Vor allem junge Menschen und Familien leben häufig in beengten Wohnverhältnissen. Gleichzeitig werden Wohnungen immer knapper.
Doch auch der Neubau von Häusern trägt zur Klimakrise bei. In die Klimabilanz geht dabei nicht nur der Energieverbrauch des fertigen Hauses ein, sondern auch der CO2-Ausstoß, der bei der Herstellung der Baumaterialien und beim Bau verursacht wird.
Eine Lösung könnte sein, auf Wohnungstausch zu setzen statt auf Neubau. Den nicht ganz neuen Vorschlag hat sich das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie dieser Tage – neben vielen anderen Vorschlägen – in seiner Veranstaltungsreihe "Wuppertal Lunch" vorgenommen.
Die Tauschidee klingt logisch und einfach. Während einige Menschen sich mit kleinen Wohnungen begnügen müssen, leben vor allem Ältere oft zu zweit oder allein in Wohnungen und Häusern, die ihnen zu groß geworden sind. Würden diese Menschen ihre Wohnungen tauschen, müsste für die Familie kein neues Haus mit viel Wohnfläche gebaut werden.
Genügend Wohnraum bedeutet Lebensqualität – und das Begrenzen von Wohnraum gleichzeitig das Einsparen von Energie und Ressourcen, die beim Bauen, Instandhalten und Heizen von neuen Häusern benötigt werden würden.
Hier kommt die Suffizienz ins Spiel. Suffizienz heißt, den Verbrauch von Ressourcen und den Konsum maßvoll zu beschränken, sodass die ökologischen Grenzen unseres Planeten nicht überschritten werden.
Die derzeitige Klimapolitik ist vor allem auf zwei andere Strategien ausgerichtet: auf Effizienz, zum Beispiel das Einsparen von Energie durch bessere Dämmung von Gebäuden, und noch stärker auf Konsistenz, die Transformation zu sauberen oder vermeintlich sauberen technischen Alternativen wie Windkraft oder E-Autos.
Diese beiden Strategien reichen laut dem Wuppertal Institut jedoch nicht aus, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Vor allem der sogenannte Rebound-Effekt führe dazu, dass viele der bisherigen Maßnahmen nicht ihren gewünschten Effekt erzielen.
In Bezug auf Wohnen bedeutet das: Seit 1990 ist zwar die verbrauchte Energie pro Quadratmeter Wohnfläche von 244 auf 176 Kilowattstunden im Jahr 2020 gesunken – gleichzeitig aber stieg die Wohnfläche pro Kopf von 35 auf 47 Quadratmeter. Damit stagniert der Energieverbrauch bei rund 8.400 Kilowattstunden pro Person und Jahr, wie Benjamin Best vom Wuppertal Institut in der Veranstaltung erläutert.
"Genug" in beide Richtungen
Suffizienz muss aber nicht unbedingt persönliches Verzichten bedeuten, betont der Nachhaltigkeitsforscher.
Im Gegenteil: Statt die Verantwortung für eine nachhaltige und klimafreundliche Lebensweise auf die Privathaushalte abzuwälzen, müsse vor allem die Politik die richtigen Strategien wählen und Anreize schaffen.
"Denn solange nicht-suffiziente Handlungen zeitsparender, einfacher und billiger zugleich sind, werden sie aus dem Alltag von Millionen nicht verschwinden", heißt es in einem "Zukunftsimpuls" des Wuppertal Instituts zu Suffizienz im Klimaschutz, an dem Best mitgeschrieben hat.
Beim Wohnen gäbe es dafür verschiedene Möglichkeiten. So könnten Plattformen zum Wohnungstausch angeboten werden.
Oder es könnte eine Regelung wie in Zürich eingeführt werden. In der Schweizer Großstadt dürfen Wohnungen maximal ein Zimmer mehr als Bewohner:innen haben. Falls eine Person aus der Wohnung auszieht, muss eine neue Mitbewohner:in gefunden werden – oder nach einer Schonfrist müssen alle in eine neue Wohnung mit weniger Zimmern umziehen.
Bei solchen Konzepten sollte es immer sozial gerecht zugehen, betont das Wuppertal Institut. Denn bei der Suffizienz gehe es um zwei Arten von "Genug".
Zum einen um ein Genug in dem Sinne, dass kein Überkonsum eintritt. Zum anderen im Sinne eines "Genug für alle", um ein gesundes und erfülltes Leben erfüllen zu können. Genug bedeutet hier "keine Armut", wie es Benjamin Best formuliert.
