Wenn Deutschland dereinst fossile Brenn- und Rohstoffe ausmustert, wird in dem klimaneutralen Land weiter kohlenstoffhaltige Biomasse gebraucht – etwa als Holz zum Bauen, als Pflanzenmaterial für die Chemie oder auch als Treibstoff dort, wo Batterien möglicherweise nicht sinnvoll sind.

Die größte Menge an Biomasse wird auch künftig für die menschliche Ernährung benötigt.

 

Gegenüber der fossilen hat nachwachsende Biomasse einen großen Vorteil: Sie hat den bei ihrer Nutzung früher oder später als CO2 frei werdenden Kohlenstoff nicht lange zuvor aus der Luft geholt. Deswegen gilt der energetische und stoffliche Einsatz von Biomasse als klimaneutral. Genau besehen stimmt das nicht, aber dazu später.

Dass Deutschland eine Nationale Biomassestrategie (Nabis) bekommt, ist überfällig. Das stellten bereits die Ende September 2022 von den Ministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt vorgelegten "Eckpunkte" für eine solche Strategie klar.

Dort heißt es beispielsweise, die Nutzung von Biomasse stehe häufig in Konkurrenz zur Stärkung der Klimaschutzleistung natürlicher Ökosysteme, zu Zielen des Umweltschutzes, zur ökologischen Agrarwende oder zur Erzeugung von Nahrungsmitteln.

In den "Eckpunkten" hatten die drei zuständigen Ministerien die Verabschiedung der Biomassestrategie für 2023 angekündigt.

Daraus wurde nichts. Jetzt wurde ein Entwurf für die Nationale Biomassestrategie bekannt. Dieser gibt offensichtlich den Arbeitsstand von Anfang Februar wieder und liegt Klimareporter° vor.

Geleakter Entwurf zeigt, was gestrichen wurde

Den geleakten Entwurf selbst kommentiert das Bundesumweltministerium auf Nachfrage nicht. Grundlage seien die Eckpunkte aus dem Herbst 2022, erklärt eine Ministeriumssprecherin auf Nachfrage nur. Demnächst solle der Konsultationsprozess fortgesetzt werden – mit den anderen Ressorts, den Ländern und mit Interessenvertretern aus Land- und Forstwirtschaft, aus Abfall-, Kreislauf-, Energie- und Gebäudewirtschaft, aus Industrie, Verkehr sowie aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Interessant an dem Entwurf ist weniger, dass die Vorworte der drei zuständigen Minister Robert Habeck, Steffi Lemke und Cem Özdemir noch weiße Flecken sind. Aufschlussreich ist vielmehr, dass das Papier noch im Korrekturmodus ist. Änderungen und Streichungen werden so nachvollziehbar.

Wer aus welchem Ressort dabei Hand angelegt hat, ist nicht bekannt, in der Gesamtschau aber wird klar: Der Entwurf wurde durch die letzten Bearbeitungen deutlich entschärft, und zwar vor allem im Interesse der Agrar- und Holzlobby.

So wird auf Seite 5 darauf hingewiesen, dass das verfügbare Biomassepotenzial in Deutschland begrenzt ist, während der Bedarf in den kommenden Jahren, auch wegen des Klimaneutralitäts-Ziels, enorm wachsen wird.

Ein "Weiter so" würde hier bedeuten, dass die Nachfrage nach Biomasse zur energetischen Nutzung das inländische Angebot 2030 um 70 Prozent und 2045 um 40 Prozent überschreiten würde. Den konfliktbeladenen Satz hat der Bearbeiter allerdings gestrichen. So explizit sollen die Leserinnen und Leser nicht auf derzeit wohl unlösbare Widersprüche hingewiesen werden.

Überhöhte Tierbestände sind kein Thema 

Eher kleingeschrieben werden auch die Folgen der exportorientierten Intensiv-Landwirtschaft. So ist auf Seite 13 zu lesen, dass für den Inlandsverbrauch an Biomasse in Deutschland etwa 23,7 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche im In- und Ausland beansprucht werden. Davon lägen 8,3 Millionen Hektar in Deutschland und 15,4 Millionen in den Herkunftsländern von Biomasse-Importen.

