Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, letzte Woche hat ein Blackout weite Teile Spaniens und Portugals vorübergehend lahmgelegt. Ob nun ein Cyberangriff, ein Wetterphänomen oder die Erneuerbaren schuld an dem Stromausfall waren, wird heiß diskutiert.

Auch Sie haben keine Glaskugel, dennoch die Frage: Machen erneuerbare Energien Stromsysteme anfälliger für Blackouts?

Claudia Kemfert: Steigende Anteile erneuerbarer Energien führen zwar zu mehr Schwankungen im Netz, aber nicht automatisch zu Blackouts. Wichtig ist, dass das System auf Flexibilität ausgerichtet wird und ausreichende Erzeugungskapazitäten samt Speichern zur Verfügung stehen.

Ein so großflächiger, langanhaltender Blackout wie in Spanien ist in Deutschland extrem unwahrscheinlich. Das deutsche Stromnetz ist redundant ausgelegt: Fällt eine Leitung aus, springt eine andere ein.

Deutschland hat eines der sichersten Netze Europas und im Unterschied zu Spanien den Vorteil, dass wir uns mitten im europäischen Verbund befinden. Ende dieses Jahres werden die Übertragungsnetze bis zu 70 Prozent ihrer grenzüberschreitenden Interkonnektoren-Kapazität für den Stromhandel zur Verfügung stellen. Das sind dann insgesamt bis zu 30.000 Megawatt.

In einem ähnlichen Fall wie in Spanien könnte in Deutschland somit der europäische Verbund aushelfen und so zur Stabilität des Netzes führen. Insgesamt ist das europäische Netz sehr robust und sehr stabil.

Auch Programmierfehler könnten ein Grund für den Blackout sein. Ob ein Großteil der Anlagen abgeschaltet wurde, weil die Programmierung der Wechselrichter bei einer Frequenz von etwas über 50 Hertz zur Abschaltung zwingt, wie derzeit spekuliert wird, muss jedenfalls herausgefunden werden.

Die größte Gefahr resultiert ohnehin nicht aus der schwankenden Erzeugung der Erneuerbaren, sondern aus Cyberangriffen oder Sabotage. Schon mehrfach warnten jedenfalls Behörden davor, dass Anlagen und Infrastruktur angegriffen und lahmgelegt werden können.

Windenergieanlagen wurden in Deutschland schon einmal durch Hackerangriffe ausgeschaltet, auch Software der Anlagensteuerungen von Solar-, Speicher- und Netzinfrastrukturen kann betroffen sein. Kritische Infrastrukturen stehen vermehrt im Fokus von Cyberattacken.

Daher sind Vorbereitungen und Gefahrenabwehr unerlässlich. Nicht die Energiewende an sich ist ein Sicherheitsrisiko, wohl aber nicht wohlgesonnene geopolitische Interessen von außen.

Mit Katherina Reiche will der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz die Chefin der Eon-Tochter Westenergie an die Spitze des Wirtschaftsministeriums berufen. Eine gute Wahl oder drohen Interessenkonflikte?

Die Initiative Lobbycontrol weist zu Recht darauf hin, dass es Interessenkonflikte geben kann, da im Ministeramt Entscheidungen getroffen werden, die vorangegangene Arbeitgeber betreffen können. Grundsätzlich ist Wirtschaftskompetenz nicht schlecht. Ehemalige Unternehmenslenker können in der Politik gestalten. Dennoch wäre eine Karenzzeit von mindestens einem halben Jahr nötig gewesen.

Man darf daran erinnern, wie groß die Kritik an der Ampel-Regierung, besonders an der Personalie Patrick Graichen war, der vom Thinktank Agora Energiewende als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium wechselte.

Wichtig für einen Minister oder eine Ministerin ist die nötige kritische Distanz zur Energiewirtschaft. Zumindest wäre volle Transparenz wichtig, eventuelle Unternehmensanteile müssten verkauft werden.

Problematisch ist vor allem, dass mit der schwarz-roten Koalition das Wirtschaftsministerium stark zerfleddert wird. Es erleidet einen starken Bedeutungsverlust, da wichtige Bereiche wie Digitalisierung, Klimaschutz und Staatsmodernisierung abwandern.

Es wäre sinnvoll gewesen, vor allem den Klimaschutz beim Wirtschaftsministerium zu lassen, da die Transformation der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität eine zentrale Aufgabe ist. Es geht um den Umbau der Energieversorgung von fossilen Energieträgern – Kohle, Öl, Gas – zu erneuerbaren, vor allem Wind und Sonne.

Die Probleme der deutschen Wirtschaft kommen vor allem von der verschleppten Energiewende und der Ausrichtung auf russisches Gas – und nicht vom Klimaschutz, wie nun oftmals behauptet wird.

