Klimareporter°: Herr Groth, wie weit sind die Kommunen mit dem Klimaschutz und der Klimaanpassung?
Markus Groth: Kommunen haben großes Potenzial, um den Klimaschutz voranzutreiben und auch gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu stärken. Es ist die Verwaltungsebene, die am nächsten an den Bürgerinnen und Bürgern dran ist.
Eine zentrale Frage ist dabei, wie in den Kommunen gebaut wird. Dabei geht es um Fragen wie Dachbegrünung, Dämmung oder geringere Flächenversiegelung.
Tatsächlich haben auch viele Kommunen in Deutschland Klimaschutzkonzepte – etwa 90 Prozent, wie ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung gezeigt hat. Aber es mangelt an der Umsetzung.
Das liegt zum einen an der nach wie vor sehr dünnen finanziellen Ausstattung der Kommunen. Bei der Klimaanpassung ist sie sogar noch wesentlich geringer als beim Klimaschutz.
Aber es ist auch immer eine Frage der Zuständigkeit. Oft ist unklar, welches Amt und welche Administration wofür die Entscheidungsgewalt hat. Da tritt die Politik noch viel auf der Stelle.
Sie werben für die Ausrufung des Klimanotstands als ein gutes Instrument in Kommunen, um Klimaschutz und -anpassung voranzubringen. Das hört sich erstmal drastisch an, aber was steckt dahinter?
In den letzten Jahren haben einige Kommunen den Klimanotstand ausgerufen. Das ist erstmal rechtlich nicht bindend. Aber es ist ein guter Weg, um sich als Kommune zu Klimaschutz und -anpassung zu bekennen und damit auch bei der Bevölkerung ein Bewusstsein für den Ernst der Lage zu schaffen.
Projekte sollten in der Folge auf ihre Klimaauswirkungen überprüft werden – egal ob das der Bau einer Straße oder eines Neubaugebiets ist. Es könnte sogar mit einem Vetorecht bei klimaschädlichen Projekten kombiniert werden.
Wie viel Macht haben die Kommunen denn tatsächlich, um etwas zu verändern? Meist spricht man ja doch über bundes- oder EU-politische Entscheidungen.
Das lässt sich so allgemein natürlich nur schwer sagen. In vielen Bereichen überlappen sich die Zuständigkeiten, etwa bei Strom, Wärme oder Mobilität.
Sehr viel kann die Kommune machen, wenn es um Bauen und Flächennutzung geht. So kann in Bebauungspläne aufgenommen werden, dass das Klima mitbedacht werden muss, etwa durch verpflichtende Dachbegrünung, Solarpanels oder Dämmung.
Aber auch das Stadtsystem als Ganzes muss mitgedacht werden. Teilweise gibt es wirklich nachhaltig konzipierte Neubaugebiete, die dann aber in der Kaltluftschneise der Stadt liegen.
Markus Groth
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Unternehmen und Gesellschaft am Climate Service Center Germany (Gerics) in Hamburg. Der promovierte Umweltökonom befasst sich vor allem mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Entwicklung und Erprobung von Beratungsangeboten für Kommunen und Unternehmen.
Steht nicht auch der Denkmalschutz häufig der Klimaanpassung im Weg?
Momentan steht der Denkmalschutz oft noch über allen anderen Belangen. Das muss in Zukunft in jedem Fall kritisch diskutiert werden.
Quartiere mit Backsteinhäusern, Kopfsteinpflaster und wenig Grünflächen werden zukünftig noch stärker überhitzen. Da muss auch der Denkmalschutz mal zurücktreten.
Allerdings ist gerade der Nutzen von Klimaanpassungsmaßnahmen kurzfristig meist nicht unmittelbar spürbar und somit politisch teilweise noch immer schwer durchzusetzen.
Sie sind mit Kommunen im Gespräch und versuchen, die Entwicklung von Klimaschutz- und -anpassungsstrategien zu unterstützen. Wie ist Ihr Eindruck, ist in den Kommunen viel Wissen und ein Problembewusstsein vorhanden?
Um gemeinsame Anpassungsstrategien zu entwickeln, arbeiten wir – prototypisch und nicht kommerziell – oft mehrere Jahre mit einer Kommune eng zusammen. Wir liefern die Daten und Projektionen regionaler Klimamodelle und die Kommunen stellen uns ihre Daten zur Verfügung.
Wir erstellen dann innovative Klimaserviceprodukte, zum Beispiel als Studie, Factsheet, Karte oder regionale Starkregenmodellierung, und liefern die Grundlage für Anpassungsmaßnahmen.
Allerdings muss ich auch sagen, dass wir in der Regel von Kommunen angefragt werden, die bereits einen konkreten Bedarf haben. Dementsprechend gibt es schon ein Bewusstsein dafür, dass sich was verändern muss. Das ist natürlich eine gewisse Vorauswahl.
Generell habe ich den Eindruck, dass viel Wissen in den Kommunen vorhanden ist. Das Problem liegt überall bei der Umsetzung und den Zuständigkeiten.
