Ende vergangenen Jahres kaufte die Nabu-Stiftung von der Stadt Anklam das Anklamer Stadtbruch. Das einstige Moor war 1995 durch eine Sturmflut und einen Dammbruch "zwangsweise" unter Wasser gesetzt worden. Die 1.500 Hektar beheimaten inzwischen nicht nur den größten Moorwald Deutschlands, sondern auch mehr als 100 Vogelarten, darunter Kraniche, Seeadler und Rotmilane.
Moore sind nicht nur Naturrefugien, sondern auch beste Klimaschützer. Wird Ackerland in ein Feuchtgebiet umgewandelt, bindet ein mooriger Hektar zwanzig Jahre später – so lange dauert die Renaturierung – bis zu 40 Tonnen CO2-Äquivalent jährlich, zitiert eine am gestrigen Freitag vom Naturschutzbund (Nabu) vorgelegte Untersuchung zur naturverträglichen Energiewende einschlägige Quellen.
Werden die hiesigen Moore dagegen landwirtschaftlich genutzt, verursacht das Treibhausgasemissionen von jährlich 2,5 Millionen Tonnen. Generell sind renaturierte Flächen als Senken auch klimaschützerisch effizienter, als wenn darauf Biomasse zur energetischen Nutzung angebaut würde, so die Studie.
Deutschland hat rund 95 Prozent seiner einstigen Moore verloren, bedauerte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke am Freitag bei der Studienpräsentation in Berlin. Der Verband ringe seit Jahren darum, Niedermoore wiederherzustellen. Tschimpke diagnostizierte beim Klimaschutz in Deutschland eine "gewisse Stagnation".
Beim Naturschutz verzeichne man diesen Stillstand allerdings schon lange, betonte Tschimpke, und genauso lange gebe es die Konflikte um Flächenverbrauch, beim Vogelschutz, um den Bau von Überlandleitungen und vieles andere mehr.
"Regionalplanung versagt oft bei Windkraft"
Bei der Windkraft sieht sich der Nabu dabei keineswegs als der Bremser, als der er in der Öffentlichkeit dargestellt werde. Verglichen mit der Gesamtzahl der errichteten Windräder bewegten sich die Klagen im "Promillebereich", erklärte Heinz Kowalski vom Nabu-Präsidium.
Nur wenn partout in weniger als 300 Metern Entfernung zu einem Schreiadlerhorst eine Anlage gebaut werden solle, gehe man dagegen vor – und habe auch alle diesbezüglichen Klagen gewonnen.
Den Unmut mancher Bürger über zu viel Windkraft in ihrer Umgebung kann Tschimpke nachvollziehen. Manche Gemeinden seien umkreist von Windanlagen, da müsse man sich nicht wundern, wenn die Menschen etwas dagegen hätten. Aus Sicht des Nabu-Chefs hat hier vor allem die Regionalplanung versagt. "In vielen Regionen ist das nicht richtig gemacht worden."
Strategien für naturverträglichen Klimaschutz
- mehr Photovoltaik einsetzen
- Potenziale für Solarthermie und Umweltwärme nutzen
- Energieeffizienz deutlich erhöhen
- suffiziente Lebensstile verbreiten
- Verkehr vermeiden, Konsum reduzieren
- erneuerbaren Strom importieren
- CCS in der Industrie einsetzen
- natürliche Senken fördern
- Kreislaufwirtschaft und Materialsubstitution
Das Herausfallen von zunächst etwa 6.000 Windkraftanlagen aus der EEG-Förderung nach dem Jahr 2020 ist für den Umweltverband eine große Chance, die planerischen Fehler endlich zu korrigieren. Der Nabu befürwortet dabei das Repowering. Auf diese Weise könne man aus derselben Fläche erheblich mehr Energie herausholen. Das müsse aber, so Kowalski, zugleich naturverträglich geschehen und mit einer entsprechenden Umweltverträglichkeitsprüfung einhergehen.
