Erdgas-Fernleitung der Ruhr Oel GmbH zu den Gasometern der Kokerei Prosper in der Welheimer Mark in Bottrop.
Wie viele Gasleitungen braucht es in einer klimaneutralen Zukunft? Die Vorstellungen darüber gehen auseinander. (Foto: Frank Vincentz/​Wikimedia Commons)

Rund 500.000 Kilometer Erdgasleitungen gibt es in Deutschland. Darum, was mit diesen Leitungen passiert, wenn das Land klimaneutral wird, ist ein Streit entbrannt. Die Gasnetzbetreiber hoffen, das Netz mittelfristig auf grüne Gase wie Wasserstoff umstellen zu können. Doch vor allem bei den Gasverteilnetzen zu den Endverbrauchern gibt es Zweifel, ob diese überhaupt noch benötigt werden.

Fossiles Erdgas wird als Rohstoff in der Industrie, zur Stromerzeugung und zur Wärmegewinnung genutzt. Eines ist aber klar: In einer klimaneutralen Zukunft kann kein fossiles Gas mehr verbrannt werden.

Bei der Verbrennung entsteht zwar weniger Kohlendioxid als bei Kohle oder Öl, doch die Emissionen sind immer noch erheblich. Dazu kommen Methanemissionen bei der Förderung oder durch Lecks. Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, ist selbst ein hochaktives Treibhausgas.

Der Lobbyverband der Branche, "Zukunft Erdgas", hat sich im vergangenen Jahr umbenannt und heißt nun "Zukunft Gas". Signalisiert werden soll: Die Branche will weiterhin Gas verkaufen, aber in Zukunft sollen es grüne Gase sein. Gemeint ist damit in erster Linie klimafreundlich produzierter Wasserstoff. Dazu kommen in geringerer Menge Methan aus Biogas und synthetisch hergestelltes Methan.

"Die Erdgaskunden von heute sind die Wasserstoffkunden von morgen", sagte kürzlich Gerald Linke vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) in einer Bundestagsanhörung, in der es um die künftige Regulierung von Wasserstoffnetzen ging.

Doch die Vorstellungen von Verbänden wie Zukunft Gas und DVGW sind nicht unumstritten. Ihnen gegenüber stehen viele Fachleute, die Wasserstoff eher nur dort einsetzen wollen, wo es wenige oder keine klimaneutralen Alternativen zum Wasserstoff gibt, beispielsweise in der Stahl- und Chemieindustrie.

Wärmepumpe oder Wasserstoffheizung?

Die Energieökonomin Claudia Kemfert hat hierfür den Begriff vom Wasserstoff als "Champagner der Energiewende" geprägt. Wenn mithilfe von Strom Wasserstoff hergestellt wird, entstehen immer Umwandlungsverluste. Effizienter ist es daher, wo immer das möglich ist, Strom direkt einzusetzen. Der Wasserstoff, der auf absehbare Zeit nur in begrenzten Mengen verfügbar ist, soll den Branchen vorbehalten bleiben, in denen es keine effizienteren Optionen gibt.

Für die Gasbranche und besonders für die Gasnetzbetreiber steht bei dieser Diskussion viel auf dem Spiel. Sie wollen ihre Netze auch in Zukunft nutzen und bezeichnen sie als wichtigen Teil der Energiewende. Eine große Rolle spielt dabei die Frage, ob künftig mit Wasserstoff geheizt werden soll.

Gasnetze können mit einigem technischen Aufwand zu Wasserstoffnetzen umgerüstet werden. Dass das an manchen Stellen wie eben Stahl und Chemie sinnvoll ist, ist weitgehend unstrittig. Kontrovers ist, wo Wasserstoffnetze darüber hinaus gebraucht werden.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Wärmewende. Bisher stammt über die Hälfte der Heizenergie in Deutschland aus fossilem Erdgas. Die Umstellung in Richtung erneuerbare Energien verläuft schleppend und muss sich deutlich beschleunigen, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.

Viele Prognosen rechnen damit, dass die Gaskessel durch eine Mischung aus Wärmepumpen und Wärmenetzen ersetzt werden. Beispielsweise geht das Szenario "Klimaneutrales Deutschland 2045" der Stiftung Klimaneutralität und der Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende davon aus, dass Wasserstoff nicht direkt in Heizungen eingesetzt wird. Lediglich in Wärmenetzen sieht dieses Szenario eine gewisse Nutzung von Wasserstoff vor.

In eine ähnliche Richtung geht ein kürzlich vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft vorgelegtes Szenario, in dem Wasserstoffheizungen ebenfalls keine Rolle spielen.

Eon-Geheimstudie sorgt für Verwunderung

Für die elektrischen Wärmepumpen spricht ihre hohe Effizienz. Eine Wärmepumpe kann ein Mehrfaches der Energie bereitstellen, die an Strom verbraucht wird. Dieses Kunststück widerspricht nur scheinbar der Physik, denn Wärmepumpen kühlen die Umgebung ab – entweder die Außenluft oder den Erdboden.

Das Szenario von Agora und Stiftung Klimaneutralität geht davon aus, dass sich mit Wärmepumpen insgesamt sogar Strom einsparen lässt. Dafür sorgen besser gedämmte Gebäude und das Ersetzen ineffizienter alter Elektroheizungen und Nachtspeicheröfen.