Die Transformation und Modernisierung der Wirtschaft hin zu mehr Energiesparen, Digitalisierung und erneuerbaren Energien ist der Weg aus der Krise. Ich denke, das weiß die neue Wirtschaftsministerin auch – ob sie es mit dem Rumpfministerium auch in die Tat umsetzen kann, ist doch sehr fraglich.

Das neue Bundeskabinett hält weitere Überraschungen parat. Die bundespolitisch blassen Unionspolitiker Patrick Schnieder (CDU) und Alois Rainer (CSU) besetzen als Verkehrs- und Landwirtschaftsminister klimapolitisch wichtige Ämter. Die neue Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) sägte in Talkshows schon am deutschen Klimaziel herum. An den Personalien ertönt von Grünen, Linken und Umweltverbänden heftige Kritik. Ist es dafür nicht noch etwas zu früh?

Opposition muss ja qua Amt kritisieren, und in puncto Klimaschutz tut sie das nicht zu Unrecht.

Unabhängig von einzelnen Personen im Amt ist doch auffällig, welch geringen Stellenwert Klimaschutz insgesamt in der neuen Regierung hat. Das ist an vielen Punkten ablesbar, nicht zuletzt an den unzureichenden Maßnahmen im Koalitionsvertrag. Die Klimaziele drohen so verfehlt zu werden. Das wird im Übrigen in Teilen der Regierungsparteien selbst kritisiert wie der Klima-Union oder der Gruppe Klima Gerecht in der SPD.

Auch zeigen die Zuschnitte der neuen Ministerien deutlich, dass Klimaschutz keine Priorität hat. Maßgeblich verantwortlich werden hier die Ministerien für Umwelt und für Entwicklung sein. Alte Grabenkämpfe zwischen den Häusern sind so programmiert.

Im Verkehrsministerium müssen wichtige Maßnahmen zur Stärkung der Bahn und für Elektromobilität angeschoben werden. Statt Technologieoffenheit brauchen wir eher Technologieklarheit. Nur wenn klar ist, dass ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden, wird die Autobranche gezielt in E‑Mobilität und moderne Mobilitätslösungen wie Carsharing investieren.

Und alle wissen, dass die industrielle Fleischproduktion klimaschädlich ist. Der scheidende Agrarminister hatte sich zu Recht dafür ausgesprochen, mehr Kostenwahrheit bei Fleisch und Gemüse walten zu lassen. Das scheint nun vom Tisch zu sein. Das ist bedauerlich, da weniger Fleischkonsum der Gesundheit und dem Klima guttut.

Die fortgesetzten Angriffe der Trump-Administration auf die Wissenschaft, nicht zuletzt die Klimawissenschaft, machen Betroffene und Expert:innen fassungslos. Was geht da gerade alles kaputt? Leidet die Klimaforschung auch außerhalb der USA darunter?

Was Trump macht, ist eine absolute Katastrophe für die Wissenschaft, für die Demokratie, ja, für alles. Nicht nur die Klimawissenschaft leidet, sondern auch die Gesundheitswissenschaften und alle anderen Wissenschaften.

Die US-amerikanische Wissenschaft ist weltweit führend und international vernetzt. Auch internationale Forschungsprojekte brechen ein, im Übrigen auch zur Coronaforschung.

Zu Recht wehren sich viele Universitäten und Forschungseinrichtungen in den USA. Sie brauchen Unterstützung und Rückendeckung aus der ganzen Welt. Wir sollten nicht nur versuchen, kluge Wissenschaftler:innen abzuwerben, sondern ihnen die volle Solidarität garantieren und uns gegen diese Maßnahmen auflehnen.

Die Wissenschaft insgesamt muss laut werden, weltweit. Es ist Zeit für einen globalen "March of Science".

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überraschend oder besser gesagt schockierend ist, dass der Erdüberlastungstag für Deutschland in diesem Jahr schon am 3. Mai war. Wir leben weit über unsere Verhältnisse. Rechnerisch hat Deutschland die ihm zustehenden Ressourcen der Erde für dieses Jahr schon aufgebraucht.

Würden alle Menschen so viele natürliche Rohstoffe verbrauchen und CO2 ausstoßen wie hierzulande, bräuchten wir fast drei Erden. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir uns um sage und schreibe einen Tag verbessert. Nach wie vor ist der Rohstoffverbrauch viel zu hoch und noch immer gibt es zu wenig Kreislaufwirtschaft, zu viel Tierhaltung, zu viel Bodenversiegelung. Es gibt zu viel Verschwendung und Verschmutzung, wir rauben unsere Lebensgrundlagen aus.

Dabei zeigt sich eine soziale Ungerechtigkeit sehr deutlich: Einkommensschwache Haushalte tragen nur zu einem sehr geringen Umfang zu dieser Entwicklung bei.

Nur eine Wirtschaft, die nicht verschwendet und die Umwelt zerstört, ist zukunftsfähig. Wir sollten die Hoffnung haben, dass die kommende Regierung das im Blick hat.

Fragen: David Zauner