Maschinelle Ernte von Chinaschilf auf einem Feld in Frankreich.
Nachhaltige Biomasse ist nur begrenzt verfügbar und wird in Zukunft sehr begehrt sein. (Bild: Hamsterdancer/​Wikimedia Commons)

Warum müssen wir CO2 für den Klimaschutz abscheiden und speichern? Als er jüngst die Carbon-Management-Strategie der Ampel vorstellte, führte auch Robert Habeck, der Wirtschaftsminister, das stärkste Argument dafür ins Feld: Ohne CCS könne Deutschland "unmöglich" die Klimaziele erreichen.

Die Ziele, die Habeck meint, stehen im Klimaschutzgesetz, im Paragrafen 3: Gegenüber 1990 sollen die Treibhausgasemissionen hierzulande bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent sinken. 2045 sollen dann Netto-Treibhausgasneutralität und nach 2050 "negative Emissionen" erreicht werden, schreibt das Gesetz weiter vor.

Habecks "unmöglich ohne CCS" bezieht sich auf so gut wie alle diese Ziele. So soll die CO2-Abscheidung und -Speicherung, also die CCS-Technik, kurzfristig helfen, Gaskraftwerke oder Zementwerke emissionsarm betreiben zu können.

Aber auch für die Klimaziele zur Jahrhundertmitte hält die Ampel CCS für unverzichtbar. Das zeigen die nunmehr vom Wirtschaftsministerium ebenfalls veröffentlichten Eckpunkte einer "Langfriststrategie Negativemissionen". Habecks Haus hatte das Papier, bisher weitgehend unbeachtet, einen Tag nach der Carbon-Management-Strategie online gestellt.

"Unvermeidbare" Emissionen fallen auch nach 2045 weiter an

Der Begriff "negative Emissionen" macht sich seit einiger Zeit in der Klimadebatte breit. Was ist damit gemeint? Dazu müssen wir uns zunächst ins Jahr 2045 beamen.

Auch in dem Jahr wird Deutschland weiter menschengemachte Treibhausgase emittieren. Wie viel – da liegen Studien noch weit auseinander. Die Schätzungen reichen von jährlich rund 35 Millionen bis deutlich über 70 Millionen Tonnen CO2 (siehe Grafik). Diese sogenannten "unvermeidbaren" Emissionen stammen vor allem aus Industrie und Landwirtschaft.

Balkendiagramme: Zwischen 2025 und 2045 steigen die negativen Emissionen von jährlich rund 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent auf 40 Millionen Tonnen oder mehr.
Negative CO2-Emissionen in Deutschland nach unterschiedlichen Szenarien aus Studien von BDI, Agora Energiewende, Forschungskonsortium Ariadne, Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) und Deutsche Energie-Agentur (Dena). (Bild: Öko‑Institut)

2045 sollen diese Klimagase – Stand jetzt – vor allem durch natürliche CO2-Senken kompensiert werden. Auch dafür gibt es Vorgaben im aktuellen Klimagesetz. Diese betreffen den Sektor Landnutzung und Forste mit der berühmten Abkürzung LULUCF.

Konkret verlangt das geltende Klimagesetz für 2045 vom Bereich LULUCF eine jährliche CO2-Entnahme von netto 40 Millionen Tonnen. Das bewegt sich nicht nur im unteren Bereich des prognostizierten Umfangs der Restemissionen, sondern ist auch ein sehr ehrgeiziges Ziel.

 

Vor allem Wälder sollen künftig so viel CO2 speichern, dass ein Großteil der unvermeidbaren Restemissionen ausgeglichen wird. Derzeit halten sich allerdings die CO2-Speicherleistung der Wälder und die Emissionslasten aus der Landnutzung – die stammen vor allem aus trockengelegten Mooren und Bodenversiegelung – die Waage.

Waldschäden und Klimawandel sorgen zugleich dafür, dass die CO2-Entnahme der "natürlichen" Senken gerade im Schwinden begriffen ist.