Gleichzeitig, heißt es im Nabis-Entwurf weiter, exportiere Deutschland Agrargüter, für die Biomasse auf 8,3 Millionen Hektar produziert werde. Insgesamt sei Deutschland damit ein Netto-Importeur von Biomasse mit einem Flächenäquivalent von 7,1 Millionen Hektar. Wichtige Treiber seien hier die Importe etwa von Soja und Palmöl, stellt der Entwurf ebenfalls fest.

Die Zahlen über die Flächeninanspruchnahme legen den Schluss nahe, die hohen Agrarexporte Deutschlands, insbesondere von tierischen Erzeugnissen, könnten ein wirklich zentrales Problem sein. Denn die 8,3 Millionen Hektar, auf denen laut Entwurf hierzulande Biomasse für den Export erzeugt wird, sind in etwa so groß wie die 7,1 Millionen Hektar Netto-Importfläche.

Eine derartige Wertung sucht man aber auf den mehr als 80 Seiten vergeblich. Die aus Sicht des Klimaschutzes überhöhten Tierbestände sind kein Thema.

Im Punkt Tierhaltung auf Seite 19 heißt es zwar, die künftige Entwicklung des Tierbestandes sei "maßgeblich relevant" für die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft. Im nächsten Satz wird aber sogleich Absolution erteilt, indem behauptet wird, die Emissionen der Landwirtschaft seien seit Jahren rückläufig.

Agrarsektor darf weiter mit "heißer Luft" rechnen

Der Emissionsrückgang ist eine beliebte Story der Agrarlobby. Rechnet man allerdings die rund sechs Millionen Tonnen CO2-Einsparung heraus, die den Landwirten seit 2020 durch eine veränderte Berechnung der Klimawirkung von Lachgas in den Schoß fielen, stagnieren die CO2-Emissionen der deutschen Landwirtschaft seit 30 Jahren bei ungefähr 60 Millionen Tonnen jährlich.

"Rückläufig" ist da nichts. Und die ebenfalls auf Seite 13 zu findende Prognose, die Landwirtschaft könne bis 2045 mit einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um etwa 26 Millionen Tonnen CO2 rechnen, ist nichts weiter als heiße Luft.

An der Debatte, wie mit den Klimaemissionen umzugehen ist, die aus der Nutzung von Biomasse resultieren, kommt der Nabis-Entwurf allerdings nicht vorbei. Bisher gilt für biogene Energieträger der Emissionsfaktor null, ist auch im Papier auf Seite 31 zu lesen. Das wäre eigentlich "Klimaneutralität".

Weiter wird erläutert: Die Entnahme von Biomasse und die mit ihrer Nutzung verbundenen Emissionen würden zwar rechnerisch im Sektor Landnutzungsänderungen ("LULUCF") erfasst, es gebe durch fehlende Bepreisung jedoch keine Anreize, diese Emissionen zu vermeiden.

Konkrete Vorschläge für eine solche Bepreisung gibt es im Entwurf aber nicht. Beim Beispiel Holz wird eher beschwichtigend formuliert, die Treibhausgasbilanz der energetischen Holznutzung hänge von mehreren Faktoren ab und könne unterschiedlich ausfallen, zum Teil auch nicht treibhausgasneutral.

"Damit ist die Holznachfrage auf Jahrzehnte festgelegt" 

Das im Nabis-Entwurf formulierte Ziel, künftig eine ehrliche CO2-Bilanz bei der energetischen Nutzung von Biomasse zu ziehen, findet Michaela Kruse vom Naturschutzbund Nabu richtig. Es gehe darum, die Augenwischerei und die indirekte Subventionierung durch kostenlose Emissionen zu beenden, erklärt die Referentin für Bioenergie.

Kruse bemängelt aber, laut dem Entwurf solle eine Bepreisung der CO2-Emissionen aus Biomasse bestenfalls langfristig eingeführt werden. Mit "Bepreisung" meint der Nabis-Entwurf aber keinen richtigen CO2-Preis, sondern setzt eher nebulös darauf, "klimarelevante Effekte" der Biomassenutzung "in Emissionshandelssystemen zu berücksichtigen".

