Angela Merkel schneidet eine Torte an, während Barbara Hendricks hilft und Jürgen Trittin, Peter Altmaier und Klaus Töpfer zusehen. Auf der Torte steht: 30 Jahre Bundesumweltministerium.
30 Jahre Umweltministerium feierten 2016 die Minister:innen Trittin, Merkel, Hendricks, Altmaier, Töpfer (von links), Röttgen und Gabriel (nicht im Bild). Da war Sylvia Kotting-Uhl schon zehn Jahre Abgeordnete. (Foto: Verena Kern)

Klimareporter°: Frau Kotting-Uhl, wir sprachen darüber, dass eine Politik, die auf Klimaneutralität hinauswill, eine flankierende oder begleitende Sozialpolitik braucht. Weil es daran fehlt, haben viele offenbar auch wenig Vertrauen in das grüne Energiegeld. Die sagen sich: Klar, ich bekäme vom CO2-Preis was wieder – aber sonst habe ich nichts vom Klimaschutz.

Die Überzeugung, dass Klimaschutz etwas Gutes für mich ist, entsteht offenbar nicht allein durch Klimapolitik.

Sylvia Kotting-Uhl: Das ist richtig. Deswegen reden wir vom sozial-ökologischen Umbau. Ökologisch allein funktioniert es nicht. Man muss die Gesellschaft gewinnen für den Klimaschutz, sonst haben wir das Gelbwesten-Phänomen, vor dem hier viele Angst haben.

In Frankreich war ja die Erhöhung der Ökosteuer nicht der einzige Grund für die Gelbwesten-Proteste, sondern sie war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Längere Zeit schon wurde dort eine Politik verfolgt, die bestimmte Gruppen wie zum Beispiel die im ländlichen Raum Lebenden vernachlässigte.

In Deutschland verharrt das Problem noch in einer Wartestellung. Wie soll man im ländlichen Raum heutzutage bei dem öffentlichen Verkehr ohne Auto auskommen? Das geht gar nicht. Da muss eine Offensive in den Bahnausbau her. Das dauert seine Zeit und muss überbrückt werden mit Angeboten wie Ruftaxen und anderem.

Im sozial-ökologischen Umbau brauchen wir ein ganz breites Portfolio, um Klimaschutz für die Menschen handhabbar und ertragbar zu gestalten. Aber dass wir den Klimaschutz brauchen, steht außer Frage. Denn wenn wir ihn weiter vernachlässigen, werden genau die ärmeren Menschen den Preis zahlen – lokal wie global.

Manche Parteien und Organisationen, die sich der Klimagerechtigkeit verschrieben haben, meinen, etwas verkürzt wiedergegeben, dass nicht die Armen, sondern die Reichen dieser Welt am Klimawandel schuld sind. Ist klimapolitisch eher die Lebensweise der Millionäre das Problem und nicht die der Millionen?

Es ist die Ressourcen verbrauchende Lebensweise und die falsche politische Rahmensetzung. Aber auch an die soziale Spaltung, die wir in Deutschland und weltweit haben, wird sich Politik heranwagen müssen.

Wir Grünen sind ein bisschen schüchtern damit geworden, laut zu verlangen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen oder den Spitzensteuersatz heraufzusetzen, seit wir mit solchen Forderungen eine Wahl verloren haben. Hat man sich da einmal verbrannt, ist man vorsichtiger. Dennoch wissen wir, dass da ein Ausgleich zu schaffen sein wird.

Hier sind auch andere Instrumente denkbar: Norwegen zum Beispiel veröffentlicht alle Einkommenssteuererklärungen seiner Bürgerinnen und Bürger im Internet. Das trägt dazu bei, dass dort die Einkommen nicht so weit auseinander liegen.

Porträtaufnahme von Sylvia Kotting-Uhl.
Foto: Stefan Kaminski

Sylvia Kotting-Uhl

ist seit 1989 Mitglied der Grünen, kam 2005 in den Bundestag, war umwelt- und atom­politische Sprecherin ihrer Fraktion und wurde unter anderem mit dem Gesetz zur Standort­suche für ein Atom­endlager bundesweit bekannt. Seit 2018 ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Natur­schutz und nukleare Sicherheit. Nach der Wahl schließt die gebürtige Karlsruherin mit dem Lebens­kapitel Bundestag ab.

Es ist einfach peinlich, wenn sie zu hoch oder zu niedrig sind – für denjenigen vor allem, der für die jeweiligen Einkommen verantwortlich zeichnet. Durch Transparenz kann ein öffentliches Gefühl der Ächtung entstehen.

Übrigens erlebe ich es nicht, dass reiche Menschen sich einfach freikaufen. Sie geben zwar gern Geld aus für bestimmte Dinge, sind im Alltag aber durchaus auch geizig.

