Das fertiggestellte, aber noch nicht laufende Steinkohlekraftwerk Datteln 4.
Neues Kohlekraftwerk in Deutschland: Datteln 4 bei Recklinghausen soll im Sommer 2020 ans Netz gehen. (Foto: Galerist/​Wikimedia Commons)

Dieses Jahr wird der Bundestag über den deutschen Kohleausstieg entscheiden. Absehbar ist, dass die Abgeordneten beschließen werden, dass Energiekonzerne noch fast zwei Jahrzehnte lang Kohle verfeuern dürfen. Kombiniert mit der politisch gesteuerten Implosion der Energiewende ist das ein Skandal.

Und noch eine Undenkbarkeit ist vorgesehen: Der Bundestag wird es dem fossilen Energieriesen Uniper wohl erlauben, im Sommer das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz zu bringen. Ja, ein neues Kohlekraftwerk im Jahr 2020. Im deutschen Kohleausstiegsgesetz. Das ist Realsatire, die wir uns nicht leisten können.

Uniper schlägt zwar vor, möglicherweise andere Kraftwerke für Datteln 4 auf Gas umzurüsten oder abzuschalten. Allerdings ist das vorgegaukelter Klimaschutz: Die alten Kraftwerke sind weniger ausgelastet, Datteln 4 würde aber auf Hochtouren feuern. Der Umweltverband BUND rechnet unterm Strich mit mehreren Millionen Tonnen CO2 zusätzlich.

Die Politik, sie versagt weiterhin im Angesicht der Klimakrise. Umso wichtiger wird es in diesem Jahr sein, dass unser Protest weitergeht und größer wird. Datteln 4 ist ein Brandbeschleuniger und hätte niemals gebaut werden dürfen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird alles daran setzen, dass das Kraftwerk nicht ans Netz geht.

Auch abseits der Klimakrise gibt es dafür gute Gründe. Da der Steinkohle-Abbau in Deutschland seit einem Jahr Geschichte ist, importiert die Energiewirtschaft den fossilen Rohstoff ausschließlich aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Russland, Kolumbien und Südafrika.

Luisa Neubauer läuft bei Fridays for Future in der ersten Reihe mit.
Foto: Jörg Farys

Luisa Neubauer

engagiert sich bei der Klimastreik-Bewegung Fridays for Future. Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch "Vom Ende der Klimakrise", das sie gemeinsam mit Alexander Repenning geschrieben hat.

Die Kohle ist trotz der langen Transportwege billiger, als es die deutsche war. Das hat teilweise damit zu tun, dass sie dort im Tagebau leichter zu fördern ist. Aber auch damit, dass die Unternehmen vor Ort kaum Umwelt- und Sozialstandards erfüllen müssen. Unser Kohleimport entspricht der uralten Tradition Europas, andere Weltregionen auszubeuten.

Die in den Steinkohle-Regionen lebende Bevölkerung ist oft Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dörfer werden zwangsumgesiedelt und Ökosysteme werden vernichtet. Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen erleben Repression.

Wir haben eine lateinamerikanische Indigenen-Organisation kontaktiert, um über die Situation vor Ort zu sprechen. "Auch ich wurde bedroht" erzählte uns María Cristina Figueroa Bouriyu von der indigenen Bevölkerung der Wayuu aus dem Steinkohlegebiet Cerrejón in Nord-Kolumbien. Ihre Gemeinde leide unter den nahen Tagebauen, die Wasser und Böden kontaminieren sowie die Luft mit Schadstoffen belasten.

Eine Überlebensfrage

Ihre Lebensgrundlage werde zerstört und besonders Kinder litten unter Mangelernährung und Atemwegserkrankungen. Der Abbau der Steinkohle habe nur "Elend" zu den Wayuu gebracht, sagt María. "Es scheint als würden wir noch in kolonialer Zeit leben, wo sie unsere Territorien und unseren Wohlstand einfach nehmen können."

Wir importieren Blutkohle.

Energiekonzernen wie Uniper ist das offenbar genauso egal wie die Tatsache, dass durch ihr Geschäftsmodell Menschen die Auswirkungen der Klimakrise existenziell zu spüren bekommen – und zwar schon heute.

Im Jahr 2019 haben wir einen Vorgeschmack erlebt, wie es sich anfühlt, in einer um mehrere Grad heißeren Welt zu leben. Die arktische Tundra, die Regenwälder am Äquator brannten, und jetzt erleben wir in Australien Waldbrände bisher unbekannten Ausmaßes.

Foto: privat

Kathrin Henneberger

ist seit Jahren in verschiedenen Gruppen der Klima­bewegung aktiv, zurzeit bei Ende Gelände. 2008 und 2009 war sie Bundes­sprecherin der Grünen Jugend.

Machen wir weiter wie bisher und ergreifen wir keine direkten Maßnahmen, dann lassen wir zu, dass sich die Erde im Durchschnitt um mehr als 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau erwärmt. Es wird prognostiziert, dass das Klimasystem dann an unterschiedlichsten Punkten kippen und eine Erhitzungsspirale in Gang setzen wird.

Eine Erhitzung bis zu einer vier bis sechs Grad heißeren Welt ist möglich. Es stellt sich dann nicht nur eine Lebens-, sondern auch eine Überlebensfrage.

Das Jahr 2020 muss zu dem Jahr werden, in dem wir beginnen so zu handeln, wie es unsere Menschlichkeit und unser Verstand gebieten. Kurzfristigen Profitinteressen großer Konzerne können nicht wichtiger sein als das Leben von Menschen, insbesondere in den Ländern des globalen Südens.

Neue Kohleminen, wie Siemens aktuell in Australien erschließen helfen will, sind damit nicht vereinbar. Neue Kohlekraftwerke wie Datteln 4 selbstredend auch nicht. Da wir uns auf die Politik der Bundesregierung in dieser Hinsicht offenkundig nicht verlassen können, ist es an uns allen, aktiv zu werden.

Die Klimabewegung ist 2018 in all ihren Facetten zusammengekommen, um gegen die Räumung und Rodung des Hambacher Forsts zu streiten. 2019 erlebte sie auch mit Fridays for Future eine neue Hochphase. Das wird sie dieses Jahr wieder tun, um Datteln 4 zu verhindern.

Wir haben verstanden, was auf dem Spiel steht. Und jeden Tag schließen sich mehr Menschen an. Und im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir gewillt, entsprechend zu handeln.