Photovoltaik spielt die zentrale Rolle, um die lokale Dekarbonisierung in Gebäuden und Quartieren voranzubringen. Die Dachanlage, gekoppelt mit Wärmepumpen, Speicher, Wallbox, lokalem Energiemanagement und digitaler Zählerinfrastruktur ist technisch längst möglich.
Höchste Zeit also, auch die regulatorischen Rahmenbedingungen zu modernisieren, Vor-Ort-Energie zu erleichtern und diese zu einem Geschäftsmodell zu machen. Es ist dabei ein gutes Signal, dass sich die kommende Ampel-Koalition bei ihren Sondierungen auf einen bundesweiten Photovoltaik-Standard geeinigt hat.
Gebäude-Photovoltaik ist kostengünstig und genießt hohe Akzeptanz. Im Segment der kleinen Solar-Dachanlagen nimmt der Zubau ohne EEG-Förderanspruch zu, zum Beispiel aufgrund der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG).
Einen sachlichen Grund, den Photovoltaikausbau jetzt nicht in den zweistelligen Gigawattbereich pro Jahr zu treiben, gibt es nicht. Anspruch muss daher werden, dass geeignete neue oder sanierte Dächer vollständig für Solarenergie verwendet werden und nicht Schwellenwerte im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), sondern die verfügbaren Dachflächen die Nutzung von Potenzialen bestimmen.
Damit der Gebäudesektor klimaneutral wird, ist eine deutlich stärkere Nutzung von Solarenergie beim Bauen und Sanieren konsequent mitzudenken. Mehr Photovoltaik an und auf Gebäuden kann Vor-Ort-Energiekonzepte beflügeln, wenn der Solar-Standard gut gemacht ist. Dafür müssen Photovoltaik-Systeme regulatorisch dann auch als das behandelt werden, was sie heute bereits sind – als Teil einer intelligent vernetzen Haustechnik.
Der Solar-Standard sollte die technischen Mindestanforderungen regeln, um Solarenergie im Gebäude beziehungsweise bei Dachsanierungen nutzen zu können, verknüpft mit den Anforderungen des EEG und der Bundesförderung für effiziente Gebäude.
Damit die Photovoltaik auf und an Gebäuden einfach und leicht mit Vor-Ort-Energiesystemen interagieren kann, sollte sie sowohl regulatorisch als auch gedanklich dem Gebäude als ganzheitliches Energiesystem zugeordnet werden.
Digitales Dachflächenkataster einrichten
Dazu ist Bürokratieabbau nötig. Jede Bürgerin, jeder Bürger sollte deshalb künftig die Möglichkeit erhalten, Photovoltaikanlagen nach einem einheitlichen bundesweiten Standard und vollständig digitalisiert anzumelden.
Bei Neubauten könnte dabei ein digitales Dachflächenkataster mit guten Schnittstellen Spielräume bieten, die gesamte Dachfläche als nutzbares Potenzial zur Verfügung zu stellen. Ein Teil der so entstehenden Anlagen könnte auch vermietet oder vermarktet werden, oder die Realisierung des Solar-Standards könnte ganz an Dienstleister weitergegeben werden, die dann günstigen Strom in die Haustechnik und ins Netz liefern.
Ein Kataster könnte wettbewerblich und transparent zusätzliche Dachflächenpotenziale erschließen. Diese ergeben sich, wenn zum Beispiel ein Bauträger selbst keine eigene Solaranlage errichten will oder kann, das Dach jedoch geeignet ist und keine Ausschlussgründe aus dem Solarstandard vorliegen wie Härtefälle oder Anforderungen des Denkmalschutzes. Zusätzliche Potenziale ergeben sich auch, wenn Bauträger für sich nur den Mindeststandard erfüllen und die restliche Dachfläche vermarkten wollen.
Bernhard Strohmayer
leitet den Bereich Erneuerbare beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft. Er studierte Erneuerbare Energien an der Ostbayerischen Technischen Hochschule und arbeitete an der Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher (Fenes) an mehreren wissenschaftlichen Forschungsprojekten.
