Es ist natürlich Zufall. Das Forschungs-Großprojekt "Die Energiewende kosteneffizient gestalten: Szenarien zur Klimaneutralität 2045" wurde pünktlich fertig, um der neuen Bundesregierung als Blaupause für den weiteren Umbau in den Sektoren Energie, Verkehr, Gebäude und Industrie zu dienen.
Zu Beginn der Arbeiten hatte niemand ahnen können, dass bereits im Frühjahr 2025 wohl eine "Groko Merz" die Ampel ersetzen würde.
Die Hauptbotschaften der Studie sind dazu angetan, die Koalitionsverhandlungen im Bereich Klima und Energie zu beflügeln: Die Netto-Null bei den Treibhausgasen bis 2045 ist möglich, und finanziell lässt sich das Projekt durchaus stemmen, wenn auf Kosteneffizienz geachtet wird.
Der Zusatzaufwand beträgt dann nur 0,4 bis 0,7 Prozent der aktuellen Wirtschaftsleistung, und im besten Fall wäre sogar eine Einsparung drin. Zudem halbieren sich die durch den Klimawandel ausgelösten Schäden.
Es wird erwartet, dass die neue Bundesregierung am Ziel Klimaneutralität 2045 festhält. Es ist in den Wahlprogrammen sowohl der Union als auch der SPD fixiert – anders als zum Beispiel bei der Ex-Ampel-Partei FDP, die es auf 2050 verschieben wollte.
Um das Ziel bis 2045 zu schaffen, sind laut dem jetzt in Berlin vorgestellten Kopernikus-Projekt zur Energiewende, genannt "Ariadne", in den nächsten zwei Jahrzehnten jährlich dreistellige Milliardeninvestitionen für erneuerbare Energien, Energienetze, energetische Gebäudesanierung sowie die Elektrifizierung von Industrieproduktion, Gebäudewärme und Straßenverkehr nötig.
Konkret geht es im Schnitt je nach Szenario um 116 bis 131 Milliarden Euro pro Jahr. Allerdings wird ein Großteil dieser Kosten durch sinkende Ausgaben für fossile Energieträger ausgeglichen, sodass der Netto-Aufwand nur noch 16 bis 26 Milliarden Euro jährlich beträgt, besagte 0,4 bis 0,7 Prozent des BIP.
"Investitionen nicht mit Kosten verwechseln"
"Die Dekarbonisierung, also die Abkehr von Öl, Kohle und Gas, erfordert einen tiefgreifenden Umbau unserer Wirtschaft. Dieser Umbau führt zu jährlichen Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe", sagte Gunnar Luderer, Leiter des Energy Transition Lab am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Vizechef des vom Bundesforschungsministerium geförderten Ariadne-Projekts.
"Brutto-Investitionen sollten aber nicht mit Netto-Kosten verwechselt werden." Bei einem konsequenten weiteren Umstieg auf innovative und effiziente Technologien und deren intelligenter Vernetzung ergeben sich dem Energiesystemforscher zufolge hohe Einsparungen bei Erdöl, Erdgas und Kohle.
Diese fossilen Energieträger werden zum großen Teil importiert. Die Einfuhren kosten rund 80 Milliarden Euro jährlich, wie jüngst eine Untersuchung des Öko-Instituts mit den Daten für 2023 ergab.
Das Ariadne-Team hat für die Studie verschiedene Szenarien verglichen, die sich in der Gesamthöhe der Energienachfrage, im Grad der direkten Nutzung von Strom und im Wasserstoffbedarf unterscheiden. In allen Szenarien wird der Großteil der Investitionen von Unternehmen und Privathaushalten finanziert.
Der Staat spielt vor allem beim Aufbau der nötigen Infrastruktur, bei der Markteinführung CO2-neutraler Technologien und beim Ausgleich von Mehrbelastungen bei den privaten Haushalten – Stichwort Klimageld – eine Rolle. An dem groß angelegten Forschungsprojekt waren sechs Institutionen beteiligt, und zwar neben dem Potsdam-Institut die TU Berlin, die ETH Zürich und drei Fraunhofer-Institute.
Günstigste Variante ist Nutzung von Strom ohne Umwege
Bestätigt wurde durch die Berechnungen, dass die Elektrifizierung der bisher noch fossil betriebenen Anwendungen in den meisten Sektoren die preiswerteste Klimaschutz-Option darstellt. Es ist also ratsam, etwa Wärmepumpe statt Erdgas-Heizung und E‑Auto statt Benziner und Diesel zu nutzen, während Wasserstoff zum Heizen und E‑Fuels wegen der Umwandlungsverluste bei deren Gewinnung deutlich teurer sind.

