Rotmilan
In Deutschland, dem Rotmilan-Land Nummer eins, sinken die Bestände seit 25 Jahren nicht mehr, bleiben aber auf niedrigem Niveau. (Foto: Thomas Kraft/​Wikimedia Commons)

Eine gute Nachricht für Rotmilane verkündete kürzlich der Landesverband Berlin-Brandenburg des Windenergieverbandes BWE. Die geschützten Greifvögel, hieß es in einer Presseerklärung, hätten nur ein Risiko von 0,18 Prozent, mit einer Windkraftanlage tödlich zu kollidieren.

Auf diese Zahl kommt der BWE-Landesverband durch folgende Rechnung: In Brandenburg leben etwa 1.650 bis 1.800 Rotmilan-Brutpaare. Im Zeitraum von 2010 bis 2020 wurden genau 128 tot aufgefundene Vögel dem Landesamt für Umwelt bekannt. Bei 62 toten Rotmilanen – also fast der Hälfte – wird eine Kollision mit einer Windkraftanlage als Todesursache angenommen.

Das sind, rechnet der regionale Windverband flugs um, pro Jahr sechs durch Windkraft ums Leben gekommene Rotmilane. Nimmt man dann statt einer mittleren Zahl von 1.700 Brutpaaren die entsprechenden 3.400 erwachsenen Einzeltiere, dann kommen wohl die 0,18 Prozent heraus.

Fraglich daran ist zunächst, dass der Windkraftverband als Quelle eine Antwort der Landesregierung Brandenburg auf eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion heranzieht. Ob er das wahrhaben will oder nicht – damit stützt sich der Verband auf Aktivitäten einer in Brandenburg vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften Partei, die sonst stets von "Energiewendewahn" redet und in dem Bundesland einen Windkraft-Ausbaustopp verlangt.

Der Berlin-Brandenburger Windverband lässt sich davon aber nicht beirren und schließt aus den so erhaltenen Daten messerscharf: Für einen Rotmilan sei "das individuelle Risiko, an einer Windenergieanlage zu verunfallen, sehr gering".

Die verunfallten Individuen sehen das sicher anders. Erwachsene Rotmilane, sofern sie nicht durch menschlichen Einfluss oder in seltenen Fällen durch Beutegreifer umkommen, haben eigentlich eine hohe Lebenserwartung. Und dabei haben sie es in jedem einzelnen Lebensjahr mit dem 0,18-Prozent-Risiko zu tun.

Zweifelhaft an der Schlussfolgerung ist weiter, dass die zitierte Zahl der Brutpaare aus den Jahren 2015 und 2016 stammt, also nicht aktuell ist. Daraus macht der Verband in seiner Presseerklärung locker ein "Stand 2017".

Hinzu kommt die Dunkelziffer, denn gezählt wird nur, was gefunden und der Behörde gemeldet wurde. Das alles unterschlägt der Windverband mit seiner griffigen Schlagzeile.

Technischer Kollisionsschutz kommt langsam voran

Weil Windanlagen ganz offensichtlich eine der größten Gefahren für Rotmilane, Seeadler und andere Greifvögel darstellen, wird seit Jahren überlegt, wie sich Kollisionen technisch vermeiden lassen. Den aktuellen Stand haben jetzt das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) sowie die Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) in einer gestern erschienenen Ausarbeitung zusammengefasst.

Mit neuartigen Kamera- oder Radarsystemen lasse sich inzwischen der Luftraum um eine Anlage observieren, beschreibt KNE-Direktor Torsten Raynal-Ehrke den in den letzten zwei, drei Jahren erzielten Fortschritt. Komme ein Vogel der Windanlage gefährlich zu nahe, könne diese vorübergehend abgeschaltet werden.

Allzu viel darf man aus heutiger Sicht vom technischen Vogelschutz aber noch nicht erwarten – vor allem nicht, was die Ausweisung neuer Windeignungsgebiete betrifft. Beim künftigen Einsatz dieser Technik gehe es nicht darum, "naturschutzfachlich sensible oder geschützte Gebiete" für die Windkraft zu öffnen, erläutert Dirk Sudhaus, Forschungskoordinator der FA Wind, gegenüber Klimareporter°.

Die Technik könne aber helfen, so der Experte, wenn sich auf bereits durch Flächenausweisung bereitgestellten Windenergiegebieten nachträglich "kollisionsgefährdete" Vogelarten – große Greifvögel vor allem – ansiedelten und die üblichen Vermeidungsmaßnahmen nicht ausreichten, um das Windkraftprojekt zu realisieren.

Sudhaus: "Die Systeme sollen dazu dienen, bei einem zu erwartenden erhöhten Kollisionsrisiko für gefährdete Vogelarten die Umsetzung von Windenergieprojekten im Einklang mit dem Artenschutz zu ermöglichen."

Systeme noch in der Pilotphase

Die Anti-Kollisions-Technik kann, wie Erfahrungen zeigen, zum Beispiel hilfreich sein, wenn ein eigentlich genehmigtes Windprojekt sich so lange hinauszögert, dass eine "kollisionsgefährdete" Art wieder Gefallen an der Gegend findet oder wenn findige Leute, was auch vorkommen soll, plötzlich den Horst einer "kollisionsgefährdeten" Art in der Nähe einer geplanten Anlage entdecken und dann möglicherweise den Klageweg beschreiten.

Für Bestandsanlagen ist die Vogelschutztechnik bisher nicht gedacht. Diese haben Sudhaus zufolge eine rechtskräftige Genehmigung, die einen Einsatz solcher Systeme nicht vorsehe.

Wann der Kollisionsschutz bei der Windkraft Realität wird, lasse sich derzeit nicht abschätzen, meint der Forschungskoordinator. Die Systeme würden zurzeit in Pilotvorhaben getestet. Es gebe "erste erfolgversprechende Ergebnisse für einzelne Vogelarten".

Sollten diese sich bestätigen, sei davon auszugehen, dass die Systeme auch von den Behörden anerkannt werden. Erste artenschutzfachliche Leitfäden oder Erlasse von Bundesländern hätten diese Möglichkeit bereits vorgesehen, so Sudhaus.

Geht es nach der Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel, werden die Ergebnisse der Pilotvorhaben und anderer Forschungen in den kommenden zwei Jahren schrittweise zusammengeführt. Damit werde ein weiterer Baustein geschaffen, um den notwendigen Ausbau der Windenergie naturverträglich zu gestalten.

Angesichts dessen, dass jährlich über hunderttausend Vögel an den Folgen einer Kollision mit Windkraftanlagen sterben und seltene Rotmilane und Schreiadler stark betroffen sind, hält Leif Miller, Bundesgeschäftsführer beim Naturschutzbund Nabu, die Studie für ein "gutes Beispiel für die gemeinsamen Anstrengungen von Vogelschutz und Windenergie".

Auch aus Sicht des Nabu-Geschäftsführers lassen sich durch modernste Technologien die Zahlen tödlicher Unfälle von Vögeln an Windanlagen reduzieren und im "Dialog mit allen Beteiligten" gute technische Lösungen finden. Diese könnten die nötigen Entscheidungen für passende Anlagenstandorte ergänzen.

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