Man kann sich lebhaft vorstellen, wie in den letzten Tagen die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) und die Ministerialbürokratie über der bereits angekündigten Endfassung des Entschädigungs-Gutachtens für den Lausitzer Braunkohleverstromer Leag brüteten. Das Gutachten soll begründen, warum dem Unternehmen im Kohleausstiegsgesetz 1,75 Milliarden Euro zugebilligt werden.
Die Zweifel an der Summe wuchsen von Tag zu Tag – und auch der öffentliche Druck, endlich das Gutachten vorzulegen, von dem die Spatzen von den Berliner Dächern pfiffen, dass es die EY-Prüfer fertig hatten.
Am späten Donnerstagnachmittag stellte das Bundeswirtschaftsministerium dann – nein, nicht das Entschädigungsgutachten, sondern eine "Plausibilisierung der Unternehmensplanung der Leag hinsichtlich der Nutzung von Braunkohle" auf seine Website, ein Papier ausschließlich zu den Leag-Tagebauplanungen, wie Felix Matthes vom Öko-Institut spätabends sogleich twitterte.
Matthes hatte zusammen mit anderen Experten des Öko-Instituts ebenfalls ein Gutachten zu den Braunkohle-Entschädigungen erstellt und war bei der Leag zum Ergebnis gekommen, dass das Unternehmen um etwa eine Milliarde Euro zu hoch entschädigt wird (Klimareporter° berichtete).
Wirtschaftsprüfer sehen noch geringeren Kohlebedarf
Matthes muss gestern Abend nicht schlecht gestaunt haben, dass Zahlen aus seinen Untersuchungen im EY-Papier auftauchen – und noch mehr darüber, dass zum Beispiel die Prognose, wie viel Braunkohle die Leag ab dem Stichjahr 2017 noch fördern kann – nimmt man die Bund-Länder-Einigung aus dem Januar dieses Jahres zum Maßstab –, bei den Wirtschaftsprüfern mengenmäßig niedriger ausfällt als beim Öko-Institut.
Das kann jeder auf Seite 11 des EY-Papiers nachlesen. Öko-Institut: 834 Millionen Tonnen – Wirtschaftsprüfer: 797 Millionen Tonnen. Ernst & Young hält also, wie Matthes schreibt, einen um rund fünf Prozent geringeren Kohlebedarf für die Kapazitätsentwicklung gemäß Ausstiegspfad der Bund-Länder-Einigung für "plausibel" als das Öko-Institut.
Für den Energieexperten ist klar, was daraus folgt: Das bedeute geringere Auslastungen der Kraftwerke, eine geringere Stromerzeugung und geringere Erträge auf dem Strommarkt – und schließlich geringere Ansprüche auf Entschädigungszahlungen.
Falls das Ministerium mit der kurzfristigen Veröffentlichung Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen wollte – dann könnte der Trick ziemlich danebengehen.
Auch für René Schuster von der Grünen Liga, seit Jahren Mitglied im Braunkohlenausschuss des Landes Brandenburg und ein besonders profunder Kenner der Leag-Planungen, ist das Ernst-&-Young-Gutachten nicht in der Lage, die Entschädigungshöhe von 1,75 Milliarden Euro zu begründen, wie er gegenüber Klimareporter° klarstellte.
Für Schuster "fehlt jede Transparenz, wie diese Entschädigungshöhe begründet sein soll". Das liege schon allein daran, dass das Gutachten selbst einräume, eine Analyse der wirtschaftlichen Folgen des Ausstiegs sei "nicht Gegenstand des Auftrags" gewesen.
Entschädigung für noch nicht genehmigtes Teilfeld?
Interessant ist für den Umweltschützer auch, dass die EY-Gutachter zu einer anderen Bewertung als die Leag in der Frage kommen, wie viel Lausitzer Braunkohle durch den Kohleausstieg letztlich im Boden bleiben muss. Während das Unternehmen Ende Januar angab, jetzt 340 Millionen Tonnen weniger als im 2017 vorgestellten Revierkonzept fördern zu müssen, kamen die Wirtschaftsprüfer nur auf 294 Millionen Tonnen.
Für Schuster liegt die Differenz von 46 Millionen Tonnen in einer "relevanten Größenordnung". Ein Unterschied von knapp 15 Prozent sollte tatsächlich nicht mehr vernachlässigbar sein.
Schuster wie auch Matthes kritisieren das EY-Gutachten dafür, dass das Braunkohle-Teilfeld Mühlrose des sächsischen Tagebaus Nochten – da geht es um gut 145 Millionen Tonnen noch förderfähige Braunkohle – quasi als entschädigungsberechtigt angesehen wird.
Auf Seite 10 des EY-Gutachtens heißt es dazu: "Das Verfahren zur Zulassung des Rahmenbetriebsplans für das Sonderfeld Mühlrose wurde begonnen, ist aber zurzeit noch nicht abgeschlossen." Das hält Schuster insofern für falsch, als die Leag bisher offensichtlich noch keinen Zulassungsantrag für das Teilfeld bei der Bergbehörde eingereicht hat.
Es habe lediglich 2018 einen sogenannten Scoping-Termin gegeben, so Schuster. Nach dem Bundesberggesetz beginne das Zulassungsverfahren aber erst mit der Einreichung eines entsprechenden Genehmigungsantrages.
Auch Felix Matthes merkt an, dass es für das Teilfeld Mühlrose keinen Rahmenbetriebsplan und keine bergrechtliche Abbaugenehmigung gebe – und ohne diese eben auch nicht die Spur eines Entschädigungsanspruchs.
Für René Schuster erhärtet sich mit den EY-Gutachten der Verdacht, dass das Leag-Revierkonzept von 2017 von Anfang an dem Aushandeln von Entschädigungen bei einem absehbaren Braunkohleausstieg diente. Das könnten die Gutachter auch nicht mit dem Hinweis entkräften, dass die Leag das Revierkonzept in ihrem Aufsichtsrat beschlossen und ihren Jahresabschlüssen zugrunde gelegt hat.
"Der Aufwand dafür ist jedenfalls sehr gering im Vergleich zur Möglichkeit, dafür 1,75 Milliarden Euro zu kassieren", meint Schuster. In dem Punkt ist ihm wirklich nicht zu widersprechen.