Soll ein Dach nicht für Solarenergie zur Verfügung stehen, könnte dies auch durch Kauf- und Pachtmodelle an anderen Stellen ausgeglichen werden. Im Dachflächenkataster könnte dann gekennzeichnet werden, dass auf einem Dach keine Solaranlage errichtet werden soll.
Die aktuelle Logik, dass für den Eigenverbrauch im EEG Stromerzeuger und -nutzer personenidentisch sein müssen, ist zu einer Last für alle Konzepte geworden, in denen Photovoltaikanlagen nicht nur auf einzelgenutzten Gebäuden errichtet werden. Die Folge sind komplizierte Regelungen wie der Mieterstromzuschlag, der in der Praxis oft nicht genutzt wird.
Neben dem klassischen Eigenverbrauch müssen künftig auch gemeinschaftlicher Eigenverbrauch oder Direktbelieferungen wie Wohnungseigentümer und Gewerbe oder konzeptoffener Mieterstrom in einem Gebäude oder einem Quartier mitgedacht werden. Deshalb sollte die heutige Personenidentität abgeschafft und durch einen personenunabhängigen Vor-Ort-Verbrauch ersetzt werden.
Eine-Million-Fassaden-Programm schaffen
Die Optimierung von solarem Vor-Ort-Verbrauch benötigt mehr Spielraum. Neben der Stromproduktion müssen auch der Verbrauch, die Belieferung und die Kopplung zum Wärme- und Verkehrssektor in stimmige Gesamtkonzepte eingebunden werden können. Das heutige Regelungsdickicht für solche Vor-Ort-Optimierung bremst viele Potenziale aus und ist mit hohen Transaktions- und Messkosten verbunden.
Vereinfachung sollte auch bei der Auslegung von Gebäudetechniksystemen hinter einer klar definierten Schnittstelle zum Netz, das heißt hinter dem Übergabestromzähler ("Behind the Meter"), die Maßgabe sein.
Warum soll zum Beispiel eine große Fassaden-Solaranlage an einem Mietshaus mit ihrer hohen Einspeisung im Winter, die gut für Wärmepumpen nutzbar wäre, nicht als Teil des Heizungssystems angesehen werden?
Durch einen subsidiären Ansatz ("von unten nach oben") beim solaren Vor-Ort-Verbrauch und mehr Freiheiten in "Behind-the-Meter-Konzepten" kann nicht nur lokal mehr geschehen. So lässt sich auch die Rolle von Vor-Ort-Systemen als Teil des gesamten Energiesystems neu definieren.
Photovoltaik kann in vielen Fällen Teil der Gebäudetechnik werden. Dabei sollte auch mehr als bisher an Fassadenflächen gedacht werden.
Mit einem Eine-Million-Fassaden-Programm, ähnlich dem vor 20 Jahren aufgelegten 100.000-Dächer-Programm, ließen sich die Marktdurchdringung und somit die Kostendegression und die Marktreife von Photovoltaikanlagen für Fassaden beschleunigen.
Erneuerbare – neu denken!
Mit erneuerbaren Energien können Häuser, Quartiere, Städte und ländliche Regionen zu Selbstversorgern werden, wenn Erzeugung und Verbrauch, Speicher und Netze optimal zusammenwirken. Dieser Vor-Ort-Welt der Energie stehen althergebrachte Strukturen und Regeln entgegen. Deshalb widmet sich Klimareporter° in einer Serie der Frage, wie Erneuerbare neu gedacht werden müssen.
Auf diese Weise könnten neue Flächenpotenziale aktiviert und Fassadenanlagen als attraktive Option zur Verbesserung der Gebäudetechnik entwickelt werden, etwa als Ergänzung zu Heizungsmodernisierungen.
Ein Vorteil von Solar-Fassaden ist zudem, dass auch im Winter eine relativ hohe und nicht durch Schnee reduzierte Stromerzeugung realisiert werden kann. Das passt gut zu modernen Haustechniksystemen wie Wärmepumpen, Speichern und Wallboxen.