Menschen mit Gasmasken in einem Demonstrationszug, auf Transparenten steht
Den Geist des Paris-Abkommens tragen eher die Menschen außerhalb der Klimaverhandlungen weiter, sagt Jan Kowalzig. Demonstration gegen Kohle auf den Philippinen. (Foto: 350.org)

Klimareporter°: Herr Kowalzig, der Glasgower Klimagipfel endete dramatisch. In letzter Minute intervenierte Indien gegen den in der Abschlusserklärung erstmals erwähnten Kohleausstieg und setzte quasi im Alleingang eine abgeschwächte Formulierung durch.

Aber ehrlich gesagt – ist diese Abschwächung so gravierend? Sie ändert doch nicht viel daran, dass klimapolitisch die Tage der Kohle gezählt sind ...

Aus prozeduraler Sicht war diese Intervention nicht sauber. Danach beschwerten sich viele Länder zu Recht, wieso hier ein Land – und sei es auch noch so groß – ganz am Ende einfach den Text abschwächen kann. Viele andere Länder, die auch Einwände gegen den Glasgow-Pakt hatten, konnten und durften dagegen nicht noch schnell etwas ändern.

In der Sache selbst kann ich Indien ein bisschen verstehen. Obwohl wir global komplett aus den fossilen Energien rausmüssen, hat Indien nicht ganz unrecht mit dem Argument, dass die Welt und auch Indien in diese Lage geraten sind, weil insbesondere die reichen Industrieländer seit 150 Jahren das Klima an den Rand des Kollapses gebracht haben.

Würden die Industrieländer fair und angemessen zum Klimaschutz beitragen, wäre Indien auch nicht in dieser Lage, dass es so schnell aus der Kohle rausmüsste.

Diese prinzipielle Argumentation Indiens finde ich eigentlich richtig. Für mich ist die jetzt gefundene Formulierung insofern noch in Ordnung, weil sie die Richtung vorgibt. Ein "Herunterfahren" kann ja dann auch in einen Ausstieg münden.

Hier ist eine Saat gesät, die in den nächsten Jahren noch gepflegt werden muss, die aber aufgehen kann.

Sie kritisieren, dass der Ruf der besonders von der Klimakrise betroffenen, ärmeren Länder nach Unterstützung bei der Bewältigung von Schäden und Zerstörungen auch in Glasgow wieder nahezu ungehört blieb. Gibt es in der Frage gar kein Vorankommen?

Das Thema Verluste und Schäden, im Konferenzenglisch "Loss and Damage", steht ja seit Jahrzehnten auf der Agenda. Schon in den 1990er Jahren gab es einen Vorschlag zu einem Fonds für Versicherungslösungen für die kleinen Inselstaaten.

Mit Glück können die ärmeren Länder in den kommenden Jahren auf begrenzte technische Unterstützung etwa bei der Planung beim Wiederaufbau nach Unwetterkatastrophen hoffen, nicht aber auf Finanzhilfen für den Wiederaufbau selbst.

Dieses Ergebnis von Glasgow ist wirklich erbärmlich. Es ist bitter zu sehen, dass die ärmeren Länder wieder so an den Rand gedrängt wurden. Und das wurde trotzdem hinterher von einigen Industrieländern noch als Erfolg verkauft.

Sind denn Summen für diese versprochene technische Hilfe bekannt?

Die kennen wir noch nicht. Da müssen wir sehen, was die Geberländer an das dafür vorgesehene Santiago Network überweisen.

Die nächsten zwei Jahre soll auch über weitere Arrangements gesprochen werden, wie die technische Hilfe praktisch umgesetzt wird. Die ärmeren Länder hoffen, dass auf diese Weise auch der von ihnen geforderte Finanzfonds wieder auf den Tisch kommt.

Genau besehen gibt es dafür aber kein Verhandlungsmandat. Insofern besteht die Gefahr, dass wir beim Thema Verluste und Schäden in zwei Jahren genau dort stehen, wo wir heute sind.

Angenommen, durch einen Hurrikan entstehen Schäden in der Karibik. Dann finanziert das Santiago-Netzwerk Experten, die vor Ort errechnen, dass der Wiederaufbau soundso viel kostet – kommt da nicht logischerweise die Frage auf, wer die Schäden dann bezahlt? Haben die ärmeren Länder mit der jetzigen Zusage auf technische Hilfe nicht wenigstens einen Fuß in der Tür?

Die Schadensereignisse finden ja jetzt schon statt. Man kann einfach nicht noch zwei Jahre warten, um dann vielleicht einen Fonds aufzulegen.

Sicher haben die ärmeren Länder einen Fuß in der Tür – der Spaltbreit bedeutet aber nur, über die bereits bestehenden Arrangements reden zu können, und nicht, einen Schritt weiterzukommen und dann auch eine Veränderung der Arrangements zu erreichen.

