Ein Mitarbeiter sitzt vor einer Reihe Bildschirmen und einer riesigen Wand mit einer umfangreichen Stromnetz-Darstellung als Leuchtgrafik.
Kontrollzentrum des nordostdeutschen Netzbetreibers 50 Hertz: Das Stromnetz wird ständig überwacht. (Foto: Jan Pauls/​50 Hertz)

Kneipen und viele Geschäfte sind geschlossen, Restaurants dürfen das Essen nur noch liefern: Als Reaktion auf die Corona-Pandemie reduzierten die Bundesregierung und die Länder Mitte März in Deutschland das öffentliche Leben auf ein Minimum. Erreicht werden soll damit, dass möglichst viele Menschen möglichst oft zu Hause bleiben, sodass die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden kann.

Einige Wochen ohne Dienstleister wie Friseure, Cafés oder Fitnessstudios sind für deren Kunden zu verkraften – auch wenn es bei den betroffenen Unternehmen oft anders aussieht. Für längere Zeit auf Wasser oder Strom zu verzichten, wäre dagegen kaum machbar. Wie gehen also Energieversorger mit der Krise um?

Die grundsätzliche Botschaft aller Beteiligten lautet: Sorgen über einen möglichen flächendeckenden Stromausfall sind derzeit unbegründet, die sogenannte kritische Infrastruktur ist ausreichend geschützt.

Der Begriff kritische Infrastruktur (Kritis) bezeichnet Organisationen und Einrichtungen mit zentraler Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.

Neben Naturkatastrophen oder Terrorangriffen stehen auch schwere Seuchen auf der Liste der Gefahren, die diese Systeme bedrohen können. Momentan sei das aber nicht zu erwarten, teilt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mit: "Hinweise dafür, dass die Energieversorgung in Deutschland durch die Pandemie beeinträchtigt werden könnte, gibt es bisher nicht."

Die Energiewirtschaft berücksichtige sämtliche Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, zahlreiche Maßnahmen dienten dem Schutz vor einer Verbreitung des Virus in den Unternehmen. Für den Fall, dass zunehmend Personal ausfalle, stünden geeignete Pläne bereit, so das Ministerium.

Kriterien sind Ländersache

Die Bundesnetzagentur betont, dass sie "die Situation sehr ernst" nehme. Zu den Übertragungsnetzen sagt der Leiter der Pressestelle, Fiete Wulff: "Wir stehen in Kontakt zur Energiewirtschaft und lassen uns über die Lage und über Vorsorgemaßnahmen informieren. Nach unserer Einschätzung sind die Netzbetreiber bestmöglich auf mögliche Fälle vorbereitet."

Bei den Unternehmen seien alle erforderlichen Schritte eingeleitet worden, "um Risiken zu minimieren und auf Verdachtsfälle oder bestätigte Fälle unter ihren Beschäftigten reagieren zu können".

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat Mitte März als Ergänzung zum "Handbuch Betriebliche Pandemieplanung" aktualisierte Empfehlungen zum Schutz der Beschäftigten für Unternehmen, besonders für Betreiber kritischer Infrastrukturen, ausgegeben. Darin werden frühzeitige Quarantänemaßnahmen, Stellvertretungsregelungen, ein betriebsinterner Fahrdienst und alternative Arbeitsformen wie Homeoffice oder Schichtdienst empfohlen.

Bei Anordnungen wie der Einrichtung von Gebieten mit begrenztem Zutritt gelten häufig Sonderregelungen für die Kritis-Betreiber. Welche Unternehmen dazugehören, richtet sich nach den Kriterien der Landesbehörden, eine "Generalklausel" des Bundes existiert nicht. Daher empfiehlt das BBK unter anderem, frühzeitig Kontakt mit den zuständigen Behörden wie Gesundheitsämtern zu suchen.

Für Details der Vorsorgemaßnahmen im Stromsektor verweist die Bundesnetzagentur auf die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, Amprion, Transnet BW und Tennet.

