Zwei Monteure installieren eine große Photovoltaikanlage auf einem Hausdach.
Installation einer Solaranlage auf einem Hausdach. (Foto: Marina Lohrbach/​Fotolia/​obs/​Lichtblick)

Klimareporter°: Frau Kemfert, welche Folgen hat die Corona-Krise für die Energiewirtschaft?

Claudia Kemfert: Der Stromverbrauch von Gewerbe und Industrie ist stark gesunken, der Verbrauch privater Haushalte allerdings gestiegen. Insgesamt ist der Verbrauch deswegen etwas gesunken. Massiv gesunken ist dagegen der Ölpreis, was niedrige Benzin- und Heizölpreise und Einnahmeverluste für die Energiebranche nach sich zieht.

Größere Energieanbieter bewältigen eine solche Flaute eher als kleine. Insbesondere junge Unternehmen und Start-ups sind in ihrer Existenz gefährdet. Sie fallen durch alle Raster staatlicher Hilfen. Risikokapital verteuert sich oder wird zurückgezogen.

Ein widerstandsfähiges Energiesystem basiert auf heimischen erneuerbaren Energieträgern. Für die notwendige Dynamik, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit jetzt und in Zukunft brauchen wir starke Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle.

Und was bedeutet das für die Energiewende? 

Scheinbar blüht und gedeiht die Energiewende: Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung ist derzeit außergewöhnlich hoch. Doch das ist – dank der Wetterlage und leicht gesunkenem Verbrauch – nur eine Momentaufnahme. Hinter den Kulissen wird der Umbau hin zu erneuerbaren Energien weiterhin ausgebremst.

Zum einen bleibt der Solardeckel, der die Förderung bei den bald erreichten 52.000 Megawatt kappt. Zum anderen droht der Bürgerenergie das Aus, weil selbst erzeugter und gespeicherter Strom massiv verteuert werden soll. Kontraproduktiv sind auch die Mindestabstandsregeln für Windanlagen.

Deutschland wird aber voraussichtlich sogar sein CO2-Ziel für 2020 einhalten, noch vor wenigen Monaten undenkbar. Nicht doch etwas Entspannung an dieser Front? 

Claudia Kemfert
Foto: Daniel Morsey

Claudia Kemfert

leitet den Energie- und Umwelt­bereich am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW) in Berlin. Seit 2016 ist sie Mitglied im Sach­verständigen­rat für Umwelt­fragen, der die Bundes­regierung berät. Sie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.
 
In ihrem neuen Buch "Mondays for Future", das gerade im Murmann Verlag erschienen ist, beantwortet sie zentrale Fragen zur Klimakrise und gibt Handlungs­empfehlungen.

Auf keinen Fall. Das ist nur ein temporärer Effekt, der zu einem wahnsinnig hohen Preis erkauft wird. Ohne effektive Klimaschutzpolitik kann es sogar zu "Reboundeffekten" kommen, wenn die Wirtschaft weiter auf alte Techniken setzt und beim Wiederanfahren mehr Emissionen verursacht als vorher.

Wenn wir jetzt nicht die Wirtschaft gezielt in Richtung Klimaschutz modernisieren, steuern wir ungebremst auf die nächste Krise zu.

Es gibt Forderungen, wegen der Krise den Kohle- und Atomausstieg zu verschieben oder auszusetzen. Hat das Sinn?

Nein. Die Energiewende ist unumkehrbar. Eine Verschiebung würde zu erheblichen Mehrkosten führen, ökonomisch wie ökologisch.

Aber viele Experten befürchten, dass Deutschland ab 2021/22 in eine Stromlücke hineinläuft. Das wäre Gift für eine Wirtschaft, die sich erholen soll …

Genau deshalb ist es so wichtig, das Ausbautempo der erneuerbaren Energien mindestens zu verdoppeln. Das stärkt die Versorgungssicherheit, die Resilienz, und schafft wirtschaftliche Chancen für die Industrie.

Die Forderungen, den Strompreis zu senken, häufen sich – durch eine Absenkung der EEG-Umlage. Wirtschaftsverbände, die Grünen, Thinktanks sind dafür. Richtiger Ansatz?

Ein niedrigerer Strompreis wäre attraktiv für Elektroautos oder Wärmepumpen. Aber besser durch eine Senkung der Stromsteuer. Durch einen vernünftigen CO2-Mindestpreis im Emissionshandel würde der Börsenstrompreis steigen und die EEG-Umlage sinken.

Der Strompreis würde zusätzlich sinken, wenn nicht Privatkunden die Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage finanzieren, sondern der Staat. Ohnehin wird es Zeit, dass wir das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, neu ausrichten. Dann könnten wir endlich auch Kriterien wie Systemdienlichkeit und Speicher ausreichend einbeziehen. 

Rollback oder Öko-Neustart?

Kohleausstieg verschieben, CO2-Preis überprüfen, Pkw-Emissionsziele strecken: Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen, Klimaschutz-Regeln beim Ankurbeln der Wirtschaft auszusetzen oder zu streichen. Der Corona-Neustart muss aber genutzt werden, um Klima- und Umweltschutz den überfälligen Push zu geben. Wie, das beleuchtet Klimareporter° in einer Interview-Serie mit prominenten Fachleuten.

Wie viel sollte die Tonne CO2 kosten? An der Strombörse waren es zuletzt rund 20 Euro.

Aber die wahren Kosten für CO2 liegen bei 180 Euro pro Tonne CO2. Eine notwendige CO2-Steuer von mindestens 80 Euro pro Tonne sollte temporär eingeführt werden, bis die EU-Erweiterung des Emissionshandels für Wärme und Verkehr greifen.

Die Einnahmen sollten als "Mobilitätsgeld" pro Kopf wieder ausgezahlt werden. So hätten die Menschen mehr Geld in der Tasche und zugleich würde klimaschonender Verkehr gefördert.

Eine Umfrage zeigte jüngst, dass 82 Prozent der Deutschen die Energiewende unterstützen, zwei Drittel die bisherige Umsetzung aber kritisieren. Wie wäre nach Corona ein Neustart möglich?

Schneller Ausstieg aus der Kohle, schneller Ausbau erneuerbarer Energien sowie eine Verkehrswende – das wäre ein echter Neustart in die Zukunft.