Ich sage voraus, dass die Industrieländer nach den zwei Jahren nicht darüber reden wollen, was sich ändern muss. Sie werden darauf verweisen, dass es dafür kein Mandat gibt, und das Buch zuklappen. So läuft der Laden.

Neben Verlusten und Schäden war das andere große Thema in Glasgow, wie es nach 2025 mit der Finanzierung von Klimaschutz und Klimaanpassung besonders im globalen Süden weitergeht. Die Industrieländer haben im Pakt leider nur das Ziel bestätigt, 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2025 aufzubringen. Was steht da ab 2025 auf der Agenda?

Zu diesem Post-2025-Ziel traf der Gipfel in Glasgow nur eine prozedurale Entscheidung. Über die Finanzen wird danach in einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe gesprochen – mit Verhandlungen von jeweils zwei Wochen auf der alljährlichen Klimakonferenz.

Portraitfoto Jan Kowalzig
Foto: Oxfam

Jan Kowalzig

ist Spezialist für Klima­finanzierung und -politik bei der Entwicklungs­organisation Oxfam Deutsch­land. Er verfolgt seit Jahren die UN-Klima­verhandlungen. Zuvor war Kowalzig mehrere Jahre in Brüssel für den Umwelt­dach­verband Friends of the Earth Europe tätig.

Das neue Ziel soll dann 2024 beschlossen werden. Zu den zweiwöchigen Verhandlungen gibt es begleitend noch sogenannte technische Expertendialoge. Das sind Workshops, in denen man sich mit Fachfragen auseinandersetzt. Ergänzend wird es sicher Ministertreffen geben, um die Erarbeitung des Ziels auch politisch zu begleiten.

Ich halte so ein Vorgehen für sinnvoll, weil die Entwicklung des neuen Finanzziels eine komplexe Aufgabe sein wird.

Auch diese Entscheidung spiegelt das wider, was die Industrieländer in Glasgow beschließen wollten, und nicht das, was die Entwicklungsländer wollten. Letztere hatten vorgeschlagen, nicht nur zwei, sondern vier Wochen pro Jahr zu verhandeln, um der Komplexität des Themas gerechter zu werden. Damit konnten sie sich nicht durchsetzen, es bleibt bei den zwei Wochen pro Jahr.

Ich glaube, das ist zu wenig Verhandlungszeit für all die komplexen Fragen, über die man in den Workshops zwar fachlich sprechen kann, die aber anschließend auch noch ausführlich politisch verhandelt werden müssten.

Die Industrieländer streben für die Zeit nach 2025 an, die sogenannte donor base, den Geberkreis zur Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung, zu erweitern. Wie steht es darum?

Darüber wird gesprochen werden. Das Ziel, den Geberkreis zu erweitern, ist nur nicht ausdrücklich als Verhandlungsthema aufgelistet, wie das bei anderen Ideen der Fall ist, die in dem Zusammenhang kursieren. Also beispielsweise, ein Unterziel für Klimaanpassung einzubauen – oder dass das Finanzziel auch den Bereich Verluste und Schäden mit abdeckt.

Die Frage, den Geberkreis zu erweitern, wird sich ein Stückweit automatisch einstellen. Denn im Unterschied zum jetzigen 100-Milliarden-Ziel wird das künftige Finanzziel keines sein, das die Industrieländer allein für sich beschließen, sondern das wird eines sein, bei dem erstmals alle Länder Teil des Ziels sind.

Im Artikel 9 des Paris-Abkommens ist nur festgelegt, dass die Industrieländer auch nach 2025 bei der Klimafinanzierung die Führung haben werden. Man darf schon erwarten, dass sich dann noch mehr Länder beteiligen werden wie etwa die reichen Golfmonarchien, allerdings eher auf freiwilliger Basis, während die Industrieländer tatsächlich verpflichtet sind.

Wenn andere Länder sich beteiligen können – ist das dann noch ein klassischer Finanzstrom von Nord nach Süd?

Es geht insgesamt ja nicht darum, einfach nur Geld in den globalen Süden zu schaufeln, sondern insgesamt auch die globalen Finanzströme in Richtung einer klimafreundlichen und resilienten Entwicklung umzulenken.

Wird das berücksichtigt, sind viele Länder des Südens automatisch mit von der Partie, weil sie ja, um ihre eigenen Klimaziele zu verwirklichen, bei sich selbst Finanzflüsse umlenken – durch ihre Klimaschutzmaßnahmen, für die sie aber eben auch finanzielle Unterstützung des reichen Nordens brauchen.

