Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, seit dem ersten Bericht des Weltklimarats IPCC vor 30 Jahren ist klar, dass die Menschheit die Erde aufheizt und die CO2-Emissionen auf null sinken müssen. Doch sie sind weiter gestiegen und müssen nun umso schneller fallen – etwa um die Hälfte in zehn Jahren, sagt der neue Weltklimabericht. Einige Kommentatoren lesen daraus die "gute" Nachricht heraus, dass es noch nicht zu spät sei, dass wir noch handeln können.

Matthias Willenbacher: Mir passt das Modalverb nicht: Wir können nicht handeln, wir müssen handeln. Und nein, es ist noch nicht zu spät. Denn wir haben ja alle technischen und ökonomischen Möglichkeiten, um auch kurzfristig weitgehend treibhausgasfrei zu wirtschaften und zu leben.

Die Energy Watch Group hat vor Kurzem ausgerechnet, dass wir bis 2030 zu 100 Prozent erneuerbar werden können. Die TU Berlin und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben in Kooperation mit der 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung in einer Energiesystemmodell-Studie gezeigt, dass wir dafür nicht mehr Netzausbau brauchen. Also, worauf warten wir noch?

Der neue Weltklimabericht gilt vielfach als letzter großer Weckruf – an der Bundesregierung scheint das vollkommen vorbeizugehen. Die Partner in der großen Koalition verharren im Wahlkampfmodus. Gibt es sechs Wochen vor der Wahl noch Handlungsmöglichkeiten für die Koalition?

Handlungsmöglichkeiten – zum Beispiel ein kurzfristiges Klimarettungspaket – gibt es immer, auch wenn die geplanten Sitzungen des Bundestages vorbei sind.

In der 17. Wahlperiode des Bundestags von 2009 bis 2013 gab es drei Sondersitzungen – alle drei wegen der Finanzkrise. Um den Euro zu retten, war damals fast jedes Mittel recht. Wenn es um die Klimakrise und die Rettung des Planeten geht, gilt das leider nicht. Klimaschutz findet bei der großen Koalition nur auf den Wahlplakaten statt.

Die Ehrlichkeit gebietet es, eine unliebsame, zynisch anmutende Tatsache auszusprechen. Tote haben leider politisch vollkommen unterschiedliche Währungen, je nachdem, was die Todesursache ist. Terrortote scheinen tausendmal schlimmer zu sein als Klimatote, jedenfalls was die Entschlossenheit angeht, weitere Todesopfer zu verhindern.

Das ist auch eine Lehre, die wir aus der furchtbaren Flutkatastrophe ziehen müssen. Es ist unethisch und sehr bitter, aber leider wahr.

Verstärkt durch die Flutkatastrophe gibt es eine Diskussion, wie die Kosten der Pandemie, der Klimaanpassung und der Transformation zur Klimaneutralität bewältigt werden können. Woher sollen die nötigen mehrere hundert Milliarden Euro kommen – was meinen Sie?

Geld ist genug da. Allein der Recovery Fund der Europäischen Union bietet große Ressourcen. Selbst Finanzminister Olaf Scholz hat ja gesagt, dass aus nicht abgerufenen Corona-Hilfen genügend Geld für die finanzielle Bewältigung der Flutkatastrophe zur Verfügung steht.

Worum es jetzt gehen muss, ist ein intelligenter Einsatz der Gelder, sodass möglichst viele politische Ziele erreicht werden können. Die kurzfristige Linderung der unmittelbaren Schäden durch Flut und Pandemie muss so gestaltet werden, dass sie die Transformation hin zur Klimaneutralität unterstützt und zu mehr sozialer Gerechtigkeit beiträgt. Das geht, man braucht aber ein gutes Konzept. Daran mangelt es leider bisher.

Wichtig ist außerdem, bei den Kosten zu unterscheiden. Kosten für die Flutkatastrophe sind nachlaufende Kosten für die Beseitigung von Klimaschäden. Dieses Geld ist unwiederbringlich weg.

Dagegen sind der Bau von Windrädern und Solaranlagen oder die Dämmung von Häusern Investitionen in eine saubere und CO2-freie Energieversorgung, die über 25 Jahre und mehr abgeschrieben werden. Selbst Investitionen in Höhe von 1.000 Milliarden erzeugen "nur" rund 50 Milliarden jährliche Kosten. Das kommt also wesentlich günstiger, als bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen zu bleiben.

Es führt in die Irre, beim Aufbau einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung nur zu fragen: Wer soll das bezahlen? Entscheidend ist die Frage: Was müssen wir mehr zahlen, wenn wir weiter unsere Erde verbrennen?

Finanzökonomen des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt am Main warnen davor, grüne Finanzanlagen mit effektiv weniger CO2-Emissionen gleichzusetzen. Sie stellten fest, dass viele Aktivitäten im Bereich "Green Finance" zwar ein gutes Gewissen für Anleger:innen bedeuten, aber nicht zu einer Minderung von Emissionen führen. Teilen Sie diese Analyse?

Ja, die Warnung ist absolut berechtigt. Es ist zwar gut und wichtig, wenn sich der Finanzmarkt endlich ernsthaft mit dem Thema Klimakrise beschäftigt, das ja auch ein unfassbar hohes Risiko für alle Anleger:innen darstellt. Leider muss man bei genauerem Hinsehen feststellen, dass allen grünen Bekenntnissen von Larry Fink und Co zum Trotz immer noch viel zu wenig passiert.

Aber selbst wenn es anders wäre, hätten die Frankfurter Wissenschaftler recht: Ein grüner werdender Finanzmarkt bringt nur dann etwas, wenn die grünen Kapitalanlagen mit tatsächlichen realwirtschaftlichen Veränderungen einhergehen. Dafür zu sorgen, ist die Grundidee der europäischen Taxonomie.

Doch wie leider so häufig, droht der eigentlich richtige Ansatz der Europäischen Kommission durch massive Lobbybemühungen verwässert, ja sogar komplett konterkariert zu werden. Das wäre nicht nur eine Blamage für die Kommission, sondern auch ein klimapolitischer Offenbarungseid.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die eine Aussage von Robert Habeck in der ARD-Talksendung mit Sandra Maischberger erregte. Dass sich das Klima in absehbarer Zeit wieder zum Besseren verändere, werde leider nicht passieren, hatte der Grünen-Chef gesagt. Im Gegenteil, es werde noch krasser werden.

Für alle, die sich auch nur ein klein wenig mit dem Klimawandel beschäftigt haben, ist das eine traurige Selbstverständlichkeit. Dass Habecks Satz trotzdem zur Schlagzeile wird, ist leider Beleg dafür, dass die meisten – allen IPCC-Berichten zum Trotz – immer noch nicht die unmittelbare Bedrohung durch die Klimakrise an sich herangelassen haben.

Nur so lässt sich ja auch erklären, dass die Union in den Wählerumfragen vorne liegt, auch wenn der Vorsprung schrumpft.

Fragen: Jörg Staude

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