Geheimhaltung bei Netzbetreibern

Die Netzbetreiber wiederum haben sich gemeinsam zur Geheimhaltung verpflichtet. Zu konkreten Fragen, wie weit automatisiert die Abläufe sind, wie viel Personal es in den Leitwarten braucht und wie genau die Mitarbeiter geschützt werden, wollen sie sich unter Verweis auf Sicherheitsgründe nicht äußern.

"Das ist ein sicherheitsrelevanter Bereich und es ist niemandem damit geholfen, wenn wir an dieser Stelle zu viel Transparenz zeigen", sagt 50-Hertz-Sprecher Volker Gustedt. "Wir haben entsprechende Vorkehrungen getroffen, um die Mitarbeitenden vor möglichen Ansteckungen zu schützen und den Systembetrieb rund um die Uhr gewährleisten zu können."

Eine mögliche Sorge ist, dass durch die Ausbreitung des Virus und die dadurch gebotenen strengen Quarantäne-Maßnahmen sowie eingeschränkte Mobilität zu wenig Personal bereitstehen könnte, um den Betrieb wie gewohnt aufrechtzuerhalten.

Im Berliner Bürogebäude, in dem die Verwaltung von 50 Hertz untergebracht ist, wurde Mitte März eine Corona-Infektion bekannt. Der Mitarbeiter befinde sich in häuslicher Quarantäne, bei seinen direkten Kolleginnen und Kollegen sei mobiles Arbeiten von zu Hause aus angeordnet worden, erklärt das Unternehmen.

Die Kundencenter der Netzbetreiber wurden bereits früh geschlossen, Besucher nicht mehr zugelassen. Dienstreisen und alle öffentlichen Veranstaltungen sind längst abgesagt.

Auch beim westdeutschen Netzbetreiber Amprion mussten Beschäftigte, die in Risikogebieten im Urlaub waren oder Krankheitssymptome verspürten, bereits seit Ende Februar zu Hause bleiben. "Der Schutz unserer Mitarbeiter hat Priorität, und das Übertragungsnetz und die Stromversorgung sind momentan nicht gefährdet, die Zuständigen für die Leitwarten sind besonders angewiesen", sagt Amprion-Sprecher Andreas Preuß.

Für betriebsnotwendige Tätigkeiten gebe es eigene Notfallpläne. Berichten zufolge könnte sich schlimmstenfalls das Personal der Netzleitstelle und anderer systemrelevanter Bereiche wochenlang einbunkern und abgeschottet, aber autark den Netzbetrieb sicherstellen.

Energielieferung auch im Worst Case

Deutschland hat sich in den letzten Jahren auf den Fall verschiedener Katastrophen vorbereitet. Seit Vogelgrippe, Schweinegrippe und Sars betrifft das auch Pandemien.

Es gibt Notfallpläne, die Zuständigkeiten und konkrete Maßnahmen regeln. Sie orientieren sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, des BBK und des Robert-Koch-Instituts. Das Innenministerium verweist auf den Nationalen Pandemieplan vom März 2017, der regelmäßig aktualisiert werde.

Zudem werden die verschiedenen Ernstfälle immer wieder durchgespielt. Im Jahr 2007 etwa simulierten 3.000 Experten in sieben Bundesländern zwei Tage lang, welche Auswirkungen der Ausbruch einer weltweiten Influenza-Welle hätte.

Die Folgen einer Pandemie wurden einige Jahre später auch im "Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012" analysiert.

Das darin ausgeführte fiktive Szenario "Pandemie durch Virus Modi-Sars" erarbeiteten das Robert-Koch-Institut und mehrere Bundesämter. Sie beschrieben eine von Asien ausgehende weltweite, rasche Verbreitung eines neuartigen Erregers auf Basis des Sars-Virus von 2003.

Die Analyse beschrieb ein Worst-Case-Szenario. Die für möglich erachtete Sterblichkeitsrate lag darin viel höher und ist nicht mit der aktuellen Corona-Situation vergleichbar. Dennoch kam die Analyse beim Energiesektor auch unter diesen Umständen zu dem Schluss, die Versorgung könne "grundsätzlich aufrechterhalten werden".

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