Fliegender Mäusebussard, im Hintergrund der Rotor eines Windrads.
Der Mäusebussard gilt nicht als gefährdet, erleidet aber durch Windparks deutliche Einbußen. (Foto: Bouke Atema/​Shutterstock)

Robert Habeck hat den Ruf eines gefeierten Kommunikators. Eine Kostprobe lieferte der Wirtschafts- und Klimaminister jüngst in der Bundespressekonferenz, als er mit Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) das Wind-an-Land-Gesetz und einige begleitende Änderungen am Naturschutzrecht vorstellte.

Windkraft und Artenschutz? Das sei ein "Widerspruch, der gar nicht immer da ist", begann Habeck eine seiner Antworten und erklärte den Medienleuten den "Widerspruch" auch gleich. Der laute, so Habeck, dass ein Klima- oder Energieminister oder ein Windradbetreiber "gar kein Interesse" daran haben könnten, dass es viele Arten gebe, weil die ja die Planung verhinderten, verzögerten und überall blockierten.

Dass es deshalb in Deutschland durch Klimaschutz einen "negativen Anreiz" zum Artenschutz gebe, sei "absurd" und "bekloppt", spann Habeck seinen Gedanken weiter. Sein Ziel und das von Lemke sei, dass Naturschützer mehr Windkraft wollen, weil dies mehr Klimaschutz bedeute, und dass Windkraftbetreiber mehr Naturschutz wollen.

Habecks "Frame" war klar: Windkraft kontra Artenschutz – das ist mehr oder weniger ein Missverständnis, ein Pseudowiderspruch. Manch einer im Saal sah vor seinem geistigen Auge schon glückliche Windmüller, die jedem Rotmilan einen Willkommensgruß in die Lüfte senden.

Tatsächlich ist dieser Frame aber ein ziemlicher Fake. Der Hauptgrund dafür ist: Habeck hat den Plan aufgegeben, mit einer Änderung im Baugesetzbuch die pauschalen Abstandsregeln zu Windanlagen in den Ländern aufzuheben.

Der politische Wille dazu war offenbar bis Anfang April vorhanden und damals auch schon zu einem Referentenentwurf aus dem Haus der zuständigen Bauministerin gediehen.

Dieser sollte zwar nur ausschließen, dass die Länder neue Mindestabstände erlassen, verschwand aber dennoch in der Versenkung. Das jetzige Wind-an-Land-Gesetz lässt die pauschalen Abstände auf mindestens fünf Jahre unangetastet. Die Branche ist schockiert.

"Das ist nicht die Klarheit, die wir brauchen"

"Für uns ist es absolut problematisch, dass die pauschalen Länder-Abstandsregeln nicht umgehend aufgehoben werden sollen", beschwert sich Wolfram Axthelm, Geschäftsführer beim Windkraftverband BWE, gegenüber Klimareporter°. Das müsse eigentlich sogar rückwirkend in den Ländern geschehen.

Das Weitergelten der pauschalen Abstände verknüpft das Wind-an-Land-Gesetz jetzt damit, dass die Länder bis 2026 und bis 2032 gesetzliche Flächenziele erfüllen, die sich dann bundesweit auf zwei Prozent bebaubare Windkraftfläche addieren sollen. Tun die Länder das nicht, sollen die pauschalen Abstände unwirksam werden.

Die zeitliche Staffelung ergibt für die Windbranche keinen Sinn. Damit drohe eine Hängepartie, zunächst bis 2026, warnt Axthelm. "Das ist unser größter Kritikpunkt am Wind-an-Land-Gesetz."

Denn für den BWE bleibt vielfach unklar, was passiert, wenn die Länder ihre Flächenvorgaben nicht erfüllen. Fraglich sei zum Beispiel, wie im Folgejahr 2027 genau festgestellt wird, ob ein Land sein Flächenziel erreicht hat oder nicht.

Axthelm: "Das wird eine riesige Diskussion nach sich ziehen. Das ist nicht die Einfachheit und Klarheit, die wir brauchen. Da hätten wir uns von der Bundesregierung klarere Ansagen gewünscht."

Den Glauben Habecks, dass die Länder die Sache selbst regeln werden, teilt der Windverband nicht. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass viele Bundesländer seit Jahren viel zu wenig Flächen für die Windkraft ausweisen, sagt Axthelm.

Und die Länder schaffen ihrerseits weiter Tatsachen und geben sich – wie Sachsen und Thüringen – restriktive Regeln mit einem 1.000-Meter-Abstand zu Wohnbauten. Zugleich verbieten sie auch Windkraft im Wald.

Beide Vorgaben zusammengenommen machen es nach Expertenmeinung fast unmöglich, dass diese Länder die Zwei-Prozent-Flächenvorgabe des Bundes erfüllen können. Zu viele potenzielle Windkraftflächen sind dann einfach blockiert.

Das muss auch Habeck klar sein. Er will in den nächsten Jahren aber offenbar so tun, als ob die Länder das Gesetz ernst nähmen – und die Länder werden so tun, als würden sie das Zwei-Prozent-Flächenziel ernst nehmen.

Wer solch ein politisches Schattenspiel beim Klimaschutz für "absurd" oder gar "bekloppt" hält, liegt vielleicht gar nicht mal so daneben.

Weg von den Menschen – rein in die Natur

Die Nichtaufhebung der pauschalen Länder-Abstandsregeln hat eine weitere gravierende Folge. "Werden mit den Abstandsregeln große Flächen von den Windkraft-Planungen bereits ausgeschlossen und dann noch – wie in Thüringen – auch Windkraft in Wäldern, dringt die Windkraft in Bereiche vor, wo es andere Konflikte gibt, beispielsweise mit dem Artenschutz", sagt BWE-Geschäftsführer Axthelm voraus.

