Matthias Willenbacher. (Bild: Wiwin)

Das Wichtigste aus 52 Wochen: Sonst befragen wir die Mitglieder unseres Herausgeberrats im Wechsel jeden Sonntag zu ihrer klimapolitischen Überraschung der Woche. Zum Jahresende wollten wir wissen: Was war Ihre Überraschung des Jahres? Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der nachhaltigen Investing-Plattform Wiwin.

Das vergangene krisengeschüttelte Jahr hat viel Unerwartetes gebracht. Eine positive und eine negative Überraschung sowie eine Geisterdebatte stechen für mich aber heraus.

Die wirklich positive Überraschung war für mich der klare Wille der Bundesregierung beziehungsweise des Bundeswirtschaftsministeriums sowie auch der EU, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen und beschleunigen zu wollen.

Energiewende ist Regierungspolitik

Die aus dieser Haltung heraus beschlossenen Maßnahmen sind vielfältig und zahlreich. Die Änderungen reichen bei der Windenergie von den Vorgaben für die Bundesländer, Flächen für Windenergie auszuweisen, über die bessere kommunale Beteiligung am Anlagenertrag bis zur Neugestaltung des Umgangs mit Artenschutzbelangen, sodass zum Beispiel die Artenschutzprüfung schon bei der Flächenausweisung und nicht erst auf der Projektebene stattfindet.

Wenn dies alles im Verwaltungshandeln angekommen ist, sind die Grundlagen für einen deutlich schnelleren Ausbau gelegt. Zum Jahresende haben genehmigte Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von zusammen 7.000 Megawatt einen Zuschlag in den Ausschreibungen erhalten. Das reicht zwar noch nicht, um das angestrebte Ziel von über 12.000 Megawatt zu erreichen, ist aber deutlich mehr als in den vergangenen fünf Jahren, wo im Schnitt nur 2.680 Megawatt einen Zuschlag bekamen.

Bei der Photovoltaik wurde das Ausbauziel von 9.000 Megawatt mit 10.000 Megawatt bereits Ende September übererfüllt. Und das, bevor die im Solarpaket eins angestrebten Verbesserungen für Balkonmodule, Dachanlagen oder die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung beschlossen wurden.

Aber auch auf der EU-Ebene gab es mit der in diesem Monat nochmals bis Juni 2025 verlängerten Notfallverordnung und mit der Novelle der Erneuerbaren-Richtlinie deutliche Verbesserungen für den Erneuerbaren-Ausbau, die in Deutschland in längerfristige Regelungen überführt werden oder bereits wurden.

Wie das Ergebnis des Klimagipfels COP 28 in Dubai zeigt, ist der schnelle Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien einer der Schlüssel für die Chance, die Erderhitzung nicht in für Mensch, Natur und Umwelt unverträgliche Ausmaße zu steigern. Es ist deshalb ermutigend, dass wir in Deutschland schon mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs aus regenerativen Quellen bestreiten.

Die anderen beiden wichtigen Verbrauchssektoren Wärme und Mobilität hinken leider stark hinterher. Besonders der Gebäudebereich mit seinen langen Investitionszyklen und seinem hohen Investitionsbedarf bleibt ein Sorgenkind. Ohne eine Trendwende sind hier die Klimaschutzziele für 2030 und 2045 unerreichbar.

Heizungsgesetz: Tiefpunkt der Debatte

Die negative Überraschung des Jahres war für mich die Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz, das sogenannte Heizungsgesetz.

Ja, das Bundeswirtschaftsministerium hat die gesellschaftliche Stimmung und die soziale Brisanz des Themas vollkommen falsch eingeschätzt, auch das war eine negative Überraschung.

Aber wirklich negativ in den öffentlichen Debatten war das nicht zu rechtfertigende Vorgehen des Führungspersonals der Union.

Bis in die Parteispitzen waren sich CDU und CSU nicht zu schade, zusammen mit der Springerpresse wider besseres Wissen Halb- und Unwahrheiten beziehungsweise glatte Lügen zu verbreiten. Das Niveau der Beiträge war unterirdisch, populistisch und hat zu einer weiteren Verrohung der öffentlichen Diskussion geführt.

In der Folge waren und sind viele Hausbesitzer:innen verunsichert, welches Heizungssystem zukünftig für ihr Haus geeignet ist. Der Einbau von Wärmepumpen bekam einen deutlichen Dämpfer verpasst und neue Gas- und Ölheizungen einen unerwarteten Schub. Die nach der Energiekrise hohe Investitionsbereitschaft vieler Menschen für eine erneuerbare Wärmeversorgung wurde auf dem Altar der eigenen Profilierung geopfert.

Dass die FDP als Regierungspartei sich dem Unionsniveau angeschlossen hat, während sich gleichzeitig der Parteivorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner über seine private Wärmepumpe freut, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Mit Blick auf die Kommunalwahlen in allen ostdeutschen Ländern, die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und die Europawahlen und speziell die Umfragewerte der AfD würde ich mich im nächsten Jahr von einem Kurswechsel der FDP sehr gerne überraschen lassen.

Wenn wir nicht große Teile der Bevölkerung an die Rechtsextremen und Rechtspopulisten verlieren wollen, müssen wir die Transformation unserer Wirtschaft zur Klimaneutralität zu einer Erfolgsgeschichte für die Menschen machen. Eine klug gestaltete, dezentrale und bürgernahe Energiewende in allen Sektoren kann eine solche Geschichte sein.

