Große chemische Industrieanlage bei Nacht.
Symbolbild. Erdgas ist die Hauptenergiequelle der deutschen Industrie. Vor allem die Chemiebranche nutzt fossile Energieträger, zu einem Drittel auch als Ausgangsstoffe für ihre Produkte – die oft selbst problematisch sind. (Foto: Saoirse/​Shutterstock)

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht: "Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität." Gilt dieser Satz noch in Kriegszeiten, in denen Klimaminister Habeck zur Energieversorgung Kohlekraftwerke länger laufen lassen muss und Gas und Kohle auf der ganzen Welt einkaufen lässt, selbst bei schlimmsten Menschenrechtsverletzern?

Der neue Bericht des Weltklimarats lässt alle Alarmglocken läuten. Es kommt alles noch schlimmer, als wir es bisher wahrhaben wollten. Wir fahren auf den Abgrund zu, aber geben immer noch Gas in die falsche Richtung. Viele der jungen Leute aus der "Fridays for Future"-Bewegung können nur noch verzweifeln, wenn sie an ihre Zukunft denken.

UN-Generalsekretär António Guterres sagt zum neuen Klimabericht: "Wir sind auf der Überholspur Richtung Klimadesaster unterwegs." Das Tempo beim Ausbau der grünen Energien müsse sich verdreifachen.

Viele Klimawissenschaftler sagen, das Tempo des Ausbaus, des Energiesparens und der Energieeffizienz müsse sich verfünffachen.

Auch die deutsche Klimapolitik hat bisher grandios versagt. Vor allem im Verkehrssektor sind wir total gescheitert. Sprit saufende SUV feiern hierzulande noch immer Verkaufsrekorde und noch immer haben wir als einziges Industrieland der Welt kein Tempolimit. Das ist peinlich, blamabel und irrational.

Aber hat die Welt in Kriegszeiten nicht ganz andere Sorgen? Die Berichterstattung über den jüngsten Klimakatastrophenreport in deutschen Medien war gegenüber dem Ukraine-Krieg geradezu mickrig.

Keine Ausreden mehr

Robert Habeck sagt der Süddeutschen Zeitung, seine Leute arbeiteten zur Zeit 16 bis 18 Stunden am Tag, um sowohl das Problem der Abhängigkeit von Putins fossilen Rohstoffen als auch das Riesenproblem des Klimawandels zu lösen. Dazu Habecks Staatssekretär Patrick Graichen: "Die Herausforderung ist, die ursprüngliche Agenda nicht aus dem Blick zu verlieren."

Da stellt sich aber die Frage: Ist der Kohleausstieg, wie ihn der Koalitionsvertrag "idealerweise" bis 2030 vorsieht, in diesen neuen Kriegszeiten tatsächlich zu erreichen? "Ja klar", sagt Graichen, "da ändert sich gar nix".

Hat also auch diese Krise ihre Chance? Und wie könnte sie aussehen?

Jetzt sehen fast alle Parteien im Bundestag, dass die Unabhängigkeit von Russland und die Klimakrise, aber auch die Sicherheit im Kern dasselbe Problem sind. Die Lösung kann nur heißen: So rasch wie irgend möglich auf erneuerbare Energien umsteigen. Je weniger fossile Energien wir brauchen, desto besser für das Klima, für die Sicherheit und für unsere Freiheit.

Da Sonne und Wind jetzt auch die billigste Energie liefern, müsste der Umstieg weit rascher gelingen als lange angenommen. Selbst FDP-Chef Christian Lindner weiß inzwischen, dass die erneuerbaren Energien "Freiheitsenergien" sind. Und Friedensenergien sind sie sowieso.

Unabhängig bei Öl und Gas

EU-Chefin Ursula von der Leyen nennt den Klimaschutz und den "Green Deal" der EU ein "Mondprogramm". "Plötzlich wollen alle zum Mond", spottet die Süddeutsche.

Franz Alt

ist Journalist und Buchautor. Er leitete 20 Jahre das politische Magazin "Report" beim Südwest­rundfunk, danach bis 2003 die Zukunfts­redaktion des SWR. Sein neues Buch mit Ernst Ulrich von Weizsäcker heißt: "Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen".

Die Bundesregierung beweist gerade, dass die neue "Mondlandung" schneller passieren kann als lange angenommen.

Innerhalb weniger Tage hat die Ampelkoalition das Osterpaket geschnürt: mehr Windräder, mehr Solarzellen, mehr Wärmepumpen, mehr Netzleitungen. Letzten Mittwoch hat das Bundeskabinett beschlossen, dass Deutschland 2035 beim Strom zu 100 Prozent erneuerbar sein soll.

Gut so: Denn der Klimawandel schert sich nicht um Geopolitik. Selbst in Kriegszeiten legt er keine Pause ein. Die EU hat in diesen Tagen beschlossen: keine Kohle mehr aus Russland. Noch besser ist: Bald auch kein Öl und kein Gas mehr aus Russland.

Wie das geht, haben die drei baltischen Staaten bereits gezeigt. Sie haben sich von allen fossilen Quellen in Russland unabhängig gemacht. Sie waren hier weniger blauäugig als Deutschland. Sie betrachten Energiepolitik im Zusammenhang mit nationaler Sicherheit.

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