Allerdings ist im vorliegenden Entwurf der Vorschlag gestrichen worden, zum Beispiel die energetische Nutzung von Holz einfach in den EU-Emissionshandel für Energie und Industrie aufzunehmen. Stattdessen will die Bundesregierung bis 2025 ein Konzept für einen angemessenen CO2-Faktor für die Verbrennung holzartiger Biomasse entwickeln. Wie dieser Faktor dann emssionsmindernd wirksam werden soll, bleibt völlig unklar.

Am aktuellen Nabis-Entwurf kritisiert Michaela Kruse auch, dass Holzheizungen mindestens weitere sechs Jahre als genauso erneuerbare Option eingebaut werden können wie Wärmepumpen. "Bis dahin ist die Holznachfrage jedoch schon auf einem hohen Niveau angekommen und für Jahrzehnte festgelegt", warnt die Nabu-Expertin.

Zu groß sei anscheinend die Angst der Regierung vor der Wut der Agrar- und Waldbesitzerlobby bei konkreten, ordnungsrechtlichen Maßnahmen, betont Kruse mit Blick auf die aktuellen Proteste.

Sie hält auch die Vorgabe im Nabis-Entwurf für unrealistisch, dass 2045 nur noch 2,2 Millionen bis vier Millionen Kubikmeter Waldholz energetisch genutzt werden dürfen. Diese Menge werde allein mit den Fernwärme-Plänen der Großstädte Berlin und Hamburg ausgeschöpft, merkt Kruse an. Auch gebe es für die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Holz – wie in Hamburg geplant – lediglich ein Vermeidungsgebot und kein Verbot.

"Die Potenziale der Bioenergie werden verkannt"

Die Erneuerbaren-Branche zeigt sich enttäuscht vom Strategieentwurf. Dieser bleibe deutlich hinter den Erwartungen zurück und sei weder eine Orientierungshilfe für die Politik noch eine Unterstützung für die Bioenergiebranche, kritisiert Simone Peter, Präsidentin des Branchenverbandes BEE. "Der Entwurf negiert die vielfältigen, nachhaltig verfügbaren Potenziale der Bioenergie und verkennt in weiten Teilen ihre wichtige Rolle im Stromsektor, aber auch im Wärmebereich und als Kraftstoff."

Für Peter ist die Bioenergie ein "unersetzbares Puzzlestück" der Energiewende auf Basis heimischer Wertschöpfung. "Das muss in dem Entwurf, der grundlegend zu überarbeiten ist, deutlich werden", betont sie.

 

"Eine Fülle an Einzelmaßnahmen macht noch keine Strategie aus einem Guss", bemängelt Peter zudem das konzeptionelle Herangehen.

Auch für Nabu-Expertin Kruse zeigt sich ein Muster bei vielen der im Nabis-Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen: "Vorhaben werden auf die lange Bank geschoben, indem sie auf EU-Ebene gelöst werden sollen. Oder es werden lediglich Prüfvorschläge formuliert, wo vorher bereits Handlungsbedarf gesehen wurde."

Kraftstoff-Verband warnt vor Klima-Lücke im Verkehr

Noch weniger zufrieden mit dem Entwurf ist die betroffene Industrie. Das Papier stelle "ein einziges Programm zur Verhinderung von wirksamem Klimaschutz" dar, meint Elmar Baumann, Chef des Biokraftstoffverbandes VDB. "Die Ministerin und die Minister sind Bedenkenträger, die der Landwirtschaft und bewährten technischen Lösungen wie Biokraftstoffen zutiefst misstrauen, freilich ohne funktionierende Alternativen vorweisen zu können", erklärt Baumann.

Noch immer sollten Biodiesel und Bioethanol aus "nachhaltigkeitszertifizierten" landwirtschaftlichen Rohstoffen abgeschafft werden, kritisiert der VDB-Chef weiter. Damit würde der bis 2030 bedeutendste Beitrag zur Treibhausgas-Minderung im Straßenverkehr verboten werden. Der Mobilitätssektor werde dann nicht mehr in der Lage sein, seine Klimavorgaben zu erfüllen.

Für Baumann büßt damit auch das Ansinnen, künftig die Nutzung von Biodiesel in der Landwirtschaft zu fördern, an Glaubwürdigkeit ein. "Bauern und Verbraucher dürfen sich mit Fug und Recht veralbert fühlen."

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