Der klimagerechte Umbau bietet jede Menge Chancen für die Wirtschaft und damit auch für die Menschen, so steht es im grünen Wirtschaftsatlas. (Bild: Alice Didszoleit/​Shutterstock)

Wie verlustreich ist das Ende der Braunkohle in Deutschland? Für die derzeit rund 10.000 Beschäftigten im Braunkohletagebau vor allem in der Lausitz und im Rheinland inklusive ihrer Dienstleister bedeutet ein Ausstieg bis 2030 einen Wohlfahrtsverlust von etwa 2,2 Milliarden Euro. Bei einem – hypothetischen – Sofortausstieg würde der Verlust für die Zehntausend auf rund 4,2 Milliarden Euro steigen.

Diese Angaben macht eine aktuelle internationale Studie unter Mitwirkung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC. Die meisten Verluste für die Beschäftigten entstehen dabei nicht durch die Arbeitslosigkeit nach dem Ausscheiden aus dem Tagebaubetrieb, sondern mit dem anschließenden Wechsel zu weniger gut dotierten und weniger stabilen Arbeitsplätzen in anderen Branchen, rechnet die Studie vor.

Beschäftigte mittleren Alters zwischen 30 und 50 Jahren würden beim Ende der Braunkohle am meisten verlieren. Diese Bergleute hätten sich bereits auf ein hohes Lohnniveau hochgearbeitet, das sie ohne Kohleausstieg auch noch lange halten würden, betont die Studie.

Nutzen des Kohleausstiegs vielfach größer als Kosten

Die Forscher belassen es nicht bei der Verlustbilanz. Sie stellen ihr auch die Wohlfahrtsgewinne gegenüber, die die Gesellschaft durch das Aus für die Braunkohle erlangt. Diese liegen laut der Studie bei etwa 8,6 Milliarden Euro.

Der mehrfache Milliarden-Gewinn für alle entsteht durch wegfallende Umweltfolgekosten. Die Studie schätzt diese noch konservativ und nimmt für jede emittierte Tonne CO2 Folgekosten von deutlich unter 200 Euro an. Auch würde der Braunkohlestrom durch Strom aus Erdgas ersetzt.

"Der Nutzen des Kohleausstiegs durch vermiedene Klimaschäden ist ökonomisch gesehen um ein Vielfaches größer als die Kosten", fasst Studien-Mitautor Nicolas Koch vom MCC zusammen.

So klare Aussagen, was eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft für alle bringt, vermisst man vielfach bei dem am Mittwoch vorgestellten "Wirtschaftsatlas" der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.

Der Atlas behandelt auf knapp 30 Seiten 19 Themenfelder – selbstverständlich den Vormarsch der erneuerbaren Energien, dann noch den Finanz- und Energiemarkt, die Autoindustrie und den Weizenhandel sowie auch sogenannte Megatrends wie Digitalisierung, demografischen Wandel und Kreislaufwirtschaft.

Vor allem die Chancen der Transformation herausstellen

Der Wirtschaftsatlas soll nicht nur Informationsquelle sein, sondern auch selbst dazu beitragen, die Gesellschaft zu einer klimaneutralen, wohlstandsmehrenden und gesellschaftlich integrativ wirkenden Ökonomie zu gestalten, erläutert Böll-Vorstand Jan Philipp Albrecht das Anliegen.

Balkendiagramm: Die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel waren bis 2017 niedrig, haben sich auf 2018 mehr als verdoppelt, dann auf 2021 nochmals verdoppelt. Etwa noch mal so viel liefert seit 2021 der nationale Emissionshandel.
"Die Einnahmen aus dem Emissionshandel fließen vollständig in den Klimafonds", heißt es zu dieser Grafik im Atlas. Zu sehen ist auch, dass der Emissionshandel bis 2020 weitgehend unwirksam war. (Bild: Wirtschaftsatlas 2024)

Albrecht legt dabei Wert auf die Feststellung, der Atlas widme sich vor allem den Chancen der Transformation. Bei der Industrie sei inzwischen angekommen, dass die Transformation im Sinne von Dekarbonisierung und Klimaneutralität die Grundvoraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft und für Wohlstand in Deutschland ist, erklärt der Stiftungsvorstand.

Unter dem Label "Chancen" zeichnet der Atlas im Wesentlichen das Bild einer grünen Wachstums-Marktwirtschaft. Vor allem mit Instrumenten wie handelbaren CO2-Zertifikaten oder dem Abbau klimaschädlicher Subventionen könne es gelingen, mehr Wertschöpfung klimaneutral zu gestalten. Der Weg dorthin erfordere viele Investitionen und Innovationen, etwa die Umstellung der Stahlindustrie auf fossilfreien Strom und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Bedingungen, heißt es in bestem Politikdeutsch.