Es ist ihnen nicht völlig gleichgültig, wie teuer der Diesel- oder Benzin-SUV ist, wenn sie eine vergleichbare Art der Fortbewegung finden, die CO2-ärmer und damit künftig günstiger ist. Ich bin überzeugt, dass es da eine Lenkungswirkung geben wird.

Speziell im Verkehr werden wir aber letztlich ohne Ordnungspolitik nicht auskommen. Da genügen der CO2-Preis, ein Umbau der Infrastruktur und das Setzen von Anreizen nicht.

Ich gestehe: Ich bin eine große Anhängerin von Ordnungspolitik.

Ein Tempolimit oder eine Einschränkung von Kurzstreckenflügen würde für alle gleichermaßen gelten, wäre also sozial viel gerechter. Aber gerade für derartige Vorschläge werden die Grünen als unsoziale "Verbotspartei" gebrandmarkt. Das ist doch krude.

Da muss man den Mut haben, das durchzustehen. Ich schrecke davor nicht zurück.

Das Tempolimit ist in Deutschland extrem schwer durchzusetzen – dabei ist das einzige Pro-Argument der Industrie ihre Behauptung, weil es kein Tempolimit gibt, seien ihre Autos auf sehr hohe Geschwindigkeiten getestet, damit sicherer und würden deswegen weltweit gern gekauft.

Sonst gibt es nur Gegenargumente. Vielleicht lässt es sich auch in der nächsten Wahlperiode nicht durchsetzen, aber es wird irgendwann kommen müssen.

Seit Langem fordern wir, und das steht auch im Wahlprogramm: 2030 ist Schluss mit dem Verbrennungsmotor.

Auch Ölheizungen sollten nicht mehr gefördert werden, wie es die jetzige Bundesregierung noch macht – während sie zugleich die Umstellung weg von den Ölheizungen fördert. Sie wirft also Geld mit vollen Händen zum Fenster raus.

In den 16 Jahren als Bundestagsabgeordnete erlebten Sie die ebenso lange amtierende Kanzlerin sowie fünf Umweltminister:innen. Es begann 2005 mit Sigmar Gabriel von der SPD, der bis 2009 im Amt war.

So schlecht war Gabriel gar nicht. Einige Weichen hat er schon richtig gestellt. Er hat nur danach als Wirtschaftsminister für das Gegenteil gekämpft – genauso wie Peter Altmaier übrigens. Der ist für mich als CDU-Wirtschaftsminister die katastrophale Enttäuschung.

Von den vier Legislaturperioden war die Gabriel-Phase von 2005 bis 2009 für die Umwelt noch die beste.

Obwohl die schwarz-rote Koalition da noch neue Kohlekraftwerke in Betrieb gehen ließ?

Ja, dennoch. Das war ja mehr als zehn Jahre früher als heute, da war das Klimathema noch nicht dermaßen präsent und trotzdem hat die Kanzlerin sich selbst zur Klimakanzlerin ausgerufen und gesagt, wir müssen uns an den Klimaschutz machen. Es war hoffnungsvoller, damals.

In den zwei folgenden Legislaturperioden kamen die ständigen Einschränkungen der erneuerbaren Energien und das Blockieren ihres Ausbaus mit Ausschreibungen, mit Deckeln und Abstandsregeln – mit allem, was man sich vorstellen kann.

Exekutiert hat die Erneuerbaren vor allem Altmaier, der Erfinder der Strompreisbremse. Inzwischen finden aber auch die Grünen, dass der Strompreis zu hoch ist, und wollen die EEG-Umlage – das wichtigste Förderinstrument der Erneuerbaren – nicht mehr von den Stromkunden, sondern mehr und mehr aus dem Haushalt bezahlen. Hat Altmaier die Grünen überzeugt?

Es ist schon ein Unterschied, ob man – wie Altmaier – sagt, der Erneuerbaren-Ausbau muss gebremst werden, weil sonst der Strom zu teuer wird. Oder ob man – wie wir Grünen sagen – die Kosten des Erneuerbaren-Ausbaus ein Stück weit aus dem Strompreis auslagern will. Damit bremse ich doch den Ausbau nicht, sondern nur das Ansteigen des Strompreises.

Bei uns Grünen fand ein anderer Lernprozess statt. Zur Idee des EEG gehörte ja, ganz transparent abzubilden, was der Ausbau der Erneuerbaren kostet. Und deswegen waren alle Kosten im Strompreis dann auch drin.

Das war aber ein Eigentor. Die Kosten von Kohle oder von Atomkraft stecken eben nicht transparent im Strompreis, sondern werden zu großen Teilen aus Steuern bezahlt. Bei Kohle und Atom werden viele externalisierte Kosten nicht im Strompreis abgebildet. Würde man die einbeziehen, hätten die Kosten der Erneuerbaren heute den kleinsten Anteil am Strompreis.

Deshalb ist es schon gerechtfertigt, zu fordern: Wir nehmen die Entwicklungskosten der Erneuerbaren aus dem Strompreis heraus und bestreiten diese zum Beispiel aus dem CO2-Preis. Dann haben wir den fairen Vergleich mit Kohle und Atom.

