Was ist mit dem Klimaschutz? Dem Jahrhundertthema. Interessiert es derzeit überhaupt jemanden? In der sich zuspitzenden Energiekrise scheint das Thema aus der öffentlichen Debatte verschwunden zu sein. Entlastungspaket, Doppelwumms, AKW-Laufzeiten – das sind die Stichworte, die die politische Diskussion beherrschen.
Und auch die Prioritäten vieler Bürgerinnen und Bürger haben sich verschoben. Verständlicherweise. Wer nicht weiß, ob er die Heizkosten für seine Wohnung in diesem Winter bezahlen kann, macht sich erst mal wenig Gedanken darüber, ob es im nächsten Sommer schon wieder extreme Hitzewellen geben wird.
Die Lage im Energiesektor ist so dramatisch wie nie vorher seit der Nachkriegszeit. Die Hälfte der bisherigen Erdgas-Lieferungen muss ersetzt werden – fast alles, was aus Russland kam, wo Präsident Putin Energie als Waffe einsetzt.
Hinzu kommt die Stromkrise im Nachbarland. Frankreich braucht Strom aus Deutschland (und anderen Nachbarländern), weil es seine Atomkraftwerke heruntergewirtschaftet und den Ausbau der erneuerbaren Energien vernachlässigt hat.
Die Bundesregierung fährt in dieser Notlage eine Strategie, die einen Rückschlag für den Klimaschutz bedeutet. Schon eingemottete Kohlekraftwerke werden wieder ans Netz genommen, mehr Gas als geplant wird verstromt, und zwei der drei noch betriebenen AKW sollen quasi als Notstromaggregate dienen.
Für alle diese Entscheidungen mag es gute Gründe geben. Das Problem dabei: Die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz wird dadurch noch dringlicher als vorher schon.
Pro Kopf sind wir in Deutschland für fast zehn Tonnen Treibhausgase im Jahr verantwortlich, und diese Menge muss schnellstmöglich auf null sinken – möglichst noch vor dem Jahr 2045, dem deutschen Zieljahr für die "Klimaneutralität".
Denn 2045 reicht für einen Pfad zum 1,5-Grad-Ziel nicht aus. Jede Tonne CO2, die jetzt zusätzlich in die Atmosphäre gepustet wird, verkleinert das CO2-Restbudget, das Deutschland noch ausstoßen darf.
2038 hätte alle Klimapläne gesprengt
In dieser Situation kam in dieser Woche die Nachricht von der Vereinbarung zwischen dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Energiekonzern RWE, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Drei große Kraftwerke im rheinischen Revier früher stillzulegen bedeutet, dass bis zu 280 Millionen Tonnen Braunkohle im Boden bleiben. Das ist die Hälfte des bis 2038 genehmigten Abbauvolumens.
Es ist tatsächlich "ein Meilenstein für den Klimaschutz", wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) formulierte, der den Deal mit RWE maßgeblich mit vorangetrieben hat. Denn das Enddatum 2038, das unter der Merkel-Regierung 2019 ausgehandelt worden war, konnte nicht bleiben. Es hätte alle Klimaschutz-Pläne gesprengt.
Für RWE, den bisher größten CO2-Einheizer Europas, ist es ebenfalls ein bemerkenswerter Schritt, auch wenn er viel früher hätte kommen müssen. Und natürlich macht der Konzern seinen Schnitt dabei, denn der Bund gesteht ihm zu, die 2020 verabredeten Entschädigungszahlungen von 2,6 Milliarden Euro zu behalten, obwohl fünf seiner abgeschalteten Kohlemeiler nun wieder am Netz sind respektive demnächst gehen.
Hinzu kommt: Der Weiler Lützerath, Kristallisationspunkt der Widerstandsbewegung, soll trotz der insgesamt verringerten Kohleabbau-Mengen weggebaggert werden. Das ist ebenfalls mehr als ein Wermutstropfen. Es ist nämlich ein Zeichen dafür, dass auch der neue Deal nicht den notwendigen Klimazielen entspricht.
Lützerath könnte in jedem Fall bleiben, wenn wirklich das 1,5-Grad-Limit angepeilt würde. Denn dann würden, um das CO2-Budget nicht zu überschreiten, laut einer DIW-Studie nur noch 70 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II geholt werden dürfen, nicht 290, wie es nun geplant ist. Kein Wunder, dass die Klimabewegung weitere Proteste angekündigt hat.
Neue Töne aus der Lausitz
Ohnehin muss "Klimaminister" Habeck im Energiesektor noch den zweiten großen Block zumindest halbwegs auf Kurs bringen: die Kohlebranche in Ostdeutschland. Die plant nämlich derzeit immer noch, große Teile ihrer Kraftwerkskapazitäten mit entsprechender CO2-Last bis 2034/35, teils bis 2038 zu betreiben – und wird dabei von den Landesregierungen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt nach Kräften unterstützt.
Die dort aktiven Konzerne Leag und Mibrag ebenfalls auf 2030 festzulegen, dürfte für den Vizekanzler noch schwieriger werden als bei RWE. Und wohl auch noch mehr Geld kosten, um den Umbau der alten Reviere zu "Erneuerbaren-Regionen" voranzubringen.
Dass von dort neue Töne zu hören sind, macht allerdings etwas Hoffnung. Die Leag plant neuerdings, auf den früheren Bergbauflächen in der Lausitz bis 2030 riesige Wind- und Solarparks mit 7.000 Megawatt Spitzenleistung und eine grüne Wasserstoffproduktion aufzubauen. Es soll eine "Gigawatt-Factory" werden, die auch viele Arbeitsplätze bringen soll. Die Lausitz will man zum "grünen Powerhouse" Deutschlands machen.
Wenn das ernst gemeint ist, ist der Klimaschutz vielleicht doch noch nicht ganz abgemeldet.