Insofern ist es richtig, dass noch nicht festgelegt wurde, wer ab 2025 wie viel zur Klimafinanzierung beiträgt, weil noch gar nicht klar ist, wie einerseits finanzielle Unterstützung und andererseits das Umlenken der Finanzströme im neuen Ziel ausgedrückt werden wird.

In Glasgow kursierte eine Summe von 1,3 Billionen Dollar, die ab 2025 jedes Jahr in die Klimafinanzierung fließen sollten ...

Die 1,3 Billionen standen sogar eine Zeit lang in einigen Glasgower Textentwürfen, flogen aber wieder raus.

Das war schon richtig. Man weiß jetzt einfach noch nicht, was die Klimafinanzierung ab 2025 leisten soll und wie das neue Ziel eigentlich strukturiert wird. Irgendwann wird über die Summen geredet werden, aber erst gegen Ende.

Ein Teil der Klimafinanzierung könnte auch über den Handel mit Emissionszertifikaten aufgebracht werden. Ist das in Glasgow diskutiert worden?

Die EU hat bisher, etwa im Rahmen des Kyoto-Protokolls, für sich selbst darauf geachtet, dass der Handel mit Emissionsrechten und die CO2-Kompensationen durch Offset-Zertifikate nicht mit der Klimafinanzierung vermischt wurden. Beide Themen wurden immer getrennt behandelt.

Das ist auch richtig. Wenn beispielsweise Industrieländer Klimaschutzprojekte im globalen Süden finanzieren und sich dann die CO2-Reduktion selbst anrechnen, gibt es ja bei ihnen zu Hause weniger Klimaschutz.

Insgesamt ist so eine Verzahnung von Emissionshandel und Klimafinanzierung ein Nullsummenspiel, bringt also kein Mehr an Klimaschutz – das wir aber ganz dringend brauchen. Mit der Klimafinanzierung müssen zusätzliche Einsparungen erreicht werden.

Im Rückblick: Was war für Sie die größte negative Überraschung in Glasgow?

Das war die Weigerung der Industrieländer – und gerade auch der USA und der EU – beim Thema Verluste und Schäden auf die Vorschläge der G77-Staaten, also des globalen Südens, richtig einzugehen.

Zudem hatte die britische Konferenzpräsidentschaft noch nicht einmal den Mut, den G77-Vorschlag für eine sogenannte Fazilität, einen speziellen Fonds dafür wenigstens einmal in den Textentwurf hineinzuschreiben – obwohl die G77-Länder den Großteil der Weltbevölkerung stellen. Das fand ich respektlos und übel.

Und was war das Beste, was passiert ist?

Da gibt es nicht die eine Sache. Gut lässt sich künftig arbeiten mit einigen der Ankündigungen wie der Initiative zum Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Energien.

COP 26 in Glasgow

Nach 25 UN-Konferenzen gab es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, sollte der 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° war vor Ort in Schottland und berichtete mehrmals täglich.

Von den Industrieländern kamen so viele Finanzzusagen wie noch nie auf einem Gipfel – sowohl für den Anpassungsfonds als auch für den Least Developing Countries Fund zur Unterstützung der am wenigsten entwickelten Länder.

Beim Anpassungsfonds kamen um die 340 Millionen Dollar zusammen. Das ist – bezogen auf die 100 Milliarden zur Klimafinanzierung – vergleichsweise wenig, aber der Fonds hat einen guten Ruf, arbeitet effektiv und wird von allen unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich und eine schöne Nebengeschichte.

Und der Aufruf im Glasgow-Pakt an alle Länder, ihre Klimaziele nachzubessern?

Der ist kein Erfolg, sondern das Allermindeste, das erreicht werden musste, damit die Länder Glasgow mit halbwegs erhobenem Haupt verlassen und sagen können, wir sind zwar nicht bei 1,5 Grad, aber wir sehen zu, dafür nachzulegen. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob die Länder diesem Aufruf auch nachkommen.

Und was ist mit dem Geist des Paris-Abkommens – lebt der noch?

Der Pariser Geist lebt noch, aber nicht, weil die Länder das Abkommen so umfassend und mit so viel Engagement umsetzen, dass wir auf dem Weg sind, es zu erfüllen. Das ist überhaupt nicht der Fall. Die Begeisterung, sich gegenseitig beim Klimaschutz übertreffen zu wollen, wie wir sie jetzt bräuchten, ist bei den Staaten nicht so ausgeprägt.

Was den Geist lebendig macht, sind eher die Dinge, die um einen Klimagipfel herum passieren. Die Klimakrise ist als Thema wie noch nie zuvor in der Öffentlichkeit angekommen. Das Bewusstsein, wie ernst die Krise ist und wie dringlich es ist zu handeln, ist so stark wie nie. Daran war vor Paris nicht zu denken.

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