Vor vier Jahrzehnten sollte der "Growian" mit der damals ungeheuren Nennleistung von drei Megawatt den Durchbruch für die Windkraft bringen. Die "Große Windenenergie-Anlage" ging 1983 im Kaiser-Wilhelm-Koog bei Brunsbüttel an der Nordsee in Betrieb, finanziert zu einem großen Teil vom Bundesforschungsministerium.
Doch das Projekt floppte. Der Growian lief nie mit voller Kraft, es gab unlösbare Probleme mit Konstruktion und Werkstoffen. Die Anlage mit einem 96 Meter hohen Turm und zwei 50 Meter langen Flügeln wurde nach vier Jahren stillgelegt.
Inzwischen ist das Geschichte. Die kommerziellen Windräder von Herstellern wie Vestas, Nordex oder Siemens Gamesa haben die Drei-Megawatt-Grenze längst überschritten. Dieser Tage geht nun die weltgrößte Anlage in den Probebetrieb – mit 15 Megawatt Nennleistung, also dem Fünffachen von Growian.
Gebaut hat die 15-Megawatt-Turbine vom Typ V236 der dänische Weltmarktführer Vestas. Der Prototyp, der am unternehmenseigenen Teststandort Østerild an der Nordseeküste in Westjütland steht, hat eine Rotorblattlänge von 115,5 Metern und einen Rotordurchmesser von 236 Metern.
Der Konzern gibt den Energieertrag der Anlagen mit etwa 80 Millionen Kilowattstunden pro Jahr an. Das heißt: Ein einziges dieser Windräder reicht rechnerisch aus, um etwa 20.000 Durchschnittshaushalte mit Strom zu versorgen. Nach Angaben von Vestas funktioniert die V236 auch bei schwächeren Windverhältnissen gut, was zu einer stabileren Energieerzeugung führt.
Wettbewerb um die Spitze
Die Vestas-Megaanlage ist für die Nutzung in Offshore-Windparks konzipiert, ebenso wie die Modelle der Konkurrenten, die sich mit dem dänischen Hersteller in letzter Zeit einen Wettbewerb um die Spitzenleistung liefern.
Das Unternehmen GE Renewable Energy, Tochter des US-Konzerns General Electric, hatte sich 2021 mit einem 14-Megawatt-Prototyp an die Spitze gesetzt, gebaut nahe der niederländischen Hafenstadt Rotterdam. Er bekam inzwischen sogar ein Typenzertifikat für den Betrieb bis 14,7 Megawatt, also nur wenig unter dem Vestas-Modell.
Auch der deutsch-spanische Hersteller Siemens Gamesa ist inzwischen in diese Leistungsklasse vorgestoßen, seine Großanlage ist ebenfalls auf eine Nennleistung von 14 Megawatt ausgelegt, soll aber unter guten Bedingungen auch 15 Megawatt "ernten" können. Die Inbetriebnahme des ersten Prototyps sollte in diesen Tagen erfolgen.
Meldungen über noch größere Windriesen fürs Meer kommen aus China. Hier haben zwei Hersteller die Inbetriebnahme von Anlagen mit 16,6 und 16,7 Megawatt angekündigt. Angeblich entwickelt einer von ihnen sogar eine Serie mit 18 Megawatt, wobei der Rotordurchmesser dann 260 Meter betragen soll – also noch einmal fast 25 Meter mehr als beim Vestas-Prototyp.
Zum Vergleich: Die weltweit ersten Offshore-Anlagen, die 1991 in der Ostsee vor Dänemarks Küste gebaut wurden, kamen nur auf eine installierte Leistung von knapp einem halben Megawatt.
Längere Rotoren auch an Land
Der Trend zu immer größeren Windkraftanlagen ist also ungebrochen, nicht nur für Offshore-Windparks, sondern auch an Land. Beispiel Deutschland: Anfang des letzten Jahrzehnts hatten neu installierte Onshore-Windräder hier im Schnitt eine Leistung von gut zwei Megawatt. Heute werden zum Teil Anlagen mit sechs und mehr Megawatt aufgestellt – also dem Doppelten des Growian-Standards.
So hatte unlängst eine der derzeit leistungsstärksten Onshore-Anlagen der Welt ihre Deutschland-Premiere. Zwei Windräder von Siemens Gamesa à 6,6 Megawatt wurden im November in der Wilstermarsch in Schleswig-Holstein in Betrieb genommen. Ihre Stromproduktion übertrifft alles, was hier bislang installiert wurde.
Das Vorgängermodell hatte nur vier Megawatt. Der Leistungszuwachs lasse sich vor allem durch die größeren Rotoren erklären. "Je größer der Rotor ist, desto mehr Wind kann die Anlage einfangen", erläuterte Unternehmenssprecher Marco Lange. Ein Typen-Upgrade mit sieben Megawatt Nennleistung hat die Siemens-Energy-Tochter kürzlich vorgestellt.
Ob mit 18 Megawatt auf See und sieben Megawatt an Land die Grenzen erreicht sind, ist unklar. Anfang des Jahrhunderts, als sich die Windkraft-Technologie breit etablierte, gingen Ingenieure in der Branche noch davon aus, bei etwa fünf Megawatt sei Schluss – wegen vermuteter Grenzen der Materialtechnik und beim Transport der langen Rotorblätter.
Doch alle Prognosen seither waren falsch, die "Maximalleistung" wurde immer wieder überschritten. Trotzdem sind die technischen Herausforderungen bei weiterer Leistungserhöhung offensichtlich. Die in den Werkstoffen wirkenden Kräfte wachsen mit steigender Leistung überproportional und damit auch die Anforderungen an die Konstruktion.
So steigt die notwendige Masse der Rotorblätter mit einer Potenz von etwa 2,5 mit der Länge. Das heißt, macht man die Blätter nur um zehn Prozent länger, steigt die Masse gleich um ein Viertel. Die Materialmenge, die pro Megawatt nötig ist, nimmt unweigerlich zu, und damit auch die Masse der Anlage. Auch die Anforderungen an die Fertigung steigen, je größer die Windräder werden.
Kosten für Windstrom fallen weiter
Bisher jedenfalls geht die Rechnung auf. Obwohl die größeren Anlagen teurer sind, produzieren sie die Kilowattstunde Strom dank der höheren Leistung billiger als die jeweiligen Vorgängermodelle.
Windstrom von Land-Anlagen zum Beispiel kann heute in Deutschland an günstigen Standorten für vier Cent pro Kilowattstunde produziert werden, im Jahr 2000 waren es noch umgerechnet neun Cent. Auch Offshore-Strom ist deutlich günstiger geworden, es gibt ihn ab sieben Cent, 2010 lag die Einspeisevergütung noch bei 19 Cent.
Fachleute rechnen damit, dass die Kosten weiter rapide fallen werden. Sie erwarten, dass sie bis 2035 um 17 bis 35 Prozent und bis 2050 um 37 bis 49 Prozent niedriger liegen, wie eine weltweite Befragung von 140 Windkraftexperten 2021 ergab.
Tatsächlich nimmt der Ausbau der Windkraft weltweit stark an Fahrt auf. Zum Beispiel wuchs 2021 die durch Wind erzeugte Strommenge laut der Internationalen Energieagentur IEA um rund 17 Prozent, fast die Hälfte stärker als im Vorjahr. Haupttreiber waren China und die USA, während der Zubau in Deutschland sehr niedrig war.
Laut IEA ist freilich noch ein deutlich schnelleres Wachstum erforderlich, um den Stromsektor bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen. An der Technik liegt es, anders als beim Growian vor 40 Jahren, nicht mehr.