In Zürich sei diese Bedingung beispielsweise dadurch geregelt, dass bei einem Umzug die Quadratmeter-Miete "mitgenommen" werden darf. Niemand muss in eine kleinere Wohnung ziehen, die dann mehr Miete kostet.
Das suffiziente Vorgehen kann dann für alle Menschen zu mehr Lebensqualität führen: für junge Menschen und Familien dadurch, dass sie endlich ausreichend Platz zum Leben haben, und für ältere Menschen, dass sie in einer kleineren Wohnung weniger Miete zahlen müssen.
Vorteil Gemeinschaftswohnen
Suffizienz könnte so gerade für Einkommensschwächere zum Vorteil werden – besonders wenn die Politik grundsätzlich neue Wohnkonzepte fördern würde. Gemeinschaftswohnprojekte könnten Bereicherung und Entlastung bringen und gleichzeitig Wohnraum sparen.
Ältere, die sonst womöglich allein leben würden, könnten Hilfe bei anstrengender Hausarbeit erhalten. Familien bekämen mehr Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Und alle, besonders Alleinstehende, hätten mehr Gesellschaft und wären seltener einsam.
Lebensqualität messe sich nicht nur am Konsum, sie äußere sich auch in Gemeinschaft, persönlicher Weiterentwicklung, neuen Erfahrungen und Selbstverwirklichung, so der Wuppertaler "Zukunftsimpuls". Gemeinschaftswohnen spare Wohnraum und führe so zu weniger Neubau, weniger Ressourcen- und Energieverbrauch – und damit mehr Klimaschutz.
Es gibt auch noch mehr Vorzüge des Gemeinschaftswohnens zu entdecken. Wer allein lebt, muss sich um den kompletten Haushalt selbst kümmern, was neben dem Beruf viel Zeit in Anspruch nimmt. Dazu gehört auch das tägliche Kochen, das im Alltagsstress so womöglich zu kurz kommt.
Eine gesunde Ernährung ist laut Wuppertal Institut aber nicht nur für die Menschen gut, sondern auch für das Klima, da hierbei mehr Gemüse und Obst konsumiert werden und weniger Fleisch, Getreideprodukte und Milchprodukte.
Wer trotzdem gern allein leben möchte, soll das selbstverständlich dürfen – nur eben nicht unbedingt in einer Vierzimmerwohnung. Hier kommt wieder die Idee ins Spiel, den Wohnraum zu begrenzen, wie in Zürich. In diesem Fall hieße das, dass eine allein lebende Person grundsätzlich in einer Wohnung mit höchstens zwei Zimmern leben sollte.
Eine soziale und ökologische Politik
Es gibt noch mehr Möglichkeiten, das Wohnen nachhaltig und klimaneutral zu gestalten. Leerstand renovieren statt neu bauen zum Beispiel. Oder wenn doch ein Abriss nötig ist, die Materialien nicht wegwerfen, sondern für neue Gebäude weiterverwenden.
Auch hier müsste die Politik steuernd eingreifen, sei es über Gesetze, das staatliche Ankaufen und Renovieren von leer stehenden Gebäuden oder das Einrichten einer Plattform, über die Baumaterialien weitergegeben werden können.
Eine Befürchtung bei der Durchsetzung von Suffizienzstrategien in der Politik ist ein möglicherweise toxischer Diskurs um eine "Verbotspolitik", der entstehen könnte. Um dem entgegenzuwirken, sei vor allem die soziale Komponente wichtig, wird beim "Wuppertal Lunch" betont. Suffizienzpolitik dürfe nicht zulasten einkommensschwacher oder anderweitig schon benachteiligter Menschen gehen.
Auch eine gute Kommunikation der gewählten Maßnahmen sei wichtig für die Akzeptanz. Nur wenn die Notwendigkeit einer Maßnahme für die Menschen verständlich sei, seien sie bereit, diese anzunehmen. Maßnahmen müssten außerdem für alle gelten, um einem Gefühl der Ungerechtigkeit entgegenzuwirken.
Ein gutes Beispiel ist für Benjamin Best die 22-prozentige Einsparung beim Erdgas durch Industrie und Haushalte im letzten Winter, als es eine konkrete Krise gab. Bei solchen kurzfristigen Verhaltensänderungen dürfe man aber nicht stehenbleiben, fordert Best.