Klimareporter°: Herr D'Sola, chinesische Unternehmen prägen den Bergbausektor in Lateinamerika entscheidend mit. Bei vielen Metallen, die für die Energie- und Verkehrswende von großer Bedeutung sind, spielen sie eine wichtige Rolle, etwa bei der Weiterverarbeitung von Lithium. Was heißt das für die Beziehungen zwischen China und den lateinamerikanischen Staaten?

Parsifal D'Sola: Der Rohstoffsektor ist das zentrale Feld, in dem chinesische Unternehmen in Lateinamerika aktiv sind. Lithium steht derzeit im Rampenlicht, aber es geht auch um Kupfer und sogar um seltene Erden. Chinesisches Engagement findet man praktisch überall in Südamerika: in Venezuela, Kolumbien, Peru, Ecuador, Bolivien, Chile und Argentinien.

 

Aber in allen diesen Ländern folgt das Modell demselben Muster: Chinesische Firmen konzentrieren sich vor allem auf den Abbau von Rohstoffen. Die Mineralien werden nach China exportiert, wo dann die gesamte Weiterverarbeitung stattfindet. In der Region selbst entsteht wenig bis gar keine Wertschöpfung.

Die Raffination, die Batterieproduktion – all das passiert bis heute in China. Im Grunde genommen ist es eine Fortsetzung jenes historischen Abhängigkeitsmodells, das viele Länder der Region in der sogenannten middle-income trap festhält.

Diese Dynamik sagt allerdings mehr über die Region aus als über China. Viele lateinamerikanische Volkswirtschaften folgen noch immer einem Entwicklungsmodell, das stark auf Extraktivismus beruht – also auf einem rentenorientierten System, das auf den Export von Rohstoffen setzt. Dieses Modell existiert seit über einem Jahrhundert und ist besonders in der Andenregion – von Venezuela bis Chile – deutlich zu erkennen.

In diesem Sinne kann man durchaus von einer neuen Form der Abhängigkeit sprechen.

Das heißt, Ihrer Einschätzung nach profitiert China als wichtigster Handelspartner für zahlreiche lateinamerikanische Staaten stärker von den Beziehungen?

Im Großen und Ganzen ist China der Hauptnutznießer seines Engagements in der Region – das gilt über alle Sektoren hinweg. Ob es um grüne Technologien, den Infrastrukturausbau oder andere Industriezweige geht: China profitiert am meisten.

Die meisten Länder in Lateinamerika und der Karibik haben keine klar definierte China-Politik. Mit nur wenigen Ausnahmen reagieren sie eher auf chinesische Initiativen, statt die Beziehungen aktiv und strategisch zu gestalten.

Bild: privat

Parsifal D'Sola

ist Gründer und Chef der Fundación Andrés Bello, eines Think­tanks für chinesisch-latein­amerikanische Beziehungen in Bogotá. Er studierte unter anderem Ost­asien­wissen­schaften und inter­nationale Politik in Caracas, New York, London und Peking, wo er acht Jahre für eine private europäische Nachrichten­agentur arbeitete. D'Sola ist auch für den Global China Hub des Atlantic Council in Washington tätig.

Gleichzeitig ist wichtig zu betonen, dass diese Beziehung keine Einbahnstraße ist. China drängt sich nicht auf – es wurde eingeladen und in vielen Fällen sogar ausdrücklich willkommen geheißen. Die Regierungen in Lateinamerika handeln also durchaus mit Eigenverantwortung.

Was jedoch oft fehlt, ist ein klarer politischer Rahmen oder ein tieferes Verständnis für Chinas strategische Ziele und sein Vorgehen in der Region.

Was müssen die Regierungen Lateinamerikas anders machen?

Ein zentraler Punkt ist, für echte lokale Wertschöpfung zu sorgen – insbesondere durch den Transfer von Technologie und Wissen. China spricht häufig von "Win-win-Kooperationen", aber in der Praxis sehen wir wenig Belege für Technologietransfer oder die Entwicklung neuer geistiger Eigentumsrechte in den Ländern, in denen chinesische Unternehmen aktiv sind.

Das ist eine verpasste Chance. Mit einer klug gestalteten Industriepolitik könnten die Regierungen in Lateinamerika die Voraussetzungen dafür schaffen, dass echter Wissenstransfer stattfindet.

Ein Beispiel dafür ist BYD in Brasilien. Das chinesische Unternehmen ist dort mit einem großen Montagewerk für Solarmodule vertreten. Die leitenden Angestellten und Ingenieure sind größtenteils Chinesen, während die Arbeitskräfte vor Ort rekrutiert werden. Die Fabrik konzentriert sich aber hauptsächlich auf die Montage und den Vertrieb der Produkte – sie ist kein Ort der Innovation oder technologischen Weiterentwicklung. Dieses Modell ist ziemlich typisch für chinesische Unternehmen in der Region.

