Mehrere gelbe kugelförmige Gasbehälter stehen in Reihen unter nächtlicher Beleuchtung hinter einem Stacheldrahtzaun.
LNG-Speicher im Rotterdamer Hafen: Europa baut gerade teure Überkapazitäten auf. (Foto: Rudmer Zwerver/​Shutterstock)

Die EU und vor allem Deutschland haben die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland stark verringert. So erhält die Bundesrepublik seit dem 2. September 2022 von dort kein Pipeline-Gas mehr, dem Tag, an dem Moskau einen Lieferstopp verhängte.

Doch es gibt eine Hintertür für die Einfuhr von russischem Gas, die offenbar zunehmend genutzt wird. Seit Beginn des Ukraine-Krieges kommen nach neuen Daten des US-Thinktanks IEEFA an europäischen Flüssigerdgas-Terminals rund zwölf Prozent mehr LNG aus Russland an.

Damit ist Russland der drittgrößte LNG-Lieferant Europas – nach den USA und Katar. Und das Gas gelangt über Umwege teilweise auch nach Deutschland.

LNG-Terminals gibt es vor allem in westeuropäischen Ländern, darunter Frankreich, Spanien, Belgien, die Niederlande, Großbritannien und Italien, in Osteuropa werden sie von Polen und Litauen betrieben. In Deutschland sind inzwischen mehrere schwimmende Terminals an Nord- und Ostsee gebaut worden, weitere sollen folgen.

Die größten Importeure von LNG aus Russland sind Frankreich, Spanien, Belgien und die Niederlande. Deutschland bezieht zwar nicht direkt russisches LNG, doch es gelangt laut IEEFA über das vorhandene innereuropäische Pipeline-Netz aus Belgien und den Niederlanden ins Land.

Der Thinktank geht davon aus, dass die LNG-Importe aus Russland weiter zunehmen werden, da Russland wegen der gestoppten Pipelines Nord Stream 1 und 2 vermehrt auf den LNG-Export setzt. Gleichzeitig baut Europa seine Infrastruktur weiter aus. Die IEEFA-Fachleute schätzen, dass sich die LNG-Importkapazitäten hier bis 2030 fast verdoppeln werden.

Das Flüssigerdgas kommt vom zweitgrößten russischen Erdgasförderer Nowatek, einem privaten, börsennotierten Unternehmen mit Hauptfördergebieten in Westsibirien.

Bereits im vorigen Herbst hatten Daten der Internationalen Energieagentur IEA und der EU-Kommission einen Anstieg der russischen LNG-Lieferungen nach Frankreich, Spanien, Belgien und in die Niederlande gezeigt. Demnach hatten die Importe in den ersten drei Quartalen 2022 bereits um fast die Hälfte auf 16,5 Milliarden Kubikmeter zugelegt. Zum Vergleich: Die Jahreskapazität von Nord Stream 1 betrug rund 55 Milliarden Kubikmeter.

Pleiten von LNG-Importeuren befürchtet

IEEFA warnt wie andere Fachleute auch davor, dass Europa seine LNG-Importkapazitäten zu stark ausbaut und damit am Ende große Überkapazitäten entstehen. Der Thinktank erwartet, dass sie nach den derzeitigen Infrastrukturplänen im Jahr 2030 mehr als 400 Milliarden Kubikmeter betragen werden.

Die Nachfrage nach LNG werde dann aber deutlich geringer sein, unter anderem wegen Klimaschutzmaßnahmen. Laut IEEFA wird sie bei 150 Milliarden Kubikmetern liegen, nach anderen Prognosen bei 190 Milliarden.

Bis 2030 würden damit die ungenutzten Kapazitäten auf rund 200 bis 250 Milliarden Kubikmeter anwachsen. Das entspricht etwa der Hälfte des gesamten Gasbedarfs der EU im Jahr 2021, der 413 Milliarden Kubikmeter betrug.

EEFA-Expertin Ana Maria Jaller-Makarewicz warnte davor, dass die drohenden Überkapazitäten die konkrete Gefahr von "Stranded Assets" und damit Pleiten der LNG-Importeure bewirken könnten. Das könne die Energiesicherheit gefährden. Die LNG-Infrastruktur sei teuer im Bau und in der Wartung.

"Deshalb müssen wir den Ausbau bedarfsorientiert planen und berücksichtigen, dass die EU den Gasverbrauch bis 2030 um mindestens ein Drittel senken will", sagte Jaller-Makarewicz.

Die ukrainische Umweltorganisation Razom We Stand kritisierte das Ausmaß des LNG-Ausbaus unterdessen heftig. Die Flüssiggas-Terminals würden "als Hintertür genutzt, um russisches Gas nach Europa zu bringen", sagte die Gründerin Switlana Romanko.

Bei den neuen Investitionen in LNG-Infrastruktur gehe es nicht um Energiesicherheit, sondern am Ende um "die obszönen Geschäfte der fossilen Industrie, die weiterhin ungestraft bleiben". Razom We Stand fordert ein vollständiges Embargo für russische Energieexporte.

IEEFA hat einen "European LNG Tracker" online gestellt, der den aktuellen Stand des LNG-Ausbaus darstellt.

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