Klimareporter°: Herr Köncke, welche Rolle spielt China in der globalen Produktion von Solarmodulen und Windkraftanlagen?

Philipp Köncke: China ist der größte Produzent von Solarmodulen und Windturbinen. Die Volksrepublik vereint 43 Prozent der globalen Kapazitäten zur Erzeugung von Solarstrom. Bei der Windenergie sind die Dimensionen ähnlich.

 

Dabei sind ganze Wertschöpfungsketten bei der Produktion von Solarzellen und Windturbinen um China zentriert. Das geht von der Gewinnung der Rohstoffe über ihre Weiterverarbeitung sowie die darauffolgenden Herstellungsschritte bis zur Produktion der Solarmodule und Windkraftanlagen.

Sieben der globalen Top-Ten-Solarmodulhersteller und sechs der Top-Ten-Windturbinenproduzenten kommen aus China. Das heißt: Die führenden Konzerne bei den Technologien, die über die Zukunft der globalen Energiewende entscheiden, sind chinesisch. Sie heißen Longi und Trina Solar im Solarsektor oder Goldwind und Envision im Windsektor.

Handelt es sich dabei um private oder staatliche Unternehmen – oder aber um Formen des Mischeigentums?

Interessanterweise – und vielleicht anders als gedacht – sind die meisten Konzerne entweder in Privateigentum oder hybrid, also mit kombinierten privaten und staatlichen Eigentumsanteilen. Bei den Konzernen in hybridem Eigentum haben die privaten Eigentümer in der Regel mehr Anteile als der Staat – und ein Teil wird sogar von ausländischen Investoren kontrolliert.

Beispielsweise sind die führenden Solarmodulproduzenten Trina Solar und Jinko Solar privat. Der weltgrößte Solarmodulhersteller Longi Green Energy und der weltgrößte Windkraftanlagenproduzent Goldwind sind im hybriden Eigentum. Bei letzterem vermischen sich staatliches und privates Kapital gar mit ausländischem Kapital. Hingegen ist unter den größten chinesischen Wind- und Solarkonzernen nur einer in staatlichem Eigentum, nämlich der Windturbinenproduzent Dongfang.

Die Förderung von grünen Technologien folgt in China vor allem einer ökonomischen Logik, sagt Philipp Köncke. (Bild: Ssguy/​Shutterstock)

Das entspricht tatsächlich nicht dem in Politik und Medien hierzulande gezeichneten Bild. Welche Rolle spielt denn dann der Staat für den Sektor der erneuerbaren Energien in China?

Obwohl die direkten Produzenten von Solarmodulen und Windturbinen in China oft privat oder hybrid organisiert sind, bezeichne ich die polit-ökonomische Konfiguration in China als Staatskapitalismus, genauer gesagt Parteistaatskapitalismus.

Dieses Modell wirkt auch bei grünen Technologien wie den erneuerbaren Energien. Denn zusätzlich zu den Produzenten im privaten oder hybriden Eigentum gibt es viele staatliche Akteure im Stromsektor, darunter Netzbetreiber und Stromerzeugungskonzerne, die vollständig in staatlichem Besitz sind.

Durch dieses staatliche Eigentum hat der chinesische Parteistaat einen entscheidenden Hebel und konnte die Nachfrage nach Solarmodulen und Windturbinen gezielt fördern. Hinzu kommt Chinas starke Industriepolitik, die gerade diese beiden Sektoren zu einem zentralen Ziel wirtschaftspolitischer Maßnahmen gemacht hat.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die staatliche Kontrolle der Preise entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Stromsektor. Dazu gehören Einspeisevergütungen, staatlich festgelegte Strompreise für Endverbraucher und regulierte Netzentgelte.

Diese Trias – das staatliche Eigentum an Stromerzeugern und Netzbetreibern, die umfassende Industriepolitik und die Preisregulierung – spielt eine zentrale Rolle in Chinas Modell für grüne Technologien und bildet das Fundament seiner heutigen Technologieführerschaft in diesem Bereich.

