Dekarbonisierung beschränkt sich bei den Energieriesen offenbar weitgehend auf die Selbstdarstellung. (Bild: James Jones/​Shutterstock)

Die Erderwärmung soll bei maximal zwei Grad Celsius gestoppt werden, besser bei 1,5 Grad. So steht es im Pariser Klimavertrag von 2015. Laut dem Weltklimarat IPCC darf ein Großteil der vorhandenen fossilen Energiereserven nicht mehr gefördert und verbrannt werden, wenn das Ziel erreicht werden soll – konkret: bei Kohle und Erdgas 80 Prozent, bei Erdöl 30 Prozent.

Noch viel mehr davon müsste im Boden bleiben, wenn 1,5 Grad angepeilt werden. Darauf hat jüngst der neue IPCC-Chef Jim Skea hingewiesen.

Die Energiekonzerne allerdings setzen weiter fast ungebremst auf die Ausbeutung der fossilen Ressourcen, wie zwei aktuelle Untersuchungen zeigen.

Der neue Report "The Dirty Dozen" des Energieexperten Steffen Bukold analysiert die Strategien von europäischen Öl- und Gaskonzernen, darunter Shell, BP, Total und Wintershall Dea. Sie nutzten ihre jüngsten Rekordgewinne, um künftig weiter klimaschädliche Öl- und Gasvorkommen auszubeuten, heißt es darin.

So hätten die zwölf untersuchten Unternehmen im letzten Jahr zusammen 93 Prozent ihrer Investitionen in fossile Projekte gesteckt und nur sieben Prozent in erneuerbare Energien. Bukold leitet das 2008 von ihm gegründete Forschungs- und Beratungsbüro Energycomment in Hamburg, Auftraggeber der Analyse ist Greenpeace Mittel- und Osteuropa.

"Klimaneutral" mit CCS und Ausgleichszahlungen

Laut der Untersuchung haben die zwölf Konzerne ihre Gewinne durch die rasant gestiegenen Energiepreise im vergangenen Jahr um 75 Prozent gesteigert. Die Auswertung ihrer offiziellen Jahresberichte ergab, dass die erneuerbaren Energien erst einen verschwindend geringen Anteil an der Energieproduktion der zwölf Unternehmen haben – im Jahr 2022 waren es im Durchschnitt nur 0,3 Prozent.

Angesichts niedriger Investitionen in die Energiewende werde sich dies in Zukunft kaum ändern, so die Analyse. Die Konzerne BP, Equinor, Wintershall Dea und Total haben nach der Auswertung ihre Investitionen in die Erzeugung sauberer Energie 2022 gegenüber dem Vorjahr sogar gesenkt. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen plant, die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen bis mindestens 2030 konstant zu halten oder sogar zu steigern, so der Report.

Laut der Bukold-Untersuchung sind Ankündigungen einiger Konzerne, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen, mit Vorsicht zu genießen. Oftmals werde dabei auch auf umstrittene Projekte gesetzt, etwa das Verpressen von CO2 im Boden (CCS) oder die Kompensation der ausgestoßenen Treibhausgase durch Finanzierung von Ausgleichsmaßnahmen.

Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner sagte dazu: "Diese Konzerne sprechen viel davon, bis 2050 klimaneutral zu werden, aber kein einziger von ihnen hat eine plausible Strategie, um dieses Ziel zu erreichen." Statt auf Erneuerbare zu setzen oder dringend nötigen grünen Wasserstoff zu produzieren, versuchten sie, mit ihrem alten Geschäft weiter Geld zu machen.

Göldner kritisierte: "Ölmultis wie Shell und BP haben die heutige Klimakrise maßgeblich verschuldet, und sie missbrauchen ihre Rekordgewinne, um die Welt tiefer in diese Krise zu lenken." Sie betätigten sich so als "Brandbeschleuniger". Die Expertin forderte die Regierungen der Bundesrepublik und der anderen EU-Staaten auf, das "Big-Oil-Geschäft" viel strenger zu regulieren und so den Umstieg auf erneuerbare Energien zu beschleunigen.

Viele neue Erdgas-Projekte in Afrika und Europa

Der zweite Report wurde jetzt von dem Londoner Thinktank Influence Map vorgelegt. Darin werden die Strategien europäischer Energiekonzerne zur Ausweitung des Geschäfts mit Flüssigerdgas (LNG) analysiert, nachdem der Pipeline-Import von russischem Erdgas infolge des Ukraine-Kriegs herunterfahren wurde.

Vor allem der Ausbau entsprechender Förderkapazitäten wurde dabei in den Blick genommen, speziell auf dem Nachbarkontinent Afrika. Fazit hier: Die Aktivitäten der Branche bedrohen die Energiewende sowohl in Europa als auch in Afrika.

Auch Deutschland hält fossile Projekte wieder für vorzeigbar und förderwürdig: Eröffnung des ersten deutschen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Dezember 2022. (Bild: Heide Pinkall/​Shutterstock)

Der Thinktank untersuchte 15 europäische Energiekonzerne, darunter BP, Enel, Engie, Eni, Shell und Total, aus Deutschland Eon und RWE. Jedes dieser Unternehmen habe laut Daten des Global Energy Monitor neue LNG-Infrastrukturen entweder in Afrika oder in der EU geplant oder im Bau.

In Afrika geht es dabei um Länder wie die Republik Kongo, Mauretanien, Mosambik, Nigeria, Senegal und Tansania, die mehr Erdgas exportieren oder neu in den Markt einsteigen wollen. In der EU wiederum sollen dafür die Import-Kapazitäten ausgeweitet werden, so auch in Deutschland, wo insgesamt bis zu zehn LNG-Terminals an Nord- und Ostsee entstehen sollen.

Laut der Untersuchung haben sich 13 der 15 Konzerne seit 2021 für neue Investitionen in fossiles Gas eingesetzt und/​oder Lobbyarbeit betrieben, um die EU-Klimagesetzgebung zu schwächen, die darauf abzielt, die Erdgas-Nachfrage zu reduzieren. Das sei erstaunlich, da alle 13 Unternehmen öffentlich ihre Unterstützung für Klimaneutralität bis 2050 bekundet hätten, heißt es bei Influence Map.

 

Positiv kamen in der Bewertung nur zwei Konzerne weg, die deutsche Eon und die italienische Enel. Sie legten den Schwerpunkt auf den Ausbau erneuerbarer Energien sowie den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und nähmen "auch positive Positionen zur europäischen Klimagesetzgebung" ein.

Analyst Vivek Parekh von dem Thinktank sagte, die Untersuchung zeige "die globale Reichweite der Lobbyarbeit des europäischen Öl- und Gassektors" auf. In den betroffenen afrikanischen Ländern werde dadurch der Ausbau der erneuerbaren Energien gehemmt, und das schmälere die Chancen für eine langfristige nachhaltige Entwicklung.