Jedes Jahr wird in Deutschland genug Beton produziert, um damit den Großen Wannsee in Berlin aufzufüllen. Und zwar dreimal.

Abgesehen von Wasser werden auf diesem Planeten von keinem Stoff größere Mengen verbraucht als von Beton. Wir leben, fahren und gehen in und auf Beton. Beton ist allgegenwärtig.

Dieser nicht zu stillende Hunger nach weltweit 30 Milliarden Tonnen Beton jedes Jahr hat massive Auswirkungen auf das Klima. Schuld daran ist vor allem Zement.

Zur Herstellung des Bindemittels wird ein Gemisch aus Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz zu sogenanntem Rohmehl zerkleinert, getrocknet und schließlich bei 1.450 Grad in Drehrohröfen zu Zementklinker gebrannt.

Die Öfen werden heute in Deutschland überwiegend mit Kohle betrieben, sind aber nur für ein Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich. Der Rest sind sogenannte prozessbedingte Emissionen.

Bei dem Brennvorgang spaltet sich der Kalkstein in Kalziumoxid und CO2. Pro Tonne Zement entstehen 400 Kilogramm des Treibhausgases. Die globale Zementindustrie produziert so bis zu acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Zum Vergleich: Wäre der Zementsektor ein Land, würde sein CO2-Fußabdruck hinter China und den USA auf Platz drei liegen. Auch in Deutschland entfallen noch knapp drei Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen auf die Zementproduktion.

Nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv soll möglich sein

Aufgrund der prozessbedingten Emissionen und einer langlebigen und eng verknüpften Herstellungsinfrastruktur gilt die Zementindustrie als das Paradebeispiel für einen Sektor, der schwer zu dekarbonisieren ist.

Der Weltverband der Zement- und Betonindustrie GCCA hat sich trotz eines erwarteten Anstiegs der Zementproduktion um 40 Prozent dazu verpflichtet, zur Mitte des Jahrhunderts CO2-Neutralität zu erreichen. Der Verband repräsentierte in seinem Gründungsjahr 2018 gut ein Drittel der Branche.

Beton schluckt ein Zehntel des weltweiten Wasserverbrauchs der Industrie. (Bild: Dean Hochman/Flickr)

In einer neuen Studie machen französische Forscher:innen nun sogar Hoffnung auf noch weitergehende Dekarbonisierungserfolge. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Industrie das Potenzial habe, zu einer CO2-Senke zu werden. Bei der Herstellung des Zements würde der Atmosphäre also unterm Strich CO2 entzogen.

Dabei betrachtete die Forschungsgruppe um den Ingenieurswissenschaftler Lucas Desport von der Hochschule Mines Paris verschiedene Strategien zur Dekarbonisierung und simulierte mithilfe von Energiesystem-Modellen einige Szenarien.

Zu den Strategien zählen die Nachfragereduzierung etwa durch langlebigere Bauten, eine effizientere Materialnutzung, die Verwendung anderer Brennstoffe wie Biomasse sowie CO2-Abscheidetechnologien (CCS).

Insbesondere durch die Kombination von CCS und Bioenergie (BECCS) könne der Sektor Negativemissionen erzeugen, so die Forschenden. Holz, Holzpellets und Biokohle sollten fossile Brennstoffe ersetzen. So könne langfristig auch der Zementpreis auf gegenwärtigem Niveau gehalten werden. Bisher gehen zahlreiche Prognosen von einem scharfen Anstieg des Marktniveaus aus.

Für CO2-Neutralität bis 2050 müsste die Energieversorgung laut der Studie mindestens zur Hälfte durch biogene Brennstoffe gedeckt werden – gekoppelt mit CCS. Bei einem Anteil von 80 Prozent seien bereits große Mengen an Negativemissionen realistisch. Die Studie erschien im International Journal of Greenhouse Gas Control, bei dem Entwicklung und Einsatz der CCS-Technologie einen Schwerpunkt darstellen.

Sollte Biomasse als Brennstoff in der Branche vernachlässigt werden, könne das Netto-Null-Ziel der GCCA nur mit zehn bis 18 Jahren Verspätung erreicht werden, so die Autor:innen der Analyse. Der Branchenverband räumt der Bioenergie in seinen bisher vorgestellten Plänen keine große Bedeutung ein.

BECCS war ursprünglich nur als Notbremse gedacht

Außerdem müsse der Anteil von CO2-intensivem Klinker im Zement auf 65 Prozent reduziert werden, heißt es in der Studie. Als Ersatzstoffe kommen in der Regel sogenannte Puzzolane wie zum Beispiel Flugasche infrage, aber auch gemahlener Kalkstein oder industrielle Abfallprodukte, etwa Schlacken der Stahlindustrie. In Europa machen diese Ersatzmaterialien im Durchschnitt schon rund 27 Prozent des hergestellten Zements aus.

Neben den Strategien der französischen Wissenschaftler:innen gibt es eine Reihe innovativer Vorschläge, die in den letzten Jahren zur Dekarbonisierung des Bausektors veröffentlicht wurden. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr schlug etwa ein neues Herstellungsverfahren vor, um Zement aus Bauschutt zu recyceln.

Ob diese innovativen Herstellungsverfahren allerdings auch im nötigen Umfang und in der nötigen Geschwindigkeit skalierbar sind, daran zweifeln viele Expert:innen.

Diese sicherlich berechtigten Zweifel treffen in demselben Maße auch für CCS und umso mehr für BECCS zu. Der Biophysiker Michael Obersteiner, Leiter des Umweltinstituts der Universität Oxford, stellte 2001 das BECCS-Konzept und sein Potenzial erstmalig in einer Studie vor.

Anschließend kritisierte Obersteiner immer wieder, dass seine Studie falsch interpretiert wurde. BECCS sei lediglich als Notlösung zu verstehen. Sollte die Klimakrise auf einmal deutlich schneller voranschreiten als erwartet, sei dieser Ansatz sinnvoll, aber ambitionierte Klimastrategien sollten ohne BECCS planen.

 

Auch die französischen Forscher:innen merken an, dass die "gigantischen Mengen an Holzbiomasse", die für den von ihnen vorgeschlagenen Weg notwendig wären, "erhebliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sowie die Land- und Wasserressourcen" haben würden. Diese Folgen müssten in kommenden Studien analysiert werden.

Die Zementindustrie ist mitnichten die einzige Branche, die in ihren Klimaneutralitätsversprechen auf Negativemissionen setzt. Ob die technologischen und natürlichen Ansätze aber jemals in einem entsprechenden Umfang möglich und ökologisch wie sozial vertretbar sein werden, ist wissenschaftlich umstritten.