Blieb diese Trias seit 2005 unverändert?

Bei den Eigentumsverhältnissen ist in China eine weitgehende Stabilität zu beobachten. Interessant wird es jedoch bei der Industrie- und Preispolitik. Im westlich-liberalen Diskurs wird China häufig als Beispiel für eine staatlich gesteuerte Wirtschaft dargestellt. Schaut man jedoch genauer hin, zeigt sich, dass die staatliche Förderung dieser Sektoren verschiedene Phasen durchlaufen hat.

Von 2005 bis 2015 gab es eine Phase intensiver staatlicher Förderung mit einer starken Industriepolitik und staatlich festgelegten Preisen. Seit 2015 sehen wir jedoch umfassende Reformen des Stromsektors und -marktes, die in Richtung Liberalisierung und Vermarktlichung zielen.

Das zeigt sich an mehreren Entwicklungen: Subventionen wurden massiv abgebaut, der Stromhandel wurde zunehmend liberalisiert, Spotmärkte nach westlichem Vorbild wurden eingeführt und Direktabnahmeverträge gestärkt. Immer häufiger erfolgt die Preisaushandlung zwischen Erzeugern und Endkunden autonom und flexibel.

Dadurch nimmt der Anteil "geplanter" Stromverkäufe stetig ab. Während 2015 nur wenige Prozent des gelieferten Stroms über Märkte gehandelt wurden, sind es heute bereits über 60 Prozent. Der chinesische Strommarkt gleicht sich also gewissermaßen den westlichen Strommärkten an.

Bild: privat

Philipp Köncke

ist wissen­schaft­licher Mitarbeiter an der Universität Erfurt. Er forscht zu Staat-Kapital-Verhältnissen im chinesischen Kapitalismus und den politischen Reaktionen der EU und der USA auf den Aufstieg Chinas.

Bisher sind die Strommärkte in China auf Ebene der mehr als 20 Provinzen organisiert. Gibt es Bestrebungen, dies zu verändern?

Ja, es gibt Initiativen zur Bildung intraprovinzieller Märkte. Die chinesische Regierung hat das Ziel, bis 2030 einen einheitlichen nationalen Strommarkt zu gründen. Die politische Stoßrichtung geht also dahin, die Strommärkte der Provinzen und Regionen in ein nationales System zu integrieren.

Wie sehen die Vorgaben und Ziele für die erneuerbaren Energien heute aus?

In den Fünfjahresplänen und anderen energiepolitischen Leitlinien sind ganz konkrete Zielvorgaben für den Ausbau erneuerbarer Energien festgelegt. Zum Beispiel war es das Ziel der chinesischen Regierung, bis 2030 Kapazitäten zur Solar- und Windenergieerzeugung in Höhe von 1,2 Millionen Megawatt zu installieren. Dieses Ziel hat China bereits im Juli 2024 erreicht.

Welche Rolle spielen die Exporte von Solarmodulen?

Wir sehen heute, dass die Energiewende in Europa – vor allem bei der Solarenergie – stark von chinesischen Technologien abhängig ist. Knapp 90 Prozent aller in der EU installierten Solarmodule stammen aus China. Diese Abhängigkeit hat geoökonomische und politische Spannungen provoziert.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten reagieren darauf mit einer Mischung aus handelspolitischen Schutzmaßnahmen und sektorspezifischer Industriepolitik, um eigene Produktionskapazitäten aufzubauen. Der Vorwurf an China lautet, dass es durch eine staatlich orchestrierte Produktionsausweitung unfaire Wettbewerbsbedingungen geschaffen hat und die Märkte mit billigen Solarmodulen aus Überkapazitäten überschwemmt.