Dadurch wird Strom zum wichtigsten Energieträger. Heute ist es noch Erdöl, gefolgt von Erdgas. Für die Stromproduktion wird Klimaneutralität bereits für Mitte des nächsten Jahrzehnts angepeilt, der Anteil von Wind- und Sonnenenergie steigt dabei auf bis zu 91 Prozent.
Der Großhandelsstrompreis stabilisiert sich langfristig bei einem Jahresmittelwert von 70 bis 80 Euro pro Megawattstunde, also sieben bis acht Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 betrug der Preis im Schnitt 7,85 Cent pro Kilowattstunde.
Um die Kosten des Stromsystems im Rahmen zu halten, empfiehlt das Forschungsteam unter anderem einen Verzicht auf die teure Erdverkabelung beim Netzausbau wo möglich, zeitvariable Strompreise als Anreiz für einen flexibilisierten Verbrauch und mehr Möglichkeiten zum Stromaustausch mit Nachbarländern. Die Schwankungen bei Wind- und Solarenergie und die sogenannten Dunkelflauten werden durch Speichertechnologien wie Batterien und durch Backup-Kraftwerke ausgeglichen.
Bei der Ausschreibung der Backup-Kraftwerke hat es durch Unstimmigkeiten in der Ampel Verzögerungen gegeben. Dies muss nun dringend aufgeholt werden, damit der Ökostromanteil von derzeit bereits rund 60 Prozent weiter wachsen kann, ohne dass es Probleme mit der Netzstabilität gibt.
E-Fuels für Schiffs- und Flugverkehr, nicht für die Straße
Die Wärmewende im Gebäudesektor macht mit je nach Szenario 41 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr den größten Anteil des gesamten Investitionsbedarfs für den Umbau zur CO2-Netto-Null aus. Die Kosten entstehen dabei vor allem durch die notwendigen Häusersanierungen.
Wärmepumpen wirken hier sogar als Kostensenker. Sie sind in der Anschaffung zwar teurer als etwa Gas- oder Ölheizungen, über den kompletten Lebenszyklus gerechnet liefern sie die Wärme dank niedrigerer Energiekosten allerdings in der Regel günstiger.
Im Verkehr ist der beschleunigte Umstieg auf E‑Mobilität laut dem Ariadne-Team kosteneffizienter als die Nutzung von E‑Fuels, die mittels Ökostrom hergestellt werden. Ein E‑Fahrzeug rechne sich spätestens 2030 gegenüber einem Verbrenner für fast alle Nutzungen wegen der geringeren Ausgaben für Energie und Wartung.
Im Flug- und Schiffsverkehr hingegen muss laut der Studie auf E‑Fuels zurückgegriffen werden, was die Betriebskosten erhöht
In der Industrie entstehen laut dem Ariadne-Report finanzielle Mehrbelastungen vor allem durch höhere Betriebskosten in nicht oder nur schwer elektrifizierbaren Bereichen. Das betrifft vor allem die Grundstoffindustrie, wo als Ersatz für Kohle, Erdgas und Erdöl Wasserstoff genutzt werden muss, etwa in der Stahlerzeugung und in der Grundstoffchemie.
Die Autorinnen und Autoren der Studie halten es hier für erwägenswert, erste Verarbeitungsschritte der energieintensiven Industrien in Länder mit günstigerem Ökostrom zu verlagern – ein Vorschlag mit Konfliktpotenzial wegen der Folgen für die Arbeitsplätze in den ohnehin unter Druck stehenden Branchen.
Insgesamt bietet der Report einen positiven Ausblick. Die Investitionen in die Energiewende böten für Deutschland die Chance, die Wirtschaft zu modernisieren und beim Export grüner Technologien eine Vorreiterrolle einzunehmen, heißt es darin.
Große Potenziale bieten danach E‑Autos, Wärmepumpen, Elektrolyseure, Batterie- und Wärmespeicher, Windkraftanlagen sowie Steuerungseinheiten für smarte Integration und Flexibilisierung. Und das Forschungsteam sieht sogar Chancen für Haushalte, finanziell günstiger wegzukommen als im fossilen Zeitalter.
Konkret: Gelingt es Verbraucherinnen und Verbrauchern, durch klimafreundliches Verhalten die Energienachfrage zu senken und schneller auf Klimaschutz-Technologien umzusteigen, sind die Energiekosten-Einsparungen so hoch, dass unter dem Strich Geld übrig bleibt.