Immer im September findet der "Park(ing) Day" statt. Das ist ein Aktionstag zur "Re-Urbanisierung" der Städte, der von vielen Bürgerinitiativen weltweit durchgeführt wird. Sie widmen Parkplätze im öffentlichen Straßenraum für ein paar Stunden oder einen Tag für andere Zwecke um. Mit Blumenkübeln wird eine grüne Oase gestaltet, mit Biertischen und Bänken ein Straßencafé installiert oder eine Fahrrad-Abstellfläche geschaffen.
Der Gedanke dabei: Autos sind eher Stehzeuge als Fahrzeuge, weil sie im Schnitt nur ein, zwei Stunden am Tag genutzt werden. Sonst brauchen sie vor allem Platz, etwa zwölf Quadratmeter pro Stück, zusammen eine riesige Blechmasse, die andere Nutzungen des von ihr belegten Raums unmöglich macht.
Der Park(ing) Day, der von Verkehrs-Bürgerinitiativen inzwischen auch in Deutschland begangen wird, ist eine Idee, auf dieses Problem aufmerksam zu machen und den dominierenden Autoverkehr zurückzudrängen.
Allerdings: Das große Umdenken bei den Stadt- und Verkehrsplanern hat er noch nicht ausgelöst. Auch wächst die Zahl der hierzulande zugelassenen Autos immer weiter – auf inzwischen 48,5 Millionen. 1960 gab es nur ein Zehntel davon.
Nun gibt es einen neuen Versuch, das Dogma zu durchbrechen, wonach der Straßenraum vor allem den Autos gehört. Berliner Verkehrsexpert:innen haben hierzu das "Manifest der freien Straße" veröffentlicht. Es beschreibt in sieben Thesen veränderte Städte, in denen der öffentliche Raum radikal anders genutzt wird.
"Verhärtete kommunale Diskurse aufbrechen"
Die Gruppe ruft dazu auf, "Pionier" zu werden und den dringend benötigten Änderungsprozess mit anzustoßen. Die Autoren kommen von der Kreuzberger Denkfabrik Paper Planes, der TU Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Mercator.
Die Vision: Ökologische Verkehrsträger wie Fahrräder, Busse und Bahnen sowie Carsharing seien "das neue Normal". Private Autos würden nur noch von Menschen genutzt, die wirklich darauf angewiesen sind. Die Gruppe argumentiert: "Der Gewinn für die Nachbarschaft, die Gesundheit der Menschen sowie den Kampf gegen den Klimawandel ist enorm."
Auch die Volkswirtschaft werde von der schrittweisen Umsetzung des Umbaus profitieren: Der frei werdende Straßenraum könne umgenutzt werden, etwa für Werkstätten, Büros in Pavillons, für die Infrastrukturversorgung. Dadurch werde nicht nur für viele die zeitintensive Pendelei zur Arbeitsstelle eingespart, sondern auch die lokale und regionale Produktion gestärkt.
Auf der Homepage des Manifests zeigen die Initiator:innen mit Visualisierungen, wie Straßenzüge und -kreuzungen umgestaltet werden könnten – etwa als Wasserfläche, Grünzug, Radweg, Busspuren, Spielraum für Kinder, im Winter als Eisbahn. Autos sind auf den Bildern kaum mehr zusehen. Ergänzt wird das durch Handlungsempfehlungen, wie Bürger, Initiativen und Parteien den Stadtumbau angehen könnten.
Rückbau der Autoindustrie noch kein Thema
Zu jeder der sieben Thesen des Manifests werden auf der Website häufig gestellte Fragen (FAQ) beantwortet, Studien und Zukunftsszenarien vorgestellt sowie Fachbegriffe erklärt. Eine detaillierte Auseinandersetzung damit, wie der mit dem Umbau verbundene Rückgang der Autoindustrie abgefedert werden könnte, fehlt allerdings in den Texten.
Einer der Initiatoren, Weert Canzler vom WZB, erläutert: "Unser Ziel ist es, die oftmals verhärteten kommunalen Diskurse zur Verkehrswende aufzubrechen. Denn wir wissen, dass nur dort etwas passiert, wo der politische Wille vorhanden ist." Der Verkehrsforscher räumt allerdings ein, dass die Bürger:innen sicher "kein Bullerbü" vor ihrer Haustür wollen, für viele habe das Auto "weiterhin eine gewisse Funktion".
Höhere Parkgebühren sind nicht unsozial
Soziale Argumente in der Debatte um höhere Gebühren für das Anwohnerparken sind häufig vorgeschoben. Der Thinktank Agora Verkehrswende macht in einem Diskussionspapier darauf aufmerksam, dass höhere Gebühren nicht nur die Wohngebiete entlasten, sondern den Kommunen auch Mehreinnahmen bringen, die für den öffentlichen Verkehr und für Geh- und Radwege ausgegeben werden können. Nur eine sehr kleine Gruppe sei auf das Auto angewiesen und habe gleichzeitig sehr wenig Geld – für diese Bewohner könnten Kommunen gezielt Ermäßigungen einrichten. (mb)
Klaus Kordowski von der Stiftung Mercator beschreibt, warum seine Institution das Projekt unterstützt, so: "Die Verkehrswende in Städten braucht mehr als nur Elektroautos – es braucht eine neue Vorstellung davon, wie Mobilität und urbanes Leben gedacht und erzählt werden können."
Neben einem Besuch der Website, auf der das Manifest unterzeichnet werden kann, laden die Initiatoren auch zu einem Besuch ihres "Experience Lab" in der Forster Straße 52 in Berlin-Kreuzberg ein. Dort hat Paper Planes eine Ausstellung eingerichtet, in der Besucher:innen die "freie Straße" erfahren können – auf der "Forsterrasse", die temporär auf ehemaligen Parkplätzen für die Nachbarschaft gebaut wurde.
Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie vom WZB, Co-Autor des Manifests, gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.