Wir werden oft gefragt, nachdem wir Klimainformationen zur Verfügung gestellt haben, was das nun konkret für die jeweilige Kommune heißt. Das Wissen in strategische Planung und konkrete Maßnahmen zu übersetzen – das ist der große Knackpunkt.
Gibt es eine Blaupause dafür, wie eine Kommune vorgehen kann, um in den nächsten zehn oder 20 Jahren klimaneutral zu werden?
Am Anfang steht immer die Bestandsaufnahme, also eine CO2-Bilanzierung. Die Kommunen müssen genau wissen, wo sie stehen und wo sie wie viel CO2 emittieren.
Dann müssen klare Ziele festgelegt werden – und auch überprüfbare Zwischenschritte. Es muss immer nachvollziehbar sein, ob die Kommune noch auf dem richtigen Pfad ist.
Und wie gesagt, ich glaube, den Klimanotstand zu erklären ist eine gute Grundlage. Genauso ist eine permanente Klimaschutzmanagerin oder ein Klimaschutzmanager ein wichtiger Faktor. Also Personen, deren Hauptverantwortung es ist, die Zielerreichung und Umsetzung von Klimamaßnahmen sicherzustellen.
Können Sie vielleicht ein Bild von der grünen Gemeinde in 20 Jahren zeichnen?
In 20 Jahren müssen wir schon einige Jahre klimaneutral sein. Nicht nur CO2-neutral, sondern klimaneutral.
Es ist allerdings utopisch zu glauben, dass wir dann gar keine Treibhausgase mehr freisetzen. Ohne Kompensation wird es also nicht gehen. Da kommen regionale, natürliche Kompensationsstrategien ins Spiel, wie Wiederaufforstung und Moorwiedervernässung. Aber auch technische Lösungen wie die CO2-Abscheidung und Speicherung, sprich CCS.
Es muss einen unentgeltlichen öffentlichen Nahverkehr geben. Das bringt in urbanen Gebieten sehr viel, in ländlichen Räumen sieht das ein bisschen anders aus. Da werden Elektroautos, aber auch Modelle wie Carsharing eine wichtige Rolle spielen.
Kommunen müssen bei kritischen Infrastrukturen wie Wärme und Strom darauf achten, dass diese an Extremwetterereignisse angepasst sind. Auch das wird die Gemeinden der Zukunft auszeichnen.
Und ein wichtiger Aspekt ist die öffentliche Beschaffung. Jedes Jahr werden dafür in Deutschland Milliarden ausgegeben. Da müssen Bund, Länder, Landkreise und Kommunen mit gutem Beispiel vorangehen und all dieses Geld stärker an Klimaziele koppeln.
Nicht zuletzt die öffentlichen Gebäude müssen eine Vorbildfunktion erfüllen.
Gibt es heute schon Kommunen, die mit gutem Beispiel vorangehen?
Es gibt beispielsweise die 100-Prozent-Kommunen. Also Kommunen, die ihren gesamten Energiebedarf aus selbst produzierter erneuerbarer Energie decken.
Allerdings muss man hier auch immer fragen, wie netzdienlich solche selbstversorgenden Kommunen sind und wie die Versorgung bei einem Blackout im Gebiet dieser Kommunen aussieht.
Bei der Klimaanpassung sieht es eher noch mau aus. Da gibt es einzelne Ansätze, die man hervorheben kann. Etwa Wasserspielplätze und Baumpflanzungen, die für Kühlung sorgen können, oder Wasserrückhaltebecken für Starkregen.
Aber es gibt noch viel nachzuholen. In Hamburg sind beispielsweise nur fünf Prozent der grundsätzlich geeigneten Dachflächen begrünt. Es scheitert auch hier noch an der großflächigen Umsetzung.
Welche Klimawandelfolgen machen Ihnen hierzulande am meisten Sorgen?
Meine Sorge ist, dass die Hitze übersehen wird. In den Jahren 2000 und 2021 sind in Deutschland ungefähr 30.000 Menschen nachweislich durch Hitze gestorben. Bei Starkregen, Sturm und Schnee waren es rund 250 Menschen im selben Zeitraum.
Ich will damit nicht sagen, dass das eine Extremereignis schlimmer ist als das andere. Aber während Fluten und Starkregen viel mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind Hitzewellen oft noch stille oder versteckte Extremereignisse. Es gibt auch einfach noch zu wenig Anpassung an Hitze sowie insgesamt kaum nennenswerte Hitzeaktionspläne in Städten.
Meine Sorge ist also, dass die Gefahren der Hitze nicht ernst genug genommen werden.
Fehlen in Deutschland nicht auch schlicht die Daten, um gute Hitzeaktionspläne zu erstellen?
Das ist auf jeden Fall ein Problem. Es gibt zwar Starkregenkarten und Stadtklimaanalysen, aber die sind alle anonym. Also man weiß nicht, was für Leute in den gefährdeten Bereichen wohnen.
Es wäre wichtig, zu wissen, wo besonders vulnerable Menschen wohnen. Soziodemografische Daten in den kommenden Analysen berücksichtigen zu können, wäre ein wichtiger Schritt.