Es stimmt, dass es Überkapazitäten und starke Abwärtsspiralen bei den Preisen für Solarmodule gibt, die einerseits durch staatlich initiierte Produktionssteigerungen entstanden sind. Andererseits hat die zunehmende Liberalisierung und Vermarktlichung des chinesischen Stromsektors ebenfalls dazu beigetragen, da sie einen starken Wettbewerb und damit sinkende Preise gefördert hat.

Wir sehen hier also das Ergebnis zweier Dynamiken: einerseits der staatlichen Intervention und andererseits des schrittweisen Rückzugs des Staates aus dem Markt. Diese Kombination prägt die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen.

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.

Ist dies nicht auch eine grundsätzliche Dynamik, die den chinesischen Staatskapitalismus prägt?

In China zeigt sich hier ein wiederkehrendes Muster. Beispielsweise gab es zu Beginn der 2000er Jahre eine Krise in der Kohle- und Stahlindustrie, und seit einigen Jahren erlebt der Immobiliensektor eine schwere Krise.

Die chinesische Regierung reagiert darauf, indem sie neue Sektoren identifiziert, die zum Wachstumstreiber und damit zum Hauptziel ihrer Industriepolitik werden. So sehen wir jetzt auch im E‑Autosektor ähnliche Entwicklungen wie die eben beschriebene Dynamik.

Es gibt die Strategie, zunächst schnell Produktionskapazitäten auszuweiten, um dann schrittweise staatliche Eingriffe zurückzufahren und den Marktwettbewerb zu fördern. Ziel ist es, durch Effizienzsteigerungen Überkapazitäten abzubauen.

Dieser Prozess geht jedoch häufig mit Preisabwärtsspiralen und Profitabilitätskrisen bei den Produzenten einher – ein Schema, das sich wiederholt und das aktuell besonders im chinesischen Solarsektor wirkt. Langfristig soll eine Marktkonsolidierung erreicht werden, was voraussetzt, dass weniger effiziente Unternehmen den Markt verlassen und insolvent gehen.

Das Ziel der Regierung ist es also, global wettbewerbsfähige Unternehmen aufzubauen?

Ja, das Wechselspiel zeigt, dass die Förderung von grünen Technologien wie Solar- und Windkraft vor allem einer geoökonomischen Logik folgt: China will wettbewerbsfähiges Kapital für den globalen Markt herstellen. Trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien bleibt Kohle dominant, und China baut weiterhin Kohlekraftwerke – sowohl im Inland als auch im Ausland.

Zudem ist China der größte Importeur von Öl, Kohle und Gas, was den gewaltigen Energiebedarf dieses Modells unterstreicht. Dieser hohe Energieverbrauch untergräbt die Dekarbonisierungserfolge, die mit dem Ausbau erneuerbarer Energien erzielt werden.

Es wird deutlich, dass die Förderung neuer grüner Technologien nicht nur ökologischen, sondern vor allem geoökonomischen Zielen dient, um im globalen Kapitalismus in einem der zentralen Sektoren wettbewerbsfähig zu bleiben.

 

Sollten die günstigen Solarmodule trotzdem zur Bekämpfung der Klimakrise dankend angenommen werden?

Es wäre wenig sinnvoll, sich handelspolitisch von China bei Solarmodulen und Windkraftanlagen abzukoppeln und damit zu riskieren, die eigene Energiewende auszubremsen. Ich halte es für falsch, konkurrierende Wertschöpfungsketten aus einem standortnationalistischen Gedanken heraus aufzubauen. In einem solchen Wettkampf verliert immer jemand, und der Kampf um Wertschöpfung führt zu einer Nullsummen-Mentalität.

Wenn bereits ein Land genügend Produktionskapazitäten hat, um die globale Nachfrage zu bedienen, wäre es wenig zielführend, sich davon mit protektionistischen Mitteln abzugrenzen. Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise sollte alles getan werden, was dazu beiträgt, öko-kooperative Übergänge zu schaffen und die eigene Energiewende zu beschleunigen.

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