Deutschland strebt die "Netto-Null" bei den Treibhausgasen bis 2045 an. So steht es im Klimaschutzgesetz, das noch von der letzten Merkel-Groko beschlossen wurde, nachdem das Bundesverfassungsgericht entsprechend Druck gemacht hatte.
Die wahrscheinlichen künftigen Regierungsparteien CDU und CSU verfolgen diesen Kurs weiter, ebenso wie SPD und Grüne, die als Juniorpartner infrage kommen. Die FDP hingegen hat sich jüngst vom Zieljahr 2045 verabschiedet und plädiert nun für 2050.
Eine großangelegte Untersuchung des Forschungszentrums Jülich untermauert nun: Die Netto-Null bis 2045 ist noch immer möglich, sowohl technisch als auch ökonomisch.
Dabei müssen die unterschiedlichen Potenziale der Regionen von Nord bis Süd optimal genutzt werden, um die Kosten beherrschbar zu halten.
Die Jahre bis 2030 sind entscheidend
In früheren Studien hat ein Systemanalyse-Team des Forschungszentrums den Fokus auf die insgesamt in Deutschland nötigen nationalen Anstrengungen auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität 2045 sowie die nötige Einbettung in eine europaweite Energiewende gelegt. Dabei zeigte sich, dass die Jahre bis 2030 für den Umbau entscheidend sind.
Um die Kosten für den nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien zu minimieren, sind laut 2023 vorgelegten Jülicher Ergebnissen bis 2030 deutlich höhere jährliche Ausbauraten bei Photovoltaik und Windkraft unabdingbar. Vor allem die Windkraft braucht danach einen Schub, während die Solarenergie inzwischen schon näher am richtigen Pfad ist.
Als weiteren Grundpfeiler der CO2-freien Versorgung sieht das Expertenteam eine gesteigerte Energieeffizienz. Motto: "Die klimafreundlichste Kilowattstunde ist die, die gar nicht erst verbraucht wird." Zentraler Punkt sei hier die energetische Sanierung der Bestandsgebäude, die bisher zu langsam läuft.
Weiter ist es laut der 2023er Untersuchung nötig, künftig CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Schon bis 2030 müssten daher geeignete Speicherstätten für das entnommene Klimagas gefunden werden.
Auch Wasserstoff-Infrastruktur erforderlich
In der aktuellen Folgestudie hat das Forschungsteam nun eine regionale Perspektive eingenommen, um zu zeigen, wie die Energie-Infrastrukturen jeweils vor Ort umzubauen sind.
Beispiel Elektrizitätsversorgung: Da Solar- und Windenergie längerfristig hier mit über 90 Prozent den Löwenanteil ausmachen werden, müsse sich der Ausbau an die regionalen Gegebenheiten anpassen, um die Kosten zu minimieren. "So lassen sich die Potenziale jeder Region optimal nutzen, gleichzeitig wird die Versorgungssicherheit gewährleistet", so die Fachleute.
Um die Versorgungssicherheit auch in Zeiten der berüchtigten "Dunkelflaute" mit geringem Angebot an Solar- und Windstrom zu gewährleisten – wie sie zum Beispiel in der ersten Novemberwoche in Deutschland herrschte –, muss laut der Studie für ein "Backup" in flexiblen Gaskraftwerken auch eine Wasserstoff-Infrastruktur entstehen.
Bekannt ist, dass Norddeutschland die größten Ressourcen für Windenergie hat. In den Küstenregionen wird nach den Jülicher Prognosen die Ökostromerzeugung auch weiter überproportional steigen. Es würden dort "neue Energiezentren" inklusive des Aufbaus von Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffproduktion entstehen.
Der grüne Wasserstoff wird nach dem Konzept in Salzkavernen gespeichert, die es vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt, zum Teil können dafür vorhandene Erdgasspeicher genutzt werden. Entsprechend soll auch ein großer Teil der Kraftwerkskapazitäten für die "Rückverstromung" des Gases in diesen beiden Bundesländern entstehen – 2030 werde es gut die Hälfte aller Kapazitäten sein, 2045 zwei Drittel.
Der Aufbau einer Wasserstoffproduktion in den südlichen und östlichen Bundesländern folgt laut dem Konzept in der späteren Phase der Transformation. Etwa zehn Prozent der deutschen Elektrolyseleistung würden sich dann in diesen Gebieten befinden, so die Studie. Zusätzlich wird die Versorgungssicherheit durch Kraftwerke gewährleistet, die Biogas und Biomasse einsetzen.
Energiewende positiv für die wirtschaftliche Entwicklung
Um das Nord-Süd-Gefälle bei der Energieproduktion auszugleichen, läuft seit Jahren der Bau neuer Hochspannungstrassen, die allerdings in der Bevölkerung nicht unumstritten sind. Dabei geht es speziell um die Versorgung energieintensiver Industriezentren in Nordrhein-Westfalen sowie in den Regionen Rhein-Main und Rhein-Neckar.
Bei geringerem Ausbau kann weniger Offshore-Windstrom aus dem Norden bezogen werden. Das könnte laut den Jülicher Fachleuten vor allem durch drei Maßnahmen kompensiert werden – durch mehr erneuerbare Energien an Land und mehr Stromspeicher sowie den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur samt Rückverstromungskraftwerken.
Das wäre allerdings teurer. Laut der Studie wären dann Mehrinvestitionen von etwa acht Prozent notwendig.
Untersucht haben die Jülicher Fachleute auch, welche Folgen die Energiewende für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands hat. Unter dem Strich ist das Fazit hier positiv.
Aufgrund steigender Nachfragen in den verschiedenen Sektoren – von Solaranlagen-Installation über Netzausbau bis Gebäudesanierung – sei in allen Regionen Deutschlands ein Beschäftigungswachstum gegenüber heute möglich, ermittelten sie.
In einigen Wirtschaftszweigen wie der Metall- und der Autoindustrie gebe es jedoch ein höheres Risiko für Arbeitsplatzverluste in dieser Transformation.