädigungen für die Kraftwerke in der sogenannten Sicherheitsbereitschaft bestimmt –, allerdings finden sich im Ausstiegsgesetz keine Annahmen zu den einzelnen Kostenkomponenten der Formel. Die Summen lassen sich damit nicht nachvollziehen.

Kohleausstieg nach Kassenlage? Politischer Preis?

Wurden die Kosten dann vielleicht mal eben so geschätzt – das Kraftwerk weg, der Tagebau weg, ja, das macht so ungefähr ...? Das will man bei dem vielen Geld, um das es geht, doch eher nicht hoffen.

Oder passt die Leag jetzt "voraussichtlich" bis zum Sommer ihre Planungen den 1,75 Milliarden an – ja, also, für die Summe könnten wir das und das und das stilllegen ...? Gewissermaßen ein Kohleausstieg nach Kassenlage?

Oder sind die 1,75 Milliarden doch eher ein politischer Preis, für den sich die Leag und ihre Eigner die Zustimmung zum Kohleausstieg abhandeln ließen und der nun mit den Verlusten "gefüllt" werden muss?

Antworten darauf gibt es von der Leag bisher nicht. Man darf gespannt sein, wie das Unternehmen die angeführte Nicht-Förderung von 340 Millionen Tonnen Braunkohle genau begründet. Denn der Tagebau Welzow-Süd II, der 2017 im Revierkonzept stand und angesichts des Kohleausstiegs offensichtlich nicht mehr aufgeschlossen wird, verfügt nur über eine Kohlemenge von etwas mehr als 200 Millionen Tonnen.

Laut Ausstiegsgesetz gibt es Entschädigungen auch nur für die Verluste, die bis zum Jahr 2030 eintreten. Der Rahmenbetriebsplan für Welzow-Süd II ist aber noch nicht einmal beantragt – wie viel Kohle da bis zur Entschädigungs-Deadline 2030 gefördert werden könnte, auf die die Leag nun möglicherweise "verzichtet", ist unklar.

Denkbar ist auch, dass der Deal zwischen Regierung und Leag ein anderer ist: Weil die Verluste aus dem Tagebaubetrieb und dem Stromgeschäft nicht ausreichen, um die 1,75 Milliarden zu begründen, kamen als weiterer Entschädigungsgrund eben die Kosten der Rekultivierung und Wiedernutzbarmachung der Tagebaue in den Gesetzentwurf mit hinein. Wer will die schon genau nachvollziehen können.

So oder so – man fragt sich wirklich, auf welchem Rechentisch die 1,75 Milliarden entstanden sind und welchen Sinn sie haben.

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