Rauchendes Kohlekraftwerk neben einer Siedlung, über ein Feld aufgenommen.
Kohlekraftwerk in Obilić (Kosovo). (Foto: John Worth/​Wikimedia Commons)

Zu einem virtuellen EU-Westbalkan-Gipfel treffen sich heute die Regierungschefs der EU und der Westbalkan-Staaten – Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Vor allem soll es um eine Antwort auf die Coronakrise gehen.

Darüber sollte aber ein Thema nicht vergessen werden: die Entwicklung des Energiesektors. Beide Seiten könnten mit Energiewende-Partnerschaften viel gewinnen.

Um nach der Krise die Wirtschaft zu stärken, bieten Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz auf dem Westbalkan ein enormes Potenzial. Durch stärkeres Engagement für die Energiewende in der Region würde die EU außerdem zeigen, dass es ihr ernst ist mit dem Anspruch, wieder zum Klimavorreiter zu werden. Die Beziehungen zu Nachbarländern wie denen auf der Balkanhalbinsel sind für die EU eine Gelegenheit zu beweisen, dass das europäische Projekt und der European Green Deal attraktiv sind.

Auf dem westlichen Balkan verfolgen viele Akteure geostrategische Interessen. Auch das Verhältnis der Länder untereinander ist alles andere als konfliktfrei. Die sechs Staaten bilden eine Region, die an allen Seiten an die EU grenzt. Schon deswegen ist es im strategischen Interesse der EU, dass der Westbalkan sich positiv entwickelt und gute Beziehungen zur EU unterhält. Aber auch die USA, Russland, die Türkei oder China versuchen ihren Einfluss zu wahren oder auszubauen.

Es ist daher gut, dass die EU anlässlich des heutigen Gipfels deutlich macht, wie vielfältig und umfangreich mittlerweile die Unterstützung für die Region in der Pandemie ist. Dafür wurden 3,3 Milliarden Euro bereitgestellt. Mittelfristig kommt es darauf an, dass die EU als derjenige Akteur in der Region wahrgenommen wird, der beim Aufbau einer prosperierenden Wirtschaft und einer krisenfesten Gesellschaft hilft.

Karte: Geplante Kohlekraftwerke in Ländern des Westbalkans im Zeitraum von 2012 bis 2020.
Zwölf Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 4.830 Megawatt wurden seit 2012 in den Ländern des Westbalkans geplant. (Grafik: Germanwatch, Quelle: CEE Bankwatch, Karte: Google Maps)

In Europa gibt es nur noch sehr wenige Pläne für neue Kohlekraftwerke, aber etwa die Hälfte dieser Projekte ist in den Westbalkanländern geplant (siehe Karte). 60 Prozent des Stroms in der Region stammen laut der Internationalen Energieagentur IEA aus Braunkohle, dem CO2-intensivsten Energieträger. Die Energieeffizienz in der Region ist sehr gering.

Die von Germanwatch, einer umwelt- und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation, empfohlenen Energiewende-Partnerschaften könnten ein Schlüssel dafür sein, gemeinsame Ziele der EU und der Westbalkan-Länder zu erreichen:

  • Wohlstand: Investitionen in Erneuerbare und Energieeffizienz schaffen zukunftsfeste Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung. Erneuerbare Energien sind bereits heute in den Westbalkan-Ländern in der Regel die kostengünstigere Alternative zur Bereitstellung von Strom oder Wärme.
  • Resilienz: Moderne Energiesysteme sind widerstandsfähiger gegenüber externen Schocks. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffimporten sinkt und "stranded assets" werden vermieden. Die abnehmende Luftverschmutzung verbessert die Gesundheit der Bevölkerung.
  • Regionale Integration und Konfliktvermeidung: Die Energiewende in den Westbalkan-Staaten wird besser funktionieren, wenn Stromnetze miteinander verknüpft werden. Dies ist ein konkreter Anreiz für engere Zusammenarbeit in der Region.
  • Engere Bindung an die EU: Wenn es der EU gelingt, sich als der Partner zu positionieren, der den Westbalkan beim Weg in eine zukunftsfähige Wirtschaft unterstützt, wird die Bindung an die Staatengemeinschaft wachsen.
  • Klimaschutz und Kohärenz: Der European Green Deal muss handlungsleitend für die EU in allen Politikbereichen werden, auch in den Außenbeziehungen. Nur wenn es gelingt, andere Länder auf diesem Weg mitzunehmen, kann der Green Deal seine volle Wirkung entfalten.
Porträtaufnahme von Lutz Weischer.
Foto: Germanwatch