Die Umstellung auf Wärmepumpen ist nicht ohne Herausforderungen. Wärme wird vor allem im kalten Winter gebraucht, was häufig die Zeit ist, in der Solaranlagen wenig Strom liefern. Zudem werden Luft-Wärmepumpen ineffizienter, wenn die Außenluft kalt ist – ebenfalls eine Herausforderung für den Winter.

Sowohl die Stromnetze als auch die Stromerzeugung müssen in der Lage sein, solche Extremsituationen abzufangen. Hier könnte Wasserstoff wieder eine Rolle spielen. Allerdings nicht als Heizenergie, sondern als saisonaler Stromspeicher, der im kalten Winter bei Stromknappheit in Spitzenlastkraftwerken zu Strom umgewandelt wird.

Die Gasindustrie sieht diese Herausforderungen als so groß an, dass sie Wasserstoff trotz seiner schlechten Effizienz für die günstigere Alternative hält. Der Konzern Eon hatte etwa zuletzt gemeinsam mit den Stadtwerken Essen eine Studie vorgelegt, wonach Wasserstoffheizungen gerade für einkommensschwache Haushalte günstiger sind.

Viele Fachleute zeigten sich verwundert über dieses Resultat, doch nachprüfen ließ es sich nicht. Eon veröffentlichte nur eine Pressemitteilung und eine Kurzzusammenfassung, die Studie selbst blieb geheim – aus "Datenschutzgründen", wie der Konzern erklärte.

Andere Studien kommen zu konträren Ergebnissen. Beispielsweise hat die Umweltorganisation ICCT im Frühjahr eine Untersuchung veröffentlicht, wonach Wärmepumpen deutlich günstiger sind als verschiedene Wasserstoff-basierte Heizungslösungen.

Branche will Entwertung der Netze verhindern

Wenn sich am Ende Wärmepumpen und Wärmenetze durchsetzen, hat das unweigerlich zur Folge, dass ein großer Teil der Gasverteilnetze überflüssig wird. Denn wenn Haushalte ihre Wärme entweder aus Fern- und Nahwärmenetzen oder mithilfe von Wärmepumpen gewinnen, benötigen sie keinen Gasanschluss mehr. Auch Gasherde dürften mittelfristig durch Induktionskochplatten ersetzt werden.

Die Gasbranche und Lobbyverbände wie der DVGW machen keinen Hehl daraus, dass es ihnen bei der Umstellung der Gasnetze auf Wasserstoff darum geht, ihre eigenen Investitionen zu sichern. Immer wieder warnen die Verbände, dass man eine Entwertung der Netze verhindern müsse.

Doch soll man die Gasnetze allein deshalb erhalten, weil viele – häufig kommunale – Unternehmen solche Netze besitzen und sie bereits vorhanden sind? Für einigen Wirbel in der Branche sorgten hier kürzlich Äußerungen des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann.

Auf einer Konferenz der Anwaltskanzlei Becker Büttner Held machte Homann deutlich, dass er der Nutzung von Wasserstoff im Wärmemarkt extrem skeptisch gegenübersteht: "Ich habe große Zweifel, ob der Wasserstoff im Wärmemarkt wirklich eine Zukunft hat. Vielleicht in Blockheizkraftwerken, vielleicht in Quartierslösungen, aber nicht im einzelnen privaten Haushalt."

Homann sagte, er sehe es nicht als Aufgabe der Bundesnetzagentur an, das Gasnetz um jeden Preis in seiner heutigen Größe zu erhalten. "Müssen wir uns an eine Infrastruktur deswegen klammern, weil sie schon da ist? Wir haben ja auch mal ein flächendeckendes Netz von Telegrafenmasten gehabt in Deutschland, und wäre denn ein Festhalten daran sinnvoll gewesen, nur weil die Leitungen schon da sind? Ich glaube nicht."

Stadtwerke bald ohne Gasnetz-Einnahmen?

Vieles deutet darauf hin, dass die Gasverteilnetze in Zukunft viel kleiner und viele Gasleitungen überflüssig werden. Doch auf eine solche Perspektive ist kaum jemand vorbereitet. Selbst in neuen Wohngebieten werden teilweise Erdgasnetze verlegt.

Gasnetzbetreiber sind in vielen Fällen kommunale Unternehmen wie beispielsweise Stadtwerke. Wenn deren Investitionen entwertet werden, kann das für einige Unternehmen schnell existenzbedrohend werden. Gerade Kommunen sollten sich vermutlich frühzeitig darauf einstellen, dass die Gasnetze nicht als langfristige Einnahmequelle eingeplant werden können.

Wenn sich in Wohngebieten immer mehr Haushalte vom Gasnetz abkoppeln, könnte es zu einem Kaskadeneffekt kommen. Je weniger Gebäude am Gasnetz hängen, desto höher werden die Kosten für den Weiterbetrieb des Netzes. Für die übrigen Netzkunden steigt der Anreiz, sich ebenfalls vom Netz abzukoppeln.

Aus Sicht des Klimaschutzes ist eine solche Entwicklung sogar positiv, sie beschleunigt die Umstellung weg vom fossilen Erdgas. Doch sozial birgt es Sprengstoff, wenn die letzten am Gasnetz hängenden Häuser solche mit schlecht sanierten Mietwohnungen und alten Heizungen sind.

Der Druck beim Klimaschutz wird absehbar größer werden. Es wird wohl Zeit darüber zu reden, ob Gasverteilnetze kontrolliert zurückgebaut werden sollten.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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