Raum mit rotem Teppisch und vielen Menschen in Anzügen von oben
So sieht der Petersberger Klimadialog normalerweise aus – diesmal fand das informelle diplomatische Treffen größtenteils im Netz statt. (Foto: Susanne Schwarz)

Will man beim Klimaschutz Preisüberlegungen anstellen, gibt es eine Gewissheit, die UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstagnachmittag per Videobotschaft auf dem Petersberger Klimadialog aussprach: "Am teuersten ist das Nichtstun."

Das ist freilich allen bekannt, die in Bezug auf Klimaschutz irgendetwas entscheiden, spätestens seit dem berühmten Stern-Report von 2006. Aber Sisyphos muss den Stein eben immer wieder hochrollen.

Guterres machte auch deutlich, an wen er sich vor allem richtet. "Die G20-Staaten verursachen 80 Prozent der gesamten CO2-Emissionen", so Guterres. "Ohne die Großen ist alle Anstrengung vergeblich." Dieses Jahr sollen dem Paris-Abkommen zufolge alle Staaten ihre Klimaziele erhöhen – damit das gemeinsame Vorhaben, die Erderhitzung möglichst bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen, nicht völlig außer Reichweite gerät.

Vor allem diese Ambitionssteigerung vorbereiten sollte der zweitägige Petersberger Klimadialog – ein informelles Treffen zur internationalen Verständigung bei der Klimapolitik, zu dem die Bundesregierung jährlich Minister:innen wechselnder Länder einlädt. Es war wohl der wichtigste Klimagipfel des Jahres, da die UN-Klimakonferenz, die eigentlich im November im schottischen Glasgow hätte stattfinden sollen, wegen der Corona-Pandemie verschoben wurde.

Im Zeichen der Coronakrise

Aber der Dialog stand nicht in erster Linie im Zeichen des Paris-Abkommens, sondern vor allem in dem der Coronakrise. Organisatorisch, weil die Gespräche per Videokonferenz stattfinden mussten. Und inhaltlich – denn die Pandemie stellt den Klimaschutz auf allen Ebenen vor neue Herausforderungen.

Wie geht es nach der Krise weiter, die neben den vielen Kranken und Toten auch eine handfeste Wirtschaftsflaute zur Folge hat? Unmittelbar sinken zwar die CO2-Emissionen dadurch, aber die deutsche Wirtschaft zeigt wie erwartet wenig Interesse am Postwachstum.

Sie spaltet sich allerdings in zwei Lager. Da ist auf der einen Seite der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der den Rückwärtsgang beim Klimaschutz schon eingelegt hat und jetzt noch die Bundesregierung an Bord holen will. Die europäischen Klimaziele für 2030 gehörten "auf den Prüfstand", ließ BDI-Vize Holger Lösch am Montag anlässlich des Klimadialogs wissen. Dafür solle die Bundesregierung werben.

Bislang ist geplant, dass die Europäische Union ihre Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um 40 Prozent gegenüber 1990 senkt. Die EU-Kommission will das Ziel verschärfen – denn mit den internationalen Klimaschutzverpflichtungen hat es nichts mehr zu tun.

Als Mindestmaß – etliche Berechnungen gehen von noch mehr Dringlichkeit aus – gilt Klimaneutralität im Jahr 2050. Dann darf es im Grunde überhaupt keine CO2-Emissionen mehr geben oder höchstens solche Mengen, wie sie etwa renaturierte Wälder und Moore wieder abbauen. Dazu hat die EU sich bereits bekannt.

Kanzlerin springt Umweltministerin bei

Das Minus-40-Prozent-Ziel für 2030 stammt noch aus der Zeit vorher. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erinnerte deshalb beim Petersberger Klimadialog daran, dass es kaum ausreiche, um die EU auf einen passenden Pfad für die Klimaneutralität zur Jahrhunderthälfte zu bringen. "Ich finde es deshalb richtig, dass die EU-Kommission die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent senken will", so die Politikerin. Innerhalb der Bundesregierung sei das aber noch nicht abgestimmt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schlug sich auf die Seite der Umweltministerin. "Ich begrüße den Vorschlag des Zwischenziels für 2030, die Emissionen gegenüber 1990 um 50 bis 55 Prozent zu reduzieren", sagte Merkel in einer Video-Botschaft. 

Das ist nicht neu, obwohl Merkel ein höheres EU-Klimaziel  lange abgelehnt hatte, weil das auch ein Nachschärfen der deutschen Pläne nach sich ziehen müsste. Deutschland will seine Emissionen bis 2030 zwar schon um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren, laut EU-Einigung tragen die Staaten aber "je nach ihren Möglichkeiten" zum Erfolg des gemeinsamen Ziels bei.

Das heißt: Das an Geld und CO2-Emissionen reiche Deutschland muss mehr liefern als der europäische Durchschnitt. Das würde wohl auch für ein neues, stärkeres Ziel gelten. Ihre Blockade dagegen gab die Kanzlerin im vergangenen Sommer auf einem Staatsbesuch in den Niederlanden auf.

Klima-Experte: Glaubwürdigkeitstest für Merkel

Sowohl Merkel als auch Schulze sprachen sich für den Green Deal aus, den die EU-Kommission plant. Sie erhielten dabei Unterstützung vom zweiten Wirtschaftslager. Die Stiftung 2 Grad hat 68 deutsche Unternehmen gesammelt, darunter Konzerne wie Allianz, Bayer, Eon und Thyssen-Krupp. Das Bündnis forderte am Montag in einem offenen Brief, mit einem "Klima-Konjukturprogramm unsere Wirtschaft krisenfester zu machen".

Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch lobte die Rede der Bundeskanzlerin. "Angela Merkel hat ein Signal für Konjunkturhilfen gesetzt, die konsequent den Klimaschutz unterstützen sollen", sagte er. "Es ist wichtig, dass sie das in einem so internationalen Format wie dem Petersberger Klimadialog getan hat, denn dies ist auch als Signal an andere Regierungen für internationale Solidarität zu verstehen."

Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam will Merkels Worten erst glauben, wenn er Konsequenzen sieht. "Ihren wichtigen Appell für eine klimakompatible Wiederbelebung der Weltwirtschaft nach der Coronakrise kann Angela Merkel gleich einem Glaubwürdigkeitstest unterziehen", sagte er. "Das hieße beispielsweise, nächste Woche auf dem geplanten Autogipfel klarzustellen, dass es für Verbrennungsmotoren keine Kaufprämien aus Steuergeldern geben wird und die europäischen Effizienzstandards keinesfalls gelockert werden."

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Merkels Green Deal

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