Klimareporter°: Frau Adachi, "Überkapazitäten" ist zu einem Schlagwort in der hiesigen Debatte um Chinas Exporte – auch von grünen Technologien – geworden. Was sind Überkapazitäten eigentlich?

Aya Adachi: Der Begriff ist recht schwammig und hat keine einheitliche Definition. Man spricht von Überkapazitäten, wenn die verfügbaren Produktionskapazitäten die Nachfrage nach den entsprechenden Gütern oder Dienstleistungen übersteigen, was zu ungenutzten Ressourcen und wirtschaftlicher Ineffizienz führt.

 

Je nach Branche wird der Begriff jedoch unterschiedlich ausgelegt. In manchen Sektoren gilt eine Überkapazität von 20 Prozent als völlig normal, um Nachfrageschwankungen auszugleichen.

In den letzten Jahren hat der Begriff an Bedeutung gewonnen, insbesondere in der Diskussion über das Ausmaß der Überproduktion in China. Die chinesische Wirtschaft hat ihre Produktionskapazitäten erheblich ausgebaut, ihre Exporte stark gesteigert und setzt damit den globalen Markt zunehmend unter Druck. Gleichzeitig ist der Binnenkonsum eher rückläufig – ein Trend, der viele Sektoren betrifft.

Das gilt für Konsumgüter, aber auch für strategisch geförderte Industrien, etwa grüne Technologien wie Solaranlagen, Windturbinen, Elektroautos und Lithiumbatterien.

Spricht Chinas Regierung ebenfalls von Überkapazitäten?

Noch im Dezember 2023 betrachtete die chinesische Regierung das Problem als interne Herausforderung und ein Zeichen wirtschaftlicher Ineffizienz. Doch mit wachsender globaler Kritik änderte sie ihre Haltung und begann im Mai 2024, die Problematik öffentlich zu leugnen.

Diese Entwicklung hat besonders große Auswirkungen auf Länder, in denen Firmen ansässig sind, die direkt mit chinesischen Produkten konkurrieren. In den grünen Sektoren trifft dies vor allem die EU, während im Bereich der Konsumgüter, Maschinen und Industrieprodukte auch Länder mit oberem mittleren Einkommen betroffen sind, die bisher starke Marktpositionen hatten.

Besonders deutlich zeigt sich dieser Wandel darin, dass China im verarbeitenden Gewerbe 2021 noch ein Handelsdefizit gegenüber diesen Ländern verzeichnete, das sich seitdem jedoch in einen Handelsüberschuss für China umgekehrt hat.

Bild: privat

Aya Adachi

ist Analystin mit Fokus auf Geo­ökonomie und Außen­wirtschafts­politik der EU, Chinas und Japans, speziell im Indopazifik und im globalen Süden. Bis Februar war sie Fellow bei der Bundes­kanzler-Helmut-Schmidt Stiftung und veröffentlichte eine Studie über Chinas ökonomische Überschüsse und den globalen Süden. Zuvor arbeitete sie am Mercator Institute for China Studies (Merics). Sie promovierte zur chinesischen und japanischen Außen­wirtschafts­politik an der Ruhr-Universität Bochum.

Welche Rolle spielt Greentech im Handel zwischen China und dem globalen Süden?

China selbst hat ein starkes Interesse daran, seine Überkapazitäten etwa im Bereich erneuerbare Energien durch verstärkte Exporte in den globalen Süden abzubauen.

Das zeigt sich auch auf politischer Ebene: China hat sowohl beim Forum on China–Africa Cooperation als auch bei der letzten UN-Klimakonferenz angekündigt, mehr Finanzierung für Greentech-Projekte bereitzustellen. Dabei wird immer wieder gefordert, dass China sich stärker an der Finanzierung beteiligt – ob durch Zuschüsse oder Kredite.

Ein wesentlicher Anreiz für China bleibt jedoch, eigene Überkapazitäten abzubauen, indem es mehr in den globalen Süden exportiert und dort in Produktionskapazitäten investiert.

Die Handelsdaten unterstreichen diesen Trend: Eine Analyse des Thinktanks Dialogue Earth zeigt, dass 47 Prozent der chinesischen Exporte im Jahr 2024 in den globalen Süden gingen. Dort gibt es zwar insgesamt geringere Stromkapazitäten und einen niedrigeren Energieverbrauch, doch der Bau neuer Solaranlagen nimmt rasant zu – maßgeblich durch chinesische Exporte getrieben.

Was bedeutet das für Länder, die versuchen, eine eigene Produktion im Bereich Greentech aufzubauen?

Ursprünglich ging man davon aus, dass China im Zuge seines wirtschaftlichen Aufstiegs bestimmte Segmente der Wertschöpfungskette für andere Länder freigeben würde. Doch der 14. Fünfjahresplan aus dem Jahr 2020 hat gezeigt, dass China viele dieser Bereiche weiterhin dominieren will.