In Gegenden ziehen zu müssen, wo kollisionsgefährdete Vogelarten schwarmweise kreisen, ist für Windkraftbauer ein Schreckensszenario. Das Wind-an-Land-Gesetz gestattet es, sogar im Nahbereich – da ist der Vogelhorst keine 500 Meter weg – eine Windkraftanalage zu bauen.

Bringt man so eine Idee Experten nahe, reagieren diese mit blankem Sarkasmus: Wollen Sie eine Windstromanlage oder ein Industriedenkmal errichten?

Da hilft es wenig, dass Umweltministerin Lemke sich mit den parallel beschlossenen Änderungen am Naturschutzgesetz alle Mühe gibt, den Bau von Windkraft in Naturräumen zu erleichtern.

Als Maßstab soll künftig – vereinfacht gesagt – nicht mehr das Risiko gelten, dass das kollisionsgefährdete Flugtier zu Tode kommt, sondern der Zustand der jeweiligen Population der betroffenen Art. Das sei schon seit 20 Jahren im Artikel 2 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie erlaubt, erklärt das Umweltministerium auf Nachfrage.

Allerdings erfasst die FFH-Richtlinie der EU im Falle der Windkraft nur Fledermausarten. Die kollisionsgefährdeten Vögel werden durch die europäische Vogelschutzrichtlinie geschützt – und die verbietet unter anderem das absichtliche Töten, Fangen, Halten oder Stören sowie den Handel mit wildlebenden Vogelarten.

Als absichtliches Töten gilt, wenn das Tier von einem Jäger erlaubterweise geschossen oder unerlaubt gewildert wird. Erfasst dagegen ein ICE oder ein Auto den Vogel oder knallt er gegen eine Glasscheibe, dann ist das unbeabsichtigtes Töten.

Die Windbranche verortet sich im Bereich des unbeabsichtigten Tötens. "Wir sollten uns schon einig sein, dass Windkraftanlagen nicht zum Vogeltöten gebaut werden, sondern einen anderen Zweck haben", meint Axthelm und verweist hier auf neue Entwicklungen auf europäischer Ebene: "Die EU-Kommission möchte künftig rechtlich festlegen, dass bei einem unbeabsichtigten Töten das Tötungsverbot nicht verletzt ist."

Würde das in Deutschland gelten, ließe sich Windkraft in natursensiblen Räumen leichter genehmigen. Zum Leidwesen der Branche unterscheidet das deutsche Naturschutzrecht aber nicht zwischen beabsichtigtem und unbeabsichtigtem Töten.

Hierzulande zählt nur das Tötungsrisiko – das sich durch Artenschutzprogramme, durch zeitweises Abschalten der Anlage oder durch die berühmten Antikollisionssysteme so weit senken lässt, dass das Windrad gebaut werden kann.

Man kann Axthelm irgendwie verstehen. Von einem ICE wird auch nicht verlangt, dass er im Thüringer Wald langsamer oder zeitweise gar nicht dahinrast, damit er keinen Vogel erwischt. Bei Windkraft aber soll das anders sein.

"Viel zu enge Auswahl an zu schützenden Vogelarten"

Ziemlich unzufrieden mit den Änderungen im Artenschutz sind auch die Naturschützer, wenn auch aus ganz anderen Gründen. So enthält Lemkes Vorlage eine Liste mit 15 kollisionsgefährdeten Vogelarten, bei denen – je nach Abstand der Windanlage zum Horst – das Tötungsrisiko zu prüfen ist.

Die Liste sei endgültig und abschließend, betont die Umweltministerin. Katharina Stucke vom Naturschutzbund hält dagegen: "Es wird eine viel zu enge Auswahl an Vogelarten über Schutzabstände zwischen Windenergieanlage und Horst geschützt", kritisiert die Leiterin des Nabu-Projekts zum naturverträglichen Windkraftausbau.

Stucke beruft sich hier auf das europäische Naturschutzrecht, das alle kollisionsgefährdeten Vogelarten schütze – und nicht nur die 15 im Gesetzentwurf aufgelisteten. Daraus entstünden gravierende Rechtsunsicherheiten. Langfristige Gerichtsverfahren könnten den gesamten Ausbau zum Erliegen bringen, warnt die Nabu-Expertin. Um diese Unsicherheit aufzulösen, dürfe die Liste eben nicht endgültig und abschließend sein, fordert Stucke.

Skeptisch steht der Nabu auch dem Maßstab des Populationszustands gegenüber. Hier brauche es eine deutlich bessere Datenqualität, um Aussagen über die Entwicklungen der Populationen machen zu können, sagt Stucke. "Je mehr Vogelarten und je mehr Individuen einer Art betroffen sind, desto höher müsste die Schwelle für zumutbare Schutzmaßnahmen ausfallen."

Die Windkraftbranche sieht das wiederum anders. Axthelm: "Wir fragen uns, warum der Gesetzgeber ausgerechnet für Vogelarten, deren Populationen sich absolut positiv entwickeln, Artenhilfsprogramme auflegen will. Die sind eigentlich für wirklich gefährdete Arten vorgesehen."

Vorläufiges Fazit: Das Wind-an-Land-Gesetz und das begleitende Naturschutzgesetz sorgen nicht für eine friedliche Koexistenz von Windkraft und Natur, sondern drohen die Konflikte anzuheizen. Für den Klimaschutz wäre das wirklich absurd, ja geradezu bekloppt.

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