Klimareporter°: Frau Sausmikat, Chinas Präsident Xi Jinping hat 2021 angekündigt, dass sein Land im Ausland keine Investitionen mehr im Kohlesektor tätigen würde. Hat sich das bewahrheitet?
Nora Sausmikat: Wie eine Studie des finnischen Thinktanks Crea zeigt, waren zum Zeitpunkt von Xi Jinpings Ankündigung insgesamt 104 Kohlekraftwerke außerhalb Chinas, aber mit chinesischen Geldern oder Generalauftragnehmern in Planung. Ein Viertel davon wurde tatsächlich gecancelt. Mehr als ein Viertel befindet sich jedoch im Bau.
Bei den anderen sieht es unterschiedlich aus. Einige suchen nach alternativen Finanzquellen. Während die Einzelfälle sich voneinander unterscheiden, muss man insgesamt sagen, dass das Versprechen ambitioniert war – und dass es schwierig ist, zu überprüfen, inwieweit es eingehalten wird. Denn die Finanzströme sind ziemlich intransparent.
Gleichzeitig ist ein positiver Effekt der Ankündigung, dass auf diese Finanzströme nun viel stärker geschaut wird. Laut den uns vorliegenden Zahlen haben Banken mit Sitz in China im Jahr 2023 weltweit 65 Prozent der Finanzierung für Unternehmen im Kohlekraftwerkssektor bereitgestellt. Das ist sehr viel, wobei unsere Analysen auch ergaben, dass das Finanzvolumen für diesen Sektor im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig ist.
Und wie sieht es bei Öl und Gas und bei der Atomkraft aus?
Auch beim Bau neuer Gaskraftwerke und LNG-Projekte ist China führend. In Asien sind chinesische Akteure, darunter die Unternehmen CNPC, CNOOC und Sinopec, ganz vorne mit dabei, wenn es um die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen geht. Chinas größter staatlicher Öl- und Gaskonzern CNPC investiert mehr Geld in die Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasvorkommen als jedes andere Unternehmen weltweit.
Auch bei der Atomkraft ist China auf Expansionskurs. Ein in China entwickelter neuer Reaktortyp wird aktuell massiv im Ausland vermarktet. 150 neue Atomkraftwerke sind bis 2035 geplant, auch entlang der Seidenstraße. Die wichtigsten Länder für diese Investitionen sind Kasachstan, Pakistan, Rumänien, die Türkei und Argentinien.
Natürlich ist China auch weltweit führend im Ausbau der Erneuerbaren, das darf nicht vergessen werden.
Wird der von China finanzierte, geplante oder realisierte Ausbau der fossilen und nuklearen Energien nicht manchmal überhöht?
Tatsächlich spielt China eine enorm wichtige Rolle, aber natürlich darf man dabei andere Akteure nicht aus dem Blickfeld lassen. Die US-Bank JP Morgen Chase hat letztes Jahr 40,8 Milliarden US-Dollar an Unternehmen aus fossilen Industrien zugesagt. Auch sie finanziert den Ausbau stark.
Nora Sausmikat
ist habilitierte Sinologin und seit 2019 im Banken-Team der Nichtregierungsorganisation Urgewald tätig, mit einem Fokus auf die Asiatische Infrastruktur-Investmentbank AIIB. Zusammen mit einem NGO-Netzwerk aus Asien und Europa analysiert sie Chinas neue globale Rolle vor allem im Bereich der globalen Regierungsinstitutionen und der Menschenrechtspolitik. Zuvor forschte und lehrte sie an verschiedenen Universitäten in Deutschland und China.
Ähnliches gilt für die Citibank aus den USA. Seit Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens 2016 hat sie insgesamt 204 Milliarden US-Dollar für Unternehmen bereitgestellt, die mit dem Ausbau fossiler Sektoren in Zusammenhang stehen.
Auch die japanische Bank Mizuho ist hier zu nennen, sie hat allein letztes Jahr fast 19 Milliarden Dollar für die Expansion fossiler Brennstoffe bereitgestellt.
Zudem hat das Thema noch eine ganz andere Dimension. Schlimm fürs Klima sind ja nicht nur Chinas Investitionen im Ausland, sondern vor allem, was in China selbst passiert. Unsere Daten zeigen, dass weltweit die Entwicklung zusätzlicher 516.000 Megawatt an Kohlekraftwerkskapazität geplant ist, und zwei Drittel dieser neuen Kapazitäten entfallen auf China.
Dabei profitieren von der chinesischen Kohle auch westliche Investoren. 48 internationale Banken haben laut unseren Recherchen rund 22 Milliarden Dollar in die chinesische Kohle investiert, darunter auch deutsche Banken.
Von wem ist eigentlich die Rede, wenn es um "China" geht? Es gibt ja Staatsunternehmen und Privatunternehmen, staatliche und private Banken, staatliche Förderprogramme und Finanzinstrumente ...
