Nebel über dem RWE-Tagebau Inden
Nebel über dem RWE-Tagebau Inden – und über der Frage, wie der Kohleausstieg mit diesem Gesetz funktioniert. (Foto: Klaus Görgen/​Flickr)

Bis zur Sommerpause soll der Kohleausstieg vom Bundestag beschlossen sein. Dieses Vorhaben will die Koalition offenbar auf Biegen und Brechen durchziehen. Das zeigen die vom Wirtschaftsausschuss des Bundestages heute debattierten und Klimareporter° vorliegenden Änderungen am Kohleausstiegsgesetz (KVBG) in aller Deutlichkeit.

Zugleich spiegelt sich darin die geschwächte Lage der Braunkohleindustrie wider, wie eine erste Durchsicht des fast zweihundert Seiten starken Ausschusspapiers zeigt.

Das Papier firmiert intern als "Formulierungshilfe" aus dem Wirtschaftsministerium und soll am morgigen Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden – die Regierung gibt also den mutmaßlich von ihr selbst stammenden parlamentarischen Änderungen ihren Segen.

Die skandalträchtigste Änderung ist, dass der sogenannte öffentlich-rechtliche Vertrag, der zur Abschaltung der Braunkohlekraftwerke mit deren Eigentümern abgeschlossen werden soll, dem Bundestag nicht mehr zur Zustimmung vorgelegt werden, sondern dort nur noch zur Kenntnis genommen werden soll.

Der im bisherigen Gesetzentwurf noch seitenlange Paragraf zu dem öffentlich-rechtlichen Vertrag wurde vom Ausschuss auf einen einzigen Satz zurechtgestutzt. Der Skandal selbst steckt in der Erläuterung zum entsprechenden Paragrafen 49.

Die Bundesregierung wird ermächtigt, heißt es dort, "einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Betreibern von Braunkohleanlagen und -tagebauen abzuschließen". Dazu habe die Regierung bereits intensive Verhandlungen mit den Betreibern von Braunkohleanlagen und -tagebauen geführt.

Selbstentmachtung der Abgeordneten

Und dann wörtlich: "Das Bundeskabinett hat den mit den Betreibern verhandelten Vertragsentwurf am 24. Juni 2020 zur Kenntnis genommen und den Bundesminister für Wirtschaft und Energie ermächtigt, sofern der Bundestag das Kohleausstiegsgesetz beschließt und die erforderliche Ermächtigungsgrundlage in Paragraf 49 KVBG in Kraft tritt, diesen Vertrag in Vertretung der Bundesrepublik Deutschland zu unterzeichnen. Im Übrigen wird das Bundeskabinett diesen Vertragsentwurf dem Bundestag zur Kenntnis weiterleiten."

Dass eine erst morgen stattfindende Zustimmung des Regierungskabinetts im Gesetzentwurf vorweggenommen wird, kennt man ja eher aus autokratischen Staaten – aber geschenkt.

Gegenüber der ursprünglichen und jetzt gestrichenen Formulierung, dass der Vertrag "mit Zustimmung des Bundestages" geschlossen wird, soll dieser dem Parlament jetzt nur noch zur Kenntnisnahme weitergeleitet werden – sofern der Bundestag dem Gesetz zustimmt.

Das ist perfide Machttechnik: Lehnt ein Abgeordneter den Passus ab, muss er gegen das ganze Gesetz stimmen und steht als Kohleausstiegsverhinderer da. Stimmt der Abgeordnete dem Gesetz zu, weil er vielleicht den Kohleausstieg gut findet, entmachtet er sich selbst.

Und wer den Bundestag kennt, weiß auch, dass so eine "Kenntnisnahme" in dem Fall auch bedeuten kann, dass nur einige wenige Abgeordnete in der Geheimschutzstelle des Bundestages Einsicht nehmen können – und natürlich nichts kopieren und noch weniger darüber erzählen dürfen. Dass die Abgeordneten im Wirtschaftsausschuss eine solche Selbstdemontage selbst beschlossen haben, ist fast nicht zu glauben.

An der Höhe der Entschädigungen für das Rheinische Braunkohlerevier – 2,6 Milliarden Euro – und für das Lausitzer Revier – 1,75 Milliarden Euro – ändert sich laut dem Gesetzentwurf kein Cent. Es werden jetzt lediglich die Geldempfänger genauer genannt: die RWE Power AG sowie die Lausitz Energie Kraftwerk AG, Tochterunternehmen des Lausitzer Braunkohlebetreibers Leag.