In der Zeit von Umweltminister Röttgen trat Anfang 2010 auch die berüchtigte Ausgleichsregelung in Kraft, die die Netzbetreiber von der Pflicht befreite, den EEG-Strom direkt abzunehmen und zu bezahlen, und dafür den Zwang einführte, den Ökostrom an der Börse zu vermarkten. Damit erhielten die großen Player ihre Marktmacht zurück, die sie an die Erneuerbaren zu verlieren drohten.

Zu der Zeit war Altmaier Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Als Umweltminister vollendete er dann den Kurswechsel bei den Erneuerbaren und führte zum Beispiel die Ausbaudeckel ein.

Und Altmaier hat die Bürgerenergie kaputtgemacht, den Energiegenossenschaften weitgehend den Hahn abgedreht und auch die südlichen Bundesländer benachteiligt.

Im Bund bekommen wir Grünen ständig vorgehalten, in Baden-Württemberg – wo ich zu Hause bin – würde der Ausbau von Windkraft an Land überhaupt nicht stattfinden. Wie aber sollen Windprojekte in Baden-Württemberg sich in seit 2017 geltenden Ausschreibungen gegen Projekte beispielsweise in Schleswig-Holstein durchsetzen? So viel Wind gibt es in Baden-Württemberg eben nicht. Den Ausbau brauchen wir aber überall.

Aber von CDU-Umweltministern wie Altmaier und dem ihm nachfolgenden Röttgen habe ich jetzt grundsätzlich nicht so wahnsinnig viel erwartet, dann schon mehr von SPD-Ministern.

Das Fatale ist: Bei Gabriel und Altmaier war der Umweltgedanke in dem Moment weg, als sie Wirtschaftsminister wurden. Dann ging es nur noch in die andere Richtung. Das finde ich schon bemerkenswert.

Barbara Hendricks trug als SPD-Ministerin den Umweltgedanken schon deutlicher vor, konnte sich aber in der Regierung offenbar nicht durchsetzen.

So war es. Barbara Hendricks kam ja wie Svenja Schulze nicht aus dem Umweltbereich ins Amt. Da musste sich auch Hendricks erstmal einarbeiten. Anfangs gab es da deutliche Schwächen. Aber beide haben dann, auch mit Unterstützung eines sehr guten Staatssekretärs, relativ schnell gesehen, was im Klimaschutz passieren muss.

Svenja Schulze widmete sich dann neben dem Klimaschutz auch dem Erhalt der Biodiversität und dem Problem Plastikflut. Das fand ich völlig richtig. Das waren die drei großen Themen, die angepackt werden mussten.

Aber beide Ministerinnen haben eben keine Macht im Kabinett gehabt.

Besonders, nachdem das Umweltministerium 2013 die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien an das Wirtschaftsministerium verlor.

Begründet wurde das damit, man wolle den ewigen Hickhack zwischen den Ministerien beenden. Es würde den Erneuerbaren zugutekommen, wenn sie in einem Haus mit den anderen Energieerzeugungen vereinigt wären. Das trat aber überhaupt nicht ein, sondern das Gegenteil: Die Erneuerbaren gerieten unter die Räder.

Den Gewichtsverlust hat man versucht auszugleichen, indem der Bereich Bau ins Umweltministerium kam. Aber auch die Zuständigkeit für den Bau trug unter Hendricks nicht dazu bei, dass die Umweltthemen im Kabinett mehr Gewicht bekamen.

Wie lässt sich das ändern? Gefordert wird für die neue Legislaturperiode zum Beispiel ein Klimaschutzministerium.

Klima residiert im Umweltministerium und entsprechend in meinem Ausschuss. Gemacht werden muss der Klimaschutz aber im Verkehrs-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium und wegen des Baubereichs auch im Innenministerium.

In diesen Häusern wurde Klimaschutz aber nur blockiert. Ich denke nur an den ewigen Kampf mit Ministerin Klöckner. Bis aufs Messer wurde alles bekämpft. Klöckner hat den Klima- und den Artenschutz und alle Reformen, die dazu in der Landwirtschaft dringend nötig sind, blockiert.

Svenja Schulze stand da meist auf verlorenem Posten. Bei der schlechten Ausgangsbasis und der massiven Front von CDU- und CSU-Minister:innen gegen sich hat sie es trotzdem geschafft, einige Dinge durchzusetzen – aber das ist angesichts der Klimaprobleme viel zu wenig.

In einem künftigen Umweltministerium muss der Klimaschutz wirklich bereichert werden mit Feldern, die dafür relevant sind. Das Ministerium muss Klimaschutz wirklich machen können. Und dazu muss es die Macht haben. Sonst wird das auch in einer nächsten Bundesregierung nichts.

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews: "Wir müssen mit dem CO2-Preis auch lenken und nicht allen alles zurückgeben"

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