Climeworks Hellisheiði (Island)
Umstrittene Pilotanlage in Island: Hier wird der Atmosphäre CO2 entzogen und unterirdisch gespeichert. (Foto: Zev Starr-Tambor/​Climeworks)

Weil der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen nicht sinkt, geht es nicht ohne negative Emissionen. Sollen die Auswirkungen des Klimawandels begrenzt werden, muss der Atmosphäre Kohlendioxid im großen Stil entzogen werden. Darin sind sich viele Klimawissenschaftler einig. Strittig ist dagegen das wirkliche Potenzial der negativen Emissionen und die dafür infrage kommenden Maßnahmen.

Auch in die Berechnungen des klimawissenschaftlichen Gremiums der Vereinten Nationen, des IPCC, zu den Entwicklungen der globalen Durchschnittstemperaturen fließen Annahmen zu den negativen Emissionen ein. Eine nun veröffentlichte Untersuchung des Wissenschaftlichen Beirats der Europäischen Akademien (EASAC) kommt zu dem Schluss, dass die Klimamodelle des IPCC die Möglichkeiten der negativen Emissionen überschätzen.

"Szenarien und Projektionen, die darauf hindeuten, dass der künftige Beitrag von negativen Emissionen die Erfüllung der Paris-Ziele ermöglicht, erscheinen nach derzeitigem Wissensstand zu optimistisch", schreibt der EASAC. Sich darauf zu verlassen, dass der übermäßige Treibhausgasausstoß mit negativen Emissionen kompensiert werden könnte, könne schwerwiegende Folgen für künftige Generationen haben, warnen die Autoren. Die EU müsse stattdessen ihre Anstrengungen zur Senkung der klimaschädlichen Emissionen verstärken. Je später die Reduktion von Emissionen beginnt, desto mehr Treibhausgase müssten künftig aus der Atmosphäre gezogen werden.

"Die Hauptbotschaft des Berichts ist richtig", sagt der Klimaforscher Hartmut Graßl gegenüber Klimareporter° zum EASAC-Bericht. Es sei aber eigentlich eine Plattitüde, dass es wichtiger sei, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren, als relativ geringe Mengen Kohlenstoff irgendwo zu speichern. Weil Solar- und Windstrom mittlerweile konkurrenzfähig gegenüber dem Kohlestrom geworden seien, müsse das Hauptaugenmerk auf den Kohleausstieg gelegt werden.

Nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Silke Beck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig ist der kritische Bericht überfällig. Wie die internationalen Klimaziele in nationale Politik übersetzt werden sollen, müsse öffentlich diskutiert werden.

"Bei negativen Emissionen handelt es sich um eine hochriskante Wette auf die Zukunft, der zufolge sich mithilfe bestimmter Technologien das Emissionsbudget – ähnlich wie bei einem Bankkredit – zunächst kurzfristig überziehen und dann im Laufe des 21. Jahrhunderts wieder ausgleichen lässt", sagt Beck.

Viele der Technologien gibt es noch gar nicht

Die Wissenschaftlerin warnt vor gravierenden Folgen, sollte das Emissionsbudget überzogen werden. Einerseits werde die Verantwortung, Emissionen zu reduzieren, auf künftige Generationen verschoben. Andererseits entstehe die trügerische Illusion, dass solche Technologien bereits verfügbar seien und großflächig angewendet werden könnten. "Viele der Technologien, die Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernen sollen, existieren nur in den IPCC-Modellen", sagt Beck.

Höchstens 800 Gigatonnen CO2-Äquivalent darf die Menschheit noch ausstoßen. Wird diese Grenze überschritten, ist das Ziel, die globale Durchschnittstemperatur dauerhaft auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, nicht mehr zu halten. Das Vorhaben des Pariser Weltklimaabkommens wäre gescheitert.

Dabei waren die Verhandler in Paris ambitionierter: Die Staaten sollen alle Anstrengungen unternehmen, um den Anstieg der Globaltemperaturen möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das dafür zur Verfügung stehende CO2-Budget ist denkbar knapp: Nur noch ungefähr 200 Gigatonnen CO2-Äquivalent dürfen noch in die Atmosphäre gelangen. Klimawissenschaftler rechnen damit, dass diese Grenze Anfang der 2020er Jahre überschritten wird.

Wie viel Zeit noch bleibt, bis die 1,5-Grad-Grenze übertreten wird und wie sich das doch vermeiden lässt, diskutieren gerade mehrere hundert Klimawissenschaftler für einen Sonderbericht des IPCC. Um Kohlendioxid zu binden, sind verschiedene Optionen denkbar. Selbst vergleichsweise einfache Maßnahmen wie das großflächige Aufforsten von Wäldern oder die Düngung von Ozeanen mit Eisen stehen aber wegen möglicher negativer Konsequenzen in der Kritik.

Die am meisten diskutierte Methode ist der Anbau und die Verbrennung von Biomasse, wobei das entstehende CO2 unter die Erde verpresst werden soll: Bio-Energie plus CCS, kurz BECCS. Doch selbst wenn das funktionieren würde: Um die Erderwärmung mit BECCS unter zwei Grad zu halten, bräuchte man etwa 500 Millionen Hektar zusätzliches Land – die anderthalbfache Fläche Indiens.

Vera Heck vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat gerade eine Studie über BECCS vorgelegt. Das Ergebnis fasst sie so zusammen: "CO2-Emissionen lassen sich durch Biomasse und CCS nur mit erheblichen Umweltschäden bei anderen planetaren Belastungsgrenzen nennenswert kompensieren." Werden diese ökologischen Leitplanken dagegen konsequent berücksichtigt, dann sei das Potenzial für Biomasse als CO2-Speicher nur sehr gering, so Heck.

Ihr Mitautor und PIK-Kollege Wolfgang Lucht zieht aus der Studie auch eine Schlussfolgerung für die Klimadebatte: "Wir müssen die sehr wichtige Analyse des Klimaproblems zunehmend in eine Betrachtung des Gesamtsystems Erde einbetten."

Redaktioneller Hinweis: Klimaforscher Hartmut Graßl ist Mitherausgeber von Klimareporter°.

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