Das ist natürlich alles extrem komplex. Eine wichtige Rolle spielen die beiden sogenannten "Policy-Banken", die Export-Import Bank of China und die China Development Bank, die im Auftrag des Staates gemäß politischen Richtungsentscheidungen Kredite vergeben.
Dann sind da die staatlichen Unternehmen: Acht der zehn größten Kohlekraftwerksentwickler der Welt sind Energieunternehmen, die dem chinesischen Staat gehören. Dazu zählen China Huaneng, China Energy Investment, China Datang und China Huadian.
Dabei ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass in diese acht großen chinesischen Unternehmen wiederum viele US-Anleger investieren. Angeführt von Blackrock und Vanguard, vereinen sie 26 Prozent der institutionellen Investitionen in die acht Kohlekraftwerksentwickler.
Darüber hinaus gibt es Finanzinstrumente, die an die Belt and Road Initiative gebunden sind, die sogenannte neue Seidenstraße. Zum Beispiel der Silk Road Fund, von dem zwischen 2014 und 2017 93 Prozent in fossile Energien gingen. China hat im Rahmen dieser Initiative viele bilaterale Abkommen mit anderen Ländern geschlossen und darüber Projekte angeschoben.
Chinas Klima- und Umweltpolitik
China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.
Für die Unterstützung der Investitionen hat die chinesische Regierung zahlreiche Finanzinstitute gegründet, darunter die multilaterale Asian Infrastructure Investment Bank AIIB. Auch die AIIB hat in der Zeit von 2016 bis 2022 im Energiesektor 36 Prozent in Fossile investiert.
Was passiert, wenn sich die Politik in den Ländern ändert, wo China investiert hat oder investieren will, und die dortigen Entscheider:innen vom fossilen Kurs abweichen wollen?
Das ist natürlich von Land zu Land anders. Als Beispiel kann man sich Pakistan und Bangladesch anschauen. Pakistan hat im Dezember 2022 einen Stopp für alle chinesischen Kohleprojekte verkündet, das hätte 38.000 Megawatt betroffen. Nur noch die bereits im Bau befindlichen Projekte sollten zu Ende gebracht werden.
Wie sich heute zeigt, ist es aber schwierig für Pakistan, aus den Verträgen herauszukommen. Pakistan ist durch den CPEC-Wirtschaftskorridor mit China hoch verschuldet, und die gegenwärtigen Verhandlungen laufen darauf hinaus, dass Geld gespart werden soll, indem Pakistan von Importkohle auf heimische Kohleförderung umstellt – mit chinesischer Hilfe.
Auch Bangladesch hat 2021 angekündigt, zehn von 18 geplanten Kohlekraftwerken zu canceln. Die chinesischen Darlehen sollen zum Teil umgewidmet beziehungsweise Kohle- in LNG-Kraftwerke umgewandelt werden. Bangladesch ist ein gutes Beispiel dafür, was nach so einer Kohleausstiegs-Ankündigung passiert.
Wir sehen dort einen enormen Schub für den asiatischen Erdgas-Boom. Die AIIB finanziert zum Beispiel in Bangladesch mehrere Gaskraftwerke. Gleichzeitig wird zwar die Unterstützung für erneuerbare Energien jetzt massiv ausgeweitet – aber ohne Rücksicht auf die Rechte der indigenen Bevölkerung.
Belt-and-Road-Länder werden quasi aufgefordert, ihre grünen Wunschlisten zu verfassen. Doch von unseren Partner:innen in der Region hören wir immer wieder die Bitte an europäische Regierungen, dem "Wüten" der chinesischen Solarfirmen in ihrem Land Einhalt zu gebieten beziehungsweise mit eigenen Solarprojekten tätig zu werden. Riesige Flächen werden dort zu Solarparks umgestaltet, ohne die sozialen und ökologischen Auswirkungen zu berücksichtigen.
Dabei hat sich die Rhetorik der chinesischen Regierung schon verändert, teilweise auch die Praxis: Auch bei Auslandsinvestitionen soll es um mehr Nachhaltigkeit gehen ...
Ja, 2021 hat Xi Jinping die Global Development Initiative vorgestellt, also eine Initiative für weltweite Entwicklung. Seitdem spreche ich immer von einer zweiten Phase bei Belt and Road, quasi einer "Seidenstraßen-Initiative 2.0". Die neue Entwicklungsinitiative möchte Investitionen in Klimaanpassung, Gesundheit und Bildung fördern. Seidenstraßen-Projekte sollen nun zumindest offiziell den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung folgen.
Wir drängen in unserer Arbeit nun sehr darauf, fossile Projekte auf die Ausschlussliste für alle Investitionen und Finanzierungszusagen zu setzen. Denn die Global Development Initiative versucht ja, das schlechte Image der neuen Seidenstraße – dass sie andere Länder in die Verschuldung treibt oder fossile Energien zu sehr fördert – auszugleichen.
Diese Bewegung sieht man auch bei den Banken. Zum Beispiel entwickelt die AIIB gerade eine Gesundheitsstrategie und hat dabei die Zivilgesellschaft aufgefordert, den Entwurf zu kommentieren.