Aus der Sicht der Stiftung dient eine CO2-Bepreisung auch eher nicht dazu, die realen Umweltfolgekosten widerzuspiegeln, sondern als wirtschaftspolitisches Instrument, um die Klimakrise zu begrenzen. Wissenschaft sowie Umweltverbände forderten dabei hohe Preise, um rasche Verhaltensänderungen bei Unternehmen und Kundschaft zu bewirken. Politisch durchzusetzen seien jedoch häufig nur zu niedrige Preisniveaus, zudem würden viele Ausnahmen erlaubt, wird beklagt.

Suffizienz bleibt ausgespart

Völlig außen vor bei der Transformation der Wirtschaft bleibt im Atlas das Thema Suffizienz, also die absolute Absenkung des Verbrauchs von Energie und Materialien, ohne dass es zu Wohlstandsverlusten kommt.

Suffizienz und Ersparnis seien zentrale Fragen, die neben den Effizienzstrategien zu lösen seien, antwortet auf den Einwand Ute Brümmer, Referentin für Wirtschaft und Finanzen bei der Böll-Stiftung. Der Wirtschaftsatlas habe aber in erster Linie das Ziel, die Transformation hin zu den Erneuerbaren zu ermöglichen.

Kurvendiagramm: Nur starker Naturschutz kann die Biodiversität stabilisieren, etwas mehr Naturschutz reicht nicht aus.
Hätten Sie's gewusst? "Je nachhaltiger Landwirtschaft und Industrieproduktion werden, desto besser lässt sich die Artenvielfalt erhalten." (Bild: Wirtschaftsatlas 2024, Quelle: Nature, 2020)

Im Atlas selbst heißt es bezüglich Einsparungen, seit einiger Zeit wachse das Bewusstsein dafür, dass knappe Güter nicht optimal eingesetzt würden – womit ökologischen Notwendigkeiten nicht ausreichend Rechnung getragen werde.

Und wörtlich: "Es gibt nach wie vor zu viele Fehlanreize, etwa die anhaltende Subventionierung von Industrien und Gütern, die auf fossilen Energien beruhen." So koste allein die Steuerbefreiung für Kerosin den Staat 8,4 Milliarden Euro im Jahr. Weltweit würden fossile Brennstoffe mit jährlich sieben Billionen US-Dollar subventioniert.

Eine Angabe, wie stark der Staat in Deutschland noch Öl, Gas und Kohle verbilligt, fand sich offenbar nicht.

Das Klimageld wird im Wirtschaftsatlas nur am Rande erwähnt, obwohl es als zentrales Transformations-Instrument gilt und sich derzeit eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung dafür einsetzt.

Haushalten mit Niedrigeinkommen "fehlt Kapital"

Geringverdienende würden stärker unter hohen Preisen leiden, heißt es in der Publikation. Auch könnten Haushalte mit niedrigem Einkommen Investitionen wie die Umstellung auf eine Wärmepumpe aufgrund fehlenden Kapitals oft nicht stemmen. Daher sei eine sozial gerechte Kompensation – zum Beispiel durch eine Investitionsförderung – wichtig.

Preiserhöhungen, die durch die Finanzierung der Energiewende notwendig seien, sollten zudem durch politische Instrumente wie Ausgleichszahlungen begleitet werden – zu diesen Zahlungen zählt die Grünen-nahe Stiftung dann auch das Klimageld.

Zum Thema Suffizienz verweist Stiftungsvorstand Albrecht noch darauf, dieses werde in anderen Böll-Atlanten behandelt. In der vorliegenden Publikation hätten nicht Einsparungen im Bereich Klimaneutralität im Fokus gestanden, sondern die Transformation der Wirtschaftsakteure. Man habe sich entscheiden müssen, worauf man sich konzentriere, erklärte Albrecht.

 

Übrigens wird auch das Ende der Braunkohle im Transformations-Atlas nicht erwähnt. Zu finden ist im Energiewende-Kapitel nur die Formulierung, dass die Kohleverstromung in Deutschland schrittweise eingestellt werde – und zwar "bis spätestens 2038", also wie im Kohlekompromiss aus der Groko-Zeit vereinbart.

In dem Fall allerdings hat sich die Marktwirtschaft allen Prognosen zufolge bereits für den deutlich früheren Ausstieg entschieden.