Bild: Kristin Rabaschus

Mehr Rüstung, weniger Bürokratie. So lautet die Schlussfolgerung, die der designierte Kanzler Friedrich Merz (CDU) aus der Bundestagswahl im Februar zieht, so lautet auch die Schlussfolgerung von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) aus der Hamburg-Wahl im März – und so lautet ebenfalls die jüngste Schlussfolgerung der EU-Kommission für die zweite Amtszeit Ursula von der Leyens.

Die EU startet ein Rüstungsprogramm in Rekordhöhe und will bis zu 800 Milliarden Euro mobilisieren. Unabhängig davon, wie man politisch zu diesem markigen Zeitgeist der schwächelnden Wahlsieger steht, wird ihr politisches Credo am Grüngeld nagen.

Unternehmen sollten eigentlich im Jahr 2025 für ihre grüne Berichterstattung, die Taxonomie, rund 1.000 Datenpunkte erfassen. Diese überbordende Bürokratie wurde auch an dieser Stelle als zu kleinteilig kritisiert. Doch die neue Industriepolitik der EU scheint mit ihrem "Omnibus Simplification Package" ein Rollback vorzubereiten.

Ende Februar legte Kommissionspräsidentin von der Leyen dazu ein Omnibus-Gesetzgebungspaket auf den Tisch, mit dem Unternehmen entlastet werden sollen. Es ist Teil der angekündigten Initiative zur Reduzierung der Berichtspflichten in der EU um 25 Prozent.

Erfreut zeigte sich beispielsweise der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: "Europas Unternehmen stehen im internationalen Wettbewerb. Es braucht Entlastungen, um Innovation und Wirtschaftskraft zu stärken." Daher sei es gut, dass die EU-Kommission nun die Berichtspflichten entschlossen reduzieren will. Ähnlich äußern sich fast alle Unternehmensverbände von Rang.

Menschenrechts- und Umweltstandards stehen infrage

Kleine und mittelgroße Unternehmen sollen von den Berichtspflichten der Nachhaltigkeitsberichterstattung befreit werden, und auch sektorspezifische Nachhaltigkeitsstandards sollen fallen. Die Kommission kündigte zudem an, dass die Zahl der zu berichtenden Daten substanziell reduziert werde. Obendrein soll die europäische Lieferkettenrichtlinie gelockert werden.

Entsprechendes dürfte die kommende Bundesregierung für das bereits 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz ins Visier nehmen. Es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten. Hierzu gehören beispielsweise der Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und der Schutz der Umwelt.

Die Omnibus-Richtlinie zur Straffung der Berichtspflichten bei Nachhaltigkeitsberichten und zur vereinfachten Regelung der Überwachung und Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Lieferketten ist der erste Teil einer Reihe von Gesetzesinitiativen. Sie folgen alle dem erklärten neuen Mega-Ziel der EU, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu steigern.

Ob der Verlust dieses grünen Alleinstellungsmerkmals deutschen und westeuropäischen Unternehmen im globalen Wettbewerb tatsächlich helfen wird, sei dahingestellt. Grundsätzlich wäre Transparenz durch weniger Komplexität durchaus zweckmäßig. Aber diese – in der Diktion der politischen Klasse – "Konsolidierung" per Omnibus trifft die EU-Taxonomie in ihrem Kern.

Paradoxerweise zeichnet sich neben dem "Weniger" ein "Mehr" ab: Neben Erdgas und Atomstrom als "Übergangstechnologien" soll die Verteidigung als nachhaltig und ethisch eingestuft werden.

Auf diesen grünen Goldstandard freuen sich nicht allein Rheinmetall, der KI-Entwickler Mistral oder der Kampfdrohnen-Spezialist Helsing. Banken und Versicherer könnten zukünftig unbeschwert von Taxonomie-Restriktionen Waffen und Rüstungstechnik finanzieren.

Europas Rüstungsausgaben sind bereits hoch

Warum Regierungen, Parteipolitiker und Wirtschaftslobbyisten massiv aufrüsten wollen – sehen wir hier von Bedrohungsszenarien und Profitinteressen einmal ab –, erschließt sich aus den reinen Daten nicht.

Die Rüstungsausgaben der europäischen Nato-Staaten betragen laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri jetzt schon etwa 400 Milliarden Euro, die Russlands gerade mal 100 Milliarden. Selbst wenn man Kaufkraftparitäten zugrunde legt, geben die EU-Staaten bereits deutlich mehr für das Militär aus als der potenzielle Angreifer.

Einige Ökonomen und Politiker argumentieren darum in jüngster Zeit lautstark, dass vermehrte Rüstungsausgaben das schwächelnde Wirtschaftswachstum auf Vordermann bringen und durch Synergieeffekte technische Entwicklungen in Deutschland, der Europäischen Union und Brexit-Britannien beschleunigen würden.

 

Die militärischen Zeichen stehen jedenfalls auf "grün". Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma beschloss kürzlich neue Leitlinien für Fonds, die "nachhaltig" oder "ESG" im Namen tragen. Solche Grün-Fonds dürfen nunmehr 20 Prozent ihrer Gelder in Kriegsgerät anlegen.

Und das deutsche Verteidigungsministerium hat in einem Strategiepapier gefordert, dass nachhaltige Geldanlagen "selbstverständlich auch in Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie" fließen können.

Also alle Mann (und Frau) rechts – um? So weit sind wir noch nicht. Das Gesetzespaket von der Leyens wird im nächsten Schritt im Rat der Europäischen Union, also den Regierungschefs, und vom Europäischen Parlament in Brüssel und Straßburg beraten.