Klimaziele ohne technische CO2-Entnahme nicht zu erreichen

Insofern ist bereits klar, dass die "natürliche" CO2-Entnahme nicht ausreicht und eine CO2-Entnahmeindustrie aufgebaut werden muss. Die steckt noch nicht einmal in den Anfängen. Global entfallen derzeit nur etwa 0,1 Prozent der Leistung aller CO2-Senken auf technische Mittel.

Um hier in Deutschland voranzukommen, sehen die Eckpunkte der Negativ-Strategie nun vor, auch für technische Senken Zielwerte für 2035, 2040 und 2045 zu erarbeiten. Zudem soll es für 2060 eine Zielgröße für die gesamten negativen Treibhausgas-Emissionen geben.

Methoden zur CO2-Entnahme 

(aus den Eckpunkten)

Dass die Politik hier endlich vorsorgend tätig wird, fordert die Klimawissenschaft schon lange. Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) begrüßt die Initiative zu einer Negativ-Strategie. "Das ist der nächste sinnvolle Schritt in der schnell voranschreitenden Entwicklung zur CO2-Entnahme", erklärt Schenuit.

Für Wolfram Jörß vom Öko-Institut weisen die Eckpunkte im Großen und Ganzen "in die richtige Richtung". Sie passten auch zur kürzlich von der EU-Kommission vorgelegten Strategie für das industrielle CO2-Management. Deutschland und die EU brauchten dringend eine Infrastruktur für die CO2-Speicherung und -Nutzung (CCU), betont der Klimaforscher.

Politikwissenschaftler Schenuit lobt an den Eckpunkten besonders die Absicht, die künftige Strategie für Negativ-Emissionen im Klimagesetz zu verankern und daraus konkrete Jahresziele für technische CO2-Senken abzuleiten.

"So ein rechtlich verankerter Hochlaufpfad, der bislang nur für den Bereich LULUCF festgelegt ist, würde Deutschland als einen Vorreiter bei der Politik zur CO2-Entnahme etablieren. Dies setzt aber sowohl die Verabschiedung der Klimaschutzgesetz-Novelle als auch der Strategie selbst in dieser Legislatur voraus", betont Schenuit.

Aus seiner Sicht muss dabei die Carbon-Management-Strategie mit der Strategie für die spätere CO2-Entnahme zusammengedacht werden. So sollte die Infrastruktur für Abscheidung, Transport und die Nutzung des CO2 in der Industrie schon jetzt so aufgebaut werden, dass sie später einen schnellen Ausbau der CO2-Entnahme ermöglicht.

Negativ-Strategie soll bei Einhaltung des 1,5-Grad-Limits helfen

Wichtig ist dem Politikwissenschaftler auch, dass in der kommenden Negativ-Strategie über das Netto-Null-Jahr 2045 hinausgeblickt wird und der Wert künftiger negativer Emissionen ausdrücklich mit dem Verweis auf das drohende Verpassen des 1,5-Grad-Ziels begründet wird.

Tatsächlich billigt das Eckpunktepapier den Negativ-Emissionen eine doppelte Rolle zu. Erstens sollen sie wie beschrieben die Restemissionen ausgleichen, damit Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral wird und es auch bleibt.

Zweitens sollen nach 2050 weitere, die Restemissionen übersteigende Negativemissionen dazu beitragen, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Der Atmosphäre müssen dazu mehr Klimagase entnommen als im selben Zeitraum dort freigesetzt werden, schlussfolgern die Eckpunkte.

Dauerhaft negative Emissionen in großer Menge zu erzielen, ist alles andere als einfach. So wachse trotz begrenzter Verfügbarkeit nachhaltiger Biomasse die Nachfrage nach Biomasse zum Zweck der Dekarbonisierung rasant, umreißt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums eines der vielen offenen Probleme.

Der Einsatz von Biomasse für Negativemissionen müsse daher mit anderen Nutzungszwecken abgewogen werden, so der Sprecher. Das jetzige Papier sei denn auch mehr ein Arbeitsprogramm zur Ausarbeitung einer Langfriststrategie für Negativemissionen.

Dass sich die Ampel und kommende Bundesregierungen hier einigen, sollte kein Ding der Unmöglichkeit sein. Das Klima würde es danken.

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