Misstrauen gegenüber dem Braunkohle-Eigentümer

Einzuräumen ist allerdings, dass der überarbeitete Gesetzentwurf die geschwächte Lage der Braunkohlewirtschaft widerspiegelt. So ist jetzt die Möglichkeit eingefügt worden, dass die Unternehmen ihre Kohlekraftwerksblöcke schon vor dem gesetzlichen Stilllegungstermin abschalten können. Auch die sogenannte Sicherheitsbereitschaft kann eher begonnen werden – dann wird eben nach vier Jahren Bereitschaft auch eher stillgelegt.

Aus den Änderungen spricht auch das tiefe Misstrauen der Politik, besonders der Landesregierungen Brandenburgs und Sachsens, gegenüber der Leag und ihrem Eigner, der tschechischen EPH. So können die Entschädigungsgelder jetzt nicht nur an die erwähnte Leag-Energietochter gehen, sondern in gleicher Weise an die Leag-Sanierungsunternehmen: die Lausitz Energie Vorsorge- und Entwicklungsgesellschaft Brandenburg GmbH & Co. KG ("Zweckgesellschaft Brandenburg") und ihr ansonsten namensgleiches Pendant in Sachsen.

Und das ist noch nicht alles: Wenn Brandenburg oder Sachsen es wollen, kann ein Teil der Leag-Entschädigung "direkt an im Einvernehmen mit der Bundesrepublik Deutschland bestellte Treuhänder" gezahlt werden. Mehr Misstrauen geht eigentlich nicht.

Die Länder sichern sich sogar noch weiter ab: Die Auszahlung der Entschädigung kann, so der Gesetzestext, verweigert werden, wenn "im Auszahlungszeitpunkt die Finanzierung der bergrechtlichen Verpflichtungen durch die jeweiligen Anlagen- und Tagebaubetreiber aus Gründen der finanziellen Leistungsfähigkeit unmittelbar gefährdet ist". Einfacher gesagt: Wenn das Braunkohleunternehmen möglicherweise insolvenzgefährdet ist, kann es nicht auf rettende Sanierungsgelder hoffen.

Ganz leer geht die Lausitzer Leag aber auch nicht aus, denn der Gesetzestext spricht davon, dass der Eingang er Entschädigungszahlungen "bei den Zahlungsempfängern jeweils als Kapitaleinlage verbucht werden soll". Schon in der Anhörung zum Gesetz hatten Experten davor gewarnt, dass die Leag auf diese Weise mit öffentlichen Geldern, die für die Tagebausanierung gedacht sind, ihr Renommee am Kapitalmarkt verbessert.

Im Übrigen verbleibt den Braunkohleunternehmen ja der immense Wettbewerbsvorteil durch die Milliarden-Entschädigungen. Aber dass die Koalition das ändert, war nun wirklich nicht zu erwarten.

Steinkohle-Ausstieg wird hinausgeschoben

Laufen die Änderungen bei der Braunkohle, abgesehen vom skandalösen Umgang mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, auf mehr Vorsorge zulasten der öffentlichen Hand im Falle eines vorzeitigen Endes der Braunkohle hinaus, will die Koalition bei der Steinkohle den ganzen Ausstieg offenbar nach hinten schieben.

So wird der Zeitraum der reinen Ausschreibungsphase, in der sich Betreiber um die Stilllegung ihrer Steinkohle-Anlagen bewerben können, von 2024 um ein Jahr auf 2027 verlängert. Die Steinkohle-Stilllegung allein per Gesetz soll sogar erst vier Jahre später beginnen – 2031 statt 2027.

Gleichzeitig wurden die Höchstprämien für die Stilllegung der Steinkohle teils deutlich heraufgesetzt. So gibt es 2025 statt bisher 65.000 Euro "Prämie" nun 98.000 Euro pro stillgelegtem Megawatt. Fürs Jahr 2026 steigt die Zahlung von 49.000 auf 89.000 Euro. Genauso viel gibts gleich auch noch im zusätzlichen Ausschreibungsjahr 2027.

Klar ist hier, dass sich vor allem die kommunalen Eigner der Steinkohleanlagen durchgesetzt haben. Sie erhalten nicht nur mehr Zeit fürs Stilllegen, sondern sichern sich auch mehr Prämie und zudem auch mehr Förderung für die Umrüstung auf Kraft-Wärme-Kopplung.

All die Zugeständnisse und Verwässerungen laufen nach einem ersten Überblick darauf hinaus, dass sich der Kohleausstieg noch stärker nach der "Geier-Sturzflug-Methode" vollzieht: Am Anfang passiert wenig – jetzt auch bei der Steinkohle –, aber ab Ende der 2020er Jahre soll es dann plötzlich in großen Schritten vorangehen.

Sollte dieser Entwurf Gesetzeskraft erlangen, ist der Kohleausstieg, so wie er einst von der Kohlekommission vorgeschlagen wurde, nur noch ein Schatten seiner selbst.

Der Beitrag wurde am 24. Juni um 20:30 Uhr aktualisiert.

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