Regierungen könnten durch Regulierung und Industriepolitik eingreifen, um eine substanzielle lokale Beteiligung zu fordern – nicht nur in Form von Arbeitsplätzen, sondern auch in Bereichen wie Ingenieurwesen, Forschung und Entwicklung. Solche Maßnahmen müssen jedoch von oben angestoßen werden. Das ist nichts, was die Zivilgesellschaft oder der Privatsektor allein durchsetzen könnten.

Es braucht ein verbindliches regulatorisches Rahmenwerk, das chinesische Unternehmen an lokale Regeln bindet und sicherstellt, dass ihre Präsenz zur nationalen Entwicklung beiträgt – etwa indem die Länder in der Wertschöpfungskette aufsteigen.

Der Charakter der Investitionen von chinesischen Unternehmen hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Bisher investierte China neben dem Rohstoffsektor vor allem in große Infrastrukturprojekte. Ein prominentes Beispiel ist der Hafen von Chancay in Peru, der im November 2024 eröffnet wurde.

Inzwischen gibt es auch viele Investitionen im Energiesektor. Was hat sich verändert?

Das Hafenprojekt in Chancay ist ein gutes Beispiel dafür, wo man eine Grenze ziehen kann – es ist eigentlich ein Wendepunkt – zwischen zwei Phasen des chinesischen Engagements in der Region.

In den vergangenen 20 Jahren, vor allem in den 2010er Jahren, gab es eine Welle groß angelegter Infrastrukturprojekte unter chinesischer Führung: Häfen, Wasserkraftwerke, Eisenbahnlinien, Autobahnen. In vielerlei Hinsicht ist Chancay das letzte dieser Megaprojekte nach dem "alten Modell".

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.

In den letzten zehn Jahren gab es einen deutlichen Wandel hin zu Fusionen und Übernahmen, gerade in strategisch wichtigen Industrien für China, etwa im Bereich der Energiewende. Aus meiner Sicht zeigt sich hier eine Lernkurve: Für viele chinesische Unternehmen – und auch für die Regierung – war Lateinamerika zunächst Neuland. Übernahmen oder Kooperationen mit lokalen Partnern ermöglichen es ihnen, sich effizienter in den lokalen Märkten zu bewegen.

Beispiele dafür sehen wir unter anderem in Argentinien, Chile und Brasilien, wo chinesische Unternehmen – sowohl staatliche als auch private – Anteile an nationalen Stromnetzen übernommen haben. Diese Sektoren waren traditionell von westlichen, vor allem US-amerikanischen Firmen dominiert. Doch nach der Covid-Pandemie haben sich viele dieser westlichen Akteure aus der Region zurückgezogen – und so Raum für chinesische Unternehmen geschaffen.

Chinesische Unternehmen investieren nicht nur in Stromnetze, sondern schaffen auch die Infrastruktur für Elemente der Verkehrswende. Ein Beispiel ist der Bau der Metro in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá.

Die Metro in Bogotá ist tatsächlich ein interessantes Beispiel. Um das richtig einordnen zu können, muss man etwas zurückblicken: Bogotá versucht seit über vier Jahrzehnten, ein U‑Bahn-System zu bauen. Der Auftrag wurde schließlich im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens vergeben, und 2019 erhielt ein chinesisches Konsortium den Zuschlag.

Der Bau ist derzeit im Gange, liegt aber leicht hinter dem Zeitplan – vor allem wegen pandemiebedingter Verzögerungen. Auch wenn es angesichts der rund acht Millionen Einwohner wie ein Großprojekt klingt, ist der Umfang des Vorhabens eher überschaubar.

Trotzdem passt es in eine größere Strategie chinesischer Unternehmen, die sogenannte Smart-City-Ansätze fördern. In Bogotá wird die Metro künftig mit dem städtischen Bussystem verknüpft – und dieses besteht zum Teil aus Bussen chinesischer Hersteller wie BYD. Außerdem sieht man auf den Straßen zunehmend Hybridtaxis chinesischer Marken.

 

Auch das Stromnetz ist ein zentrales Element nicht nur der Energiewende, sondern auch für die Verkehrswende. Wenn man etwa an Elektrofahrzeuge denkt, fehlt es in vielen südamerikanischen Ländern bislang an der nötigen Infrastruktur wie etwa Ladepunkten.

Die entscheidende Frage ist also: Wer baut diese Infrastruktur auf? Und angesichts der wachsenden Kontrolle chinesischer Unternehmen über zentrale Teile der Stromversorgung ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auch beim Aufbau eines E‑Mobilitäts-Systems in der Region eine zentrale Rolle spielen werden.

Metro, Busse, Elektroautos – all diese Elemente sind miteinander verbunden und Teil eines umfassenderen Sets an Interessen und Kompetenzen, mit denen China sich zunehmend in die städtische Entwicklung und die grüne Infrastruktur in Lateinamerika einbringt.

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