Lutz Weischer

ist seit Kurzem politischer Leiter des Berliner Büros der umwelt- und entwicklungs­politischen Nicht­regierungs­organisation Germanwatch. Seit 2013 leitete er dort den Bereich internationale Klimapolitik. Zuvor war der Politik­wissen­schaftler am World Resources Institute tätig.

Bereits heute unterstützt die EU den Westbalkan massiv, auch bei besserer Energieeffizienz und moderner Energieinfrastruktur. Die EU sollte diese Zusammenarbeit weiter intensivieren und den Green Deal ins Zentrum stellen. Dazu sind folgende Schritte nötig:

  • Die vor dem Westbalkan-Gipfel von der EU zugesagten Hilfen von 3,3 Milliarden Euro zur Bewältigung der Coronakrise sollten, wo immer möglich, an den Zielen des Green Deal ausgerichtet werden. Die Hälfte dieser Gelder wird von der Europäischen Investitionsbank als vergünstigte Kredite vergeben, um staatliche Investitionen zu stützen. Diese sollten nicht in fossile Infrastruktur-Projekte fließen, sondern die Energiewende befördern.
  • An der Braunkohle und an energieintensiven Energien hängen in den meisten Ländern der Region viele Arbeitsplätze. Die EU sollte dabei helfen, dass der Strukturwandel sozial gerecht abläuft.
  • Die erhebliche finanzielle Unterstützung durch die EU sollte mit Anreizen verknüpft und so auf den Weg gebracht werden, dass nationale Gesetzgebungen und Rahmenwerke die Regelung, Koordination und Finanzierung eines starken und schnellen Ausbaus erneuerbarer Energien ermöglichen.
  • In den bestehenden Prozessen zur EU-Westbalkan-Kooperation – der Energiegemeinschaft, dem Beitrittsprozess, den Struktur- und Kohäsionsfonds der EU, den kommenden Westbalkan-Gipfeln und dem sogenannten Berlin-Prozess – sollte ein besonderes Augenmerk auf die Energiezusammenarbeit gelegt werden.
  • China ist in der Region sehr aktiv. Die Hälfte der chinesischen Vorhaben betrifft dort Energie und Verkehr, wobei in der Regel in herkömmliche fossile Projekte investiert wird. Die EU sollte versuchen, mit China eine Verständigung auf gemeinsame Nachhaltigkeitsprinzipien zu erreichen. Dafür ist der geplante Gipfel der Regierungschefs der EU und Chinas im September in Leipzig eine Gelegenheit.
Porträtaufnahme von Martin Voß.
Foto: Germanwatch

Martin Voß

ist bei Germanwatch zuständig für Entwicklungs­banken und Klima­transparenz.

Unabhängig davon, ob eine solche Verständigung gelingt oder nicht – entscheidend ist, dass die EU im Vergleich zu ihren geostrategischen Wettbewerbern das attraktivere und glaubwürdigere Angebot für die zukunftsfähige Wirtschaft von morgen macht.

Wahrscheinlich werden diese Aspekte in der kurzen Gipfel-Videokonferenz heute nur angerissen. Deshalb kann der Gipfel nur der Startschuss für eine ernsthaftere Zusammenarbeit mit dem Westbalkan für die Energiewende sein.

Die Arbeit daran wird dann vor allem der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr dieses Jahres zufallen. Das ist eine Chance, die sich die EU nicht entgehen lassen sollte.

Eine ausführliche Version dieser Analyse ist bei Germanwatch erschienen.