Das betrifft insbesondere Länder des globalen Südens, die im Wettbewerb mit China stehen. Aufgrund enormer Skaleneffekte kann China deutlich günstiger produzieren, wodurch es für diese Länder schwer wird, mitzuhalten.

Für die Solarzellen-Herstellung muss China kaum noch Rohstoffe oder Komponenten importieren. (Bild: Industrieblick/​Shutterstock)

Schwellenländer wie Brasilien, Indien und Südafrika versuchen, eigene Kapazitäten im Bereich Solartechnologie und Greentech aufzubauen. Doch der Wettbewerb mit China ist für sie äußerst herausfordernd.

Deshalb fordern sie seit einiger Zeit, dass China nicht nur Vorprodukte liefert und Endprodukte in ihren Ländern montieren lässt. China soll mehr Teile der Wertschöpfungskette bei ihnen ansiedeln, statt nur Rohstoffe zu extrahieren, in China zu verarbeiten und dann wieder zu exportieren.

Deshalb führen einige Länder inzwischen auch defensive Handelsmaßnahmen gegenüber China ein ...

Entwicklungsländer sind für 65 Prozent aller defensiven Handelsmaßnahmen verantwortlich. Diese betreffen nahezu alle Sektoren, darunter Agrarprodukte, Metall- und Mineralprodukte, Konsumgüter, Chemikalien und Maschinen.

Einige Schwellenländer verfolgen dabei eine gezielte Strategie. So haben Brasilien, Südafrika, Indien und die Türkei im Bereich der grünen Technologien Zölle auf Elektroautos und Solarmodule eingeführt – nicht nur, um ihre heimischen Industrien vor der wachsenden Konkurrenz aus China zu schützen, sondern auch, um Anreize für chinesische und ausländische Investitionen zu schaffen.

Ein weiteres Beispiel dafür sind sogenannte Local-Content-Requirements, also Anforderungen an die Verwendung lokal produzierter Teile in der Produktion. Andere Länder, die weniger regulatorische Instrumente zur Verfügung haben, setzen vor allem auf Zölle. Besonders für Länder mit niedrigem Einkommen sind Zölle oft der einfachste Weg, um sich gegen übermäßige Importe zu schützen.

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.

Wie verläuft die politische Aushandlung zwischen diesen Ländern und China?

China präsentiert sich einerseits als wohlwollender Handelspartner, indem es Nullzölle für die am wenigsten entwickelten Länder ankündigt und sich damit aktiv für globales Wirtschaftswachstum einsetzt. Angesichts der erheblichen chinesischen Handelsüberschüsse im verarbeitenden Gewerbe sind diese Maßnahmen jedoch eher symbolisch und haben nur begrenzte wirtschaftliche Auswirkungen.

Interessanterweise reagiert China aber gegenüber Ländern des globalen Südens weit weniger konfrontativ als gegenüber der EU oder den USA. Wenn westliche Staaten defensive Handelsmaßnahmen einführen, reagiert die chinesische Regierung meist mit Gegenmaßnahmen.

Das hat sich beispielsweise während des Handelskriegs in der ersten Trump-Präsidentschaft deutlich gezeigt. Aber auch als die EU Zölle auf E‑Autos einführte, hat China Gegenmaßnahmen ergriffen, zum Beispiel Zölle auf französischen Cognac, weil Frankreich sich im EU-Ministerrat für die Zölle starkgemacht hatte.

Doch in Handelskonflikten mit Entwicklungsländern geht die chinesische Regierung strategisch vorsichtiger vor. Wenn Länder des globalen Südens Schutzmaßnahmen ergreifen, kommt es nicht zu diesen Gegenreaktionen Chinas. China kann es sich schlicht nicht leisten, mit einer Vielzahl von Staaten in Handelsstreitigkeiten zu geraten.

 

Verlagern sich im Zuge der Handelskonflikte zwischen China und westlichen Staaten auch Handelsströme und Produktionsstätten?

Bereits während der ersten Trump-Administration haben sowohl die USA als auch China begonnen, Handelsströme gezielt in den globalen Süden umzuleiten, um Zölle zu umgehen. Besonders in Südostasien entstanden dadurch neue Produktions- und Handelsstrukturen.

Doch unter der Biden-Regierung wurde dies strenger kontrolliert. Die USA haben Länder, die Handelsbeziehungen mit China pflegen, zunehmend bestraft. Vietnam ist ein Beispiel: Nachdem China dort verstärkt Kapazitäten zur Solaranlagenproduktion aufgebaut hatte, belegten die USA vietnamesische Solarmodule mit Zöllen. Daraufhin verlagerte sich die Produktion weiter nach Indonesien.

Dieses Katz-und-Maus-Spiel zeigt, dass die USA aktiv versuchen, Handelsverlagerungen in den globalen Süden zu unterbinden, während China es vermeidet, diese Länder für ihre Beziehungen zu den USA zu sanktionieren. Letztlich geht es beiden Seiten um wirtschaftliche Interessen – und darum, Wege zu finden, die durch den geoökonomischen Konflikt aufgestellten Barrieren zu umgehen.