Gute Beispiele gibt es schon genügend. Dafür brauchen wir viel privates Kapital, aber auch gezielte und kraftvolle Investitionen des Staates in die öffentliche und soziale Infrastruktur unseres Landes – Schulen, Bahnen, Brücken, sozialer Wohnungsbau. Sonst wird kein Unternehmen und kein Privatmensch Geld in die Hand nehmen, um den Investitionsstau der letzten Jahrzehnte auszugleichen.

Lichtblick Solarstrom – Geisterdebatte Atomkraft

Welchen Hebel die richtigen staatlichen Rahmenbedingungen für private Investitionen darstellen können, zeigen die deutschen und weltweiten Ausbauzahlen der Photovoltaik. Am Jahresende werden in Deutschland voraussichtlich Solarstromanlagen mit einer Nennleistung von mehr als 14.000 Megawatt neu installiert sein.

Damit allein kann etwa die Hälfte des Stroms produziert werden, der durch die Stilllegung der letzten drei Atomkraftwerke weggefallen ist. Sollte der Photovoltaik-Ausbau so weitergehen, werden wir wahrscheinlich im Herbst 2025 diese drei AKWs in Bezug auf die erzeugte Energiemenge komplett ersetzt haben – nur durch den Zuwachs im Solarstrombereich.

Rechnet man die neu installierte Windkraft dazu, rückt dieser Zeitpunkt noch weiter nach vorne. Erstmals seit 2017 wird der Ausbau der Windkraft die 3.000-Megawatt-Schwelle überschreiten. Die heutigen Anlagen haben deutlich größere Nabenhöhen und Rotordurchmesser in Bezug auf die Nennleistung einer Turbine. Allein dieser Zubau produziert etwa die gleiche Strommenge wie ein Atomkraftwerk.

Trotzdem auf Atomenergie zu setzen, wie gerade mal wieder von einigen gefordert wird – siehe den Entwurf für das neue CDU-Grundsatzprogramm –, hilft nicht weiter.

Photovoltaik und Windenergie sind bereits jetzt konkurrenzlos günstig. In der Kombination aus Wind- und Solarstrom plus Speicher kostet es global betrachtet etwa vier Cent, eine Kilowattstunde Strom zu liefern.

Demgegenüber steigen die Kosten für Atomkraftwerke kontinuierlich, bei im Bau befindlichen wie bei geplanten um das Vier- bis Zehnfache. Beispiele gibt es hier zuhauf. So haben sich die Kosten für das sich immer noch nicht fertige französische Atomkraftwerk in Flamanville von ursprünglich drei Milliarden Euro auf rund 20 Milliarden erhöht. Das AKW Olkiluoto in Finnland kostete nach 18 Jahren Bauzeit elf Milliarden Euro statt geplanter drei Milliarden.

Unerfüllbares Klimaschutzversprechen

Und beim AKW Hinkley Point C in Großbritannien ist das chinesische Partnerunternehmen aufgrund der explodierenden Baukosten gerade ausgestiegen. Die voraussichtlich 33 Milliarden Euro werden das französische Staatsunternehmen EDF und die britischen Stromkund:innen nun allein tragen müssen. Der staatlich garantierte Strompreis wird derzeit auf mindestens 15 Cent pro Kilowattstunde inklusive Inflationsausgleich geschätzt. Das ist fast viermal so viel wie eine erneuerbare Lösung.

Und selbst der Traum von den kleinen modularen Atomkraftwerken platzt gerade. Atomkraftwerke können also nur mit extrem hohen staatlichen Subventionen beziehungsweise Garantien gebaut werden.

Aufgrund der sehr guten Lobbyarbeit der Atomindustrie beim Klimagipfel in Dubai haben 22 Staaten dort eine Erklärung veröffentlicht, ihre AKW-Kapazitäten bis 2050 zu verdreifachen. Wie das gehen soll, bleibt ein Rätsel.

Seit Ende der 1980er Jahre ist die Anzahl der AKWs mehr oder minder konstant geblieben und seit 2010 leicht zurückgegangen. Da Planung und Bau von diesen Kraftwerken locker 20 bis 30 Jahre dauern können, ist das Zieljahr nicht mehr zu schaffen. Damit kommt Atomkraft als wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahme viel zu spät.

Auf der anderen Seite werden gerade weltweit jede Woche Solarmodule installiert, die in etwa die gleiche Strommenge wie ein Atomkraftwerk erzeugen. Vor 20 Jahren dauerte das noch ein Jahr. Und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende angelangt. In wenigen Jahren wird jeden Tag so viel Photovoltaik hinzukommen.

 

Die Verdreifachung der installierten Leistung der erneuerbaren Energien bis 2030, zu der sich 120 Staaten in Dubai verpflichtet haben, ist allein aufgrund des rasanten Solar-Ausbaus locker erreichbar. Ebenso wird sich die Installation von Windkraftanlagen weltweit exponentiell weiterentwickeln, was eine schnelle Abkehr von den fossilen Brennstoffen möglich macht.

Das sind immerhin gute Aussichten in trüben Zeiten. Auch wenn wir uns in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern noch in einer sehr komfortablen Situation befinden, dürfen wir vor den Krisen um uns herum nicht die Augen verschließen. Wir müssen als Staat, Gesellschaft und Individuen unserer privilegierten Stellung gerecht werden und den notwendigen Wandel unterstützen, befähigen, finanzieren, wie wir jeweils können.