Nachdrücklich plädiert der Verband dafür, bei der Energiewende künftig mehr auf Solarenergie zu setzen. Derzeit hätten Wind und Sonne bei der Stromerzeugung ein Verhältnis von 2,5 zu eins, in einigen, in der Studie aufgelisteten Energiewende-Szenarien verschlechtere sich dieses Verhältnis auf vier zu eins.
Der Naturschutzbund will dagegen langfristig ein Wind-Solar-Verhältnis von zwei zu eins zu erreichen. Dann müssten rund 7.000 Windanlagen an Land – etwa ein Viertel bis ein Fünftel – bis 2050 nicht errichtet werden.
Die Solarpaneele sollen vor allem auf Dächern und anderen Siedlungsflächen Platz finden. Eine Strategie, die auch der im Februar veröffentlichte "Erneuerbare-Energien-Report" des Bundesamts für Naturschutz fordert, wobei das BfN einen Schwerpunkt auf städtischen Mieterstrom legen möchte.
Wuppertal-Institut bringt CCS wieder ins Spiel
Die sich abzeichnenden Widersprüche in der Energiewende stürzen den Umweltverband in neue Debatten. Wolle man zum Beispiel die gesamte Stahlherstellung in Deutschland auf "grünen", mit Ökostrom erzeugten Wasserstoff umstellen, erfordere das eine Strommenge von 100 Milliarden Kilowattstunden, gut ein Sechstel des heutigen Stromverbrauchs, rechnete am Freitag Studienautor Sascha Samadi vom Wuppertal-Institut vor.
Der dafür nötige Zubau an Erneuerbaren-Anlagen werde "gewisse Auswirkungen" auf die Natur haben, gab Samadi zu bedenken. Zu überlegen sei deshalb, ob man in den Industriesektoren, die "nicht ganz so leicht zu dekarbonisieren" sind, vielleicht besser die CCS-Technologie einsetzen sollte.
Das Leben der Kohleverstromung durch CCS zu verlängern – dagegen habe sich der Nabu in den vergangenen Jahren konsequent eingesetzt, betonte Tschimpke umgehend. Das bleibe auch so, da müsse sich keiner Gedanken machen.
Die Frage sei nur, was man mit Industrie-Emissionen anstelle, wenn alle anderen Möglichkeiten sich als nicht gangbar erweisen. Der Nabu setze hier auf den Diskurs mit der Industrie. "Die letzten fünf Prozent CO2-Einsparung werden die teuersten und schwierigsten", meinte der Verbandspräsident.
Synthetische Kraftstoffe importieren
Einen weitere Möglichkeit, der sich verschärfenden Flächenkonkurrenz in Deutschland aus dem Weg zu gehen, sieht das Wuppertal-Gutachten darin, mehr Ökostrom oder "grüne" synthetische Kraftstoffe zu importieren.
"Bezüglich der Akzeptanz wie auch der Naturverträglichkeit erscheint eine durch importierte Energieträger geminderte Nutzung insbesondere der Windenergie und der Biomasse vorteilhaft", ist in der Studie zu lesen, ergänzt um Überlegungen, dass sich aufgrund der unsicherer gewordenen Welt der Import synthetischer Treibstoffe – wo man auch unter mehreren Anbietern wählen kann – als eine zuverlässigere Variante erweisen könne.
Tatsächlich gehen einige Energiewende-Szenarien davon aus, dass die Bundesrepublik rund die Hälfte der Energie, die sie jetzt noch als fossiles Erdgas importiert, künftig als "grünes Gas" einführen muss.
Vor der Debatte, inwieweit Deutschland aufgrund eigener grüner Ressourcen Energiewende und Klimaschutz in den Griff bekommen kann oder ob das Land – wie bisher bei den fossilen Energien – auf die anhaltende Ausbeutung fremder Ressourcen angewiesen ist, schreckt die hiesige Erneuerbaren-Branche noch ein wenig zurück. Insofern ist die Nabu-